Prioritäten

32 2 2
                                    

Es war das Spiel der Saison. Wichtiger als alle davor und es entschied nicht nur über die Tabellenführung sondern auch Stella Zukunft. Die Halle war brechend voll. Man hörte die Massen bis in die Kabinen singen und klatschen. Es war das Finale und alle waren angespannt. Das Sportspektakel auf welches sich Stella seit Monaten und sogar Jahren vorbereitet hat. Beim Spiel werden viele Scouts aus allen Städten in denen Basketball einer Währung gleicht. Stellas Herz pochte ihr bis in den Hals. Sie hatte aberhunderte Spiele schon erfolgreich hinter sich gebracht doch das jetzt ist anders. Das ist wichtig. Nichts ist gerade jetzt wichtiger. Stella wollte nach LA oder nach Bosten. Weltklasse. Jetzt war es an ihr die Scouts zu überzeugen und einen Punkt nach dem anderen reinzuholen. 

"Mädels! Konzentration! Hier, Emma! EMMA! Gleich gehts los, kommt noch einmal zusammen." sagt James aufgeregt mit einem Klemmbrett in der Hand. Er war Stellas bisher liebster Coach. Er war extrem streng aber er wusste was er macht und hatte immer ein offenes Ohr für alle aus dem Kader. Er schnippst jetzt mit den Fingern seiner freien Hand und schaut in die Runde. 

"Heute geht es um alles! Heute ist wichtig. Wenn wir das Ding wirklich gewinnen- und davon bin ich überzeugt- dann sind wir an der Spitze! Dann haben die Chicago Skys seit über 20 Jahren endlich wieder den 1. Platz geholt. Stella! Abliefern. Jetzt oder nie!" sagt er mit weit aufgerissenen Augen und zerzausten Haaren. Die Anspannung war ihm deutlich anzusehen. Stella wollte die Saison wieder als MVP abschließen. Der "Most Valuable Player" Award, dieser wird an die wertvollste Spielerin des gesamten Turniers verliehen und ist eine der größten Ehren in diesem Sport. In der Kabine war es heiß und stickig und es roch irgendwie auch nach Schweiß und ungewaschener Wäsche. Stella war an diesen Geruch gewöhnt, denn jede Umkleide- oder Mannschaftskabine hatte diesen speziellen Geruch an sich. Auch wenn der Sport nach außen hin immer sehr glamourös aussieht, ist es in echt einfach Sport. Und Sport riecht nun mal nach Schweiß und ist dreckig.

Alle Mädels stellen sich in den Kreis der Kabine und halten sich an den Schultern als es von außen einmalig laut durch ein Horn trötet. "Es geht los! Es geht endlich los!" denkt sich Stella in Gedanken und hüpf auf und ab. Sie hatte ihre langen braunen Haare stets in einer eleganten Flechte oder einem hohen Pferdeschwanz. Manchmal hatte sie sich auch bunte Spangen oder Haargummies im Haar. Aber heute wollte sie klassisch aussehen und verzichtete auf jegliche Spielereien. Ein hoher Zopf und eine dünne Flechte. Dazu noch kleine Diamantstecker, die sie zum Collegeabschluss von ihren Eltern bekommen hatte und dezentes Make up. Sie liebte es sich zu schminken doch auf dem Court hatte sie nur Wimperntusche, etwas Lippenpflegestift und dezentes Rouge drauf. Ihre Nägel waren stets gepflegt und lackiert. Sie mochte alle Farben doch bei Spielen hatte sie immer dunkelblaue Nägel. Sie passten am besten zum Trikot. 

Ein letzter Blick in den Spiegel und dann ging es los. Stella bildete die Spitze als Kapitän der Mannschaft. Hinter ihr stellten sich ihre Mädels in dreier Reihen und hüpften nervös auf und ab. Auch wenn die Trikots alles gleich waren, hatte jeder der Spielerinnen andere Hallenschuhe an. Viele von ihnen, auch Stella, hatten Partnerschaften mit Firmen und bekamen von denen ihre Schuhe. Stella war bei Nike und hatte hellrosane Hallenschuhe mit einem neonfarbenem Nike-Zeichen. Sie liebte sie. "LOS!" rief James von ganz hinten und Stella öffnet die Tür in den Gang. Jetzt waren die Zuschauer noch viel lauter zu hören und das Adrenalin in Stellas Adern pochte. Das war ihr Lieblingsgefühl und sie konnte kaum abwarten endlich loszulegen. In der riesengroßen Halle angekommen, winkt die gesamte Mannschaft den Massen zu. Es war ein Heimspiel und somit waren 80% der Zuschauer Chicago Sky Fans. Sie hatten Wimpel, Tröten, Plakate, Trikots und bunte Hüte auf. Stella liebte die Fankultur in den USA. Sie genoss jede Sekunde in der Halle mit den Fans. Es waren viele Presseleute an den Ecken des Spielfeldes und machten Fotografien. Die Blitzlichter waren anfangs schwer zu ertragen gewesen, inzwischen blendet sie Stella komplett aus. 

Das erste Viertel war gut ausgeglichen. Die Gegnerinnen waren stark aber Stella glänzte mit einem 3er Wurf nach dem anderen. Das zweite Viertel dominierten Stella und ihre Mädels komplett. Auch das dritte Viertel wurde mit einer hohen Differenz abgeschlossen. Die letzten 12 Minuten brechen an und die Nervosität ist allen Spielerinnen auf dem Feld ins Gesicht geschrieben. Auch wenn sie in Führung liegen, dürfen sie jetzt nicht nachgeben und müssen weiterkämpfen. Es ist hart und sie kassieren den ein oder anderen Korb. Stella ärgert sich als sie 3 Minuten vor Schlusspfiff nur noch einen Punkt in Führung sind. Schweißperlen laufen ihr die Schläfen herunter als sie den Anweisungen von James folgt. Angriff! Und genau dafür ist Stella geschaffen worden. Anzugreifen. Laut, schnell, erbarmungslos! Und so schafft sie es 2 Sekunden vor Schluss noch einen Freiwurf mit 3 Punkten zu erzielen und das Spiel für ihre Mannschaft zu gewinnen. Die Menge tobt und ihre Ohren klingeln bei der enormen Lautstärke. Die gesamte Mannschaft und James rennen auf sie zu und umarmen sie wie in einer Traube. "Gibt es ein besseres Gefühl als zu gewinnen?" dachte sie sich immer wieder. Auch jetzt. "Nein! Garantiert nicht!" Sie konnte nicht ahnen, dass sie noch an diesem Abend vom Gegenteil überzeugt werden würde. 

Nach der Siegerehrung und ein Dutzend Interviews setzte sie sich an den Rand des Spielfeldes und trinkt einen Schluck aus ihrer Wasserflasche. Sie war verschwitzt und ihre Babyhaare war an ihrer Stirn vom Schweiß wie festgeklebt. Sie war erschöpft aber glücklich. Sie lehnt sich zurück und schließt für eine Sekunde die Augen und versucht die Geräuschkulisse in ihrem Kopf verstummen zu lassen. 

"Der letzte Freiwurf war der Hammer!" hörte sie von einer unbekannten Stimme sagen. Schnell öffnet sie die Augen und schaut sich um. Niemand war da. "Hier." sagte die Stimme wieder aber diesmal lachte er dabei und wedelte mit der Hand. Stella sah hinter sich und sah einen großen blonden Mann in der Reihe hinter ihr sitzen. Er hatte lässige Baggyjeans an und seltene Jordans. Dazu ein graues einfaches Shirt. "Matthew! Matthew Svereff. Freut mich." Stella war von seiner Erscheinung ganz perplex und reichte ihm die Hand. Sie wusste natürlich wer er war. Sie kannte ihn aus dem Fernseher und aus Berichten. "Hi, Matthew. Ich bin Stella." sagt sie etwas überfordert. 

"Du warst der Hammer. Die Schritttechnik. Die Abfolge. Wie du dich auf dem Court bewegst." sagt Matthew und wirbelt mit seinen Armen rum. Er lacht dabei und seine Augen glänzen. Er war wirklich begeistert von ihr. 

"Danke. Also ich mein... Du bist ja auch nicht schlecht." und schon als sie es sagte, bereute sie es. Er ist nicht schlecht??? Stella hätte sich am liebsten selber eine verpasst. Aber Matthew lachte und lehnt sich auf dem Klappstuhl weiter zurück. 

"Stella, du kannst wirklich stolz auf dich sein. Siegerin, Platz 1 und MVP. Das war deine Saison! Hut ab." Stella konnte ihren Ohren nicht ganz trauen denn sie war vollkommen in seinen eisblauen Augen verloren. Sie hatte sowas bisher noch nie so stark verspürt. Hat er sie verzaubert? Mit den wenigen Worten, die er ausgesprochen hatte? Nein! Das konnte nicht sein. Sie war wohl erschöpft und müde und konnte ihren Instinkten nicht mehr richtig vertrauen. 

"Vielen Dank. Das bedeutet mir viel. Ich mein, du hast alles erreicht, was es zu erreichen gibt. Und-" Matthew unterbricht sie und sagt:" Ich hab noch lange nicht alles erreicht! Ich bin noch am Anfang und das ist auch gut so. Ich liebe das alles einfach zu sehr." Er zwinkert nach der letzten Silbe und steht auf. "Es hat mich echt gefreut, aber jetzt entlasse ich dich wieder." 

Stella war wie gebannt  von ihm und wollte nicht, das das Gespräch endet. "Nein- also... Ja, hat mich auch gefreut. Bist du noch länger....also... noch länger in der Stadt?" sie stottert beim Reden und sie hasste sich dafür. 

Matthew grinst schelmisch und fasst in seine Hosentasche. Er zieht sein Handy raus und überreicht es Stella. "Wie wär's? Du gibst mir deine Mail-Adresse oder deine Nummer und wir connecten uns? Halten uns auf dem Laufenden?" Wieder zwinkert er und Stellas Herz hört nicht auf laut zu pochen. Sie tippt ihre Handynummer ein und gibt es ihm zurück. Dabei berührt sie mit ihrem Zeigefinger seinen Mittelfinger. Es war elektrisch und schön. Ja, es hat sich schön angefühlt. Das hat es bisher noch nie. Mit keinem anderen Jungen. Obwohl man bei Matthew nicht von einem Jungen sprechen kann. Er war ein Mann. Ein richtiger, starker Mann. Stella spürte zum ersten Mal, dass Basketball nicht mehr lange ihre größte Priorität sein könnte. 

Fast BreakersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt