Licht und Schatten

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Ihr Herz lag ihr schwer in der Brust als sie früh morgens die Augen öffnet. Nicht nur die Erinnerungen an letzte Nacht, auch ihr Arm schmerzten. Was war das? Was war da nur passiert? Wer war Tom und wieso stand er auf solche Dinge? Sie drehte sich um und das Bett war leer. Erleichtert atmet sie aus und zieht die Bettdecke von ihren nackten Beinen. Es waren immer noch dunkelrote Blutspritzer auf ihrem unteren Bauch sowie auf den Oberschenkel. Sie kneift die Augen zusammen und entfernt das Pflaster an ihrem Arm. Die Wunde sah besser aus als erwartet, trotzdem hatte sie den Drang sofort unter die Dusche zu springen.

Unter dem heißen Wasserstrahl entspannten sich endlich wieder ihre Muskeln. Ihr Nacken tat weh und ihre Oberarme verkrampften sich bei jedem Gedanken, der flüchtig an die letzte Nacht erinnerte. Sie wusste nicht, wieso sie immer noch hier war. Tom war jemand anders. Er war nicht mehr der charmante Gentleman, der ihr Briefe unter der Tür durchschob. Er war ein verdammter Vampir, der.... der ihr die lustvollste Nacht ihres Lebens beschert hat. Nein. Er war ein Psychopath und sie sollte so schnell wie möglich gehen und nie wieder zurückblicken. Und doch wäscht sie sich seelenruhig die Haare mit seinem Shampoo. Der Dampf vermischt sich mit seinem Duft und benebelt ihre Sinne und ihren Verstand und als sie ihn nackt hinter sich in der Duschkabine spürt, schreckt sie nicht zurück. Er ließ seine Finger zärtlich über ihre nasse Haut gleiten. Arme, Schultern, Rücken, Po, Bauch, Brust, Hals... Stella lehnt sich an seine Brust und lässt das Wasser über ihr Gesicht laufen. "Gehts dir gut?", flüstert er ihr ins Ohr und massiert ihre Brüste sanft und dreht ihre Brustwarzen zwischen seinen Zeige- und Mittelfinger. Sie nickt. "Sag mir, was in dir losgeht. Sei ehrlich.", sag er diesmal etwas lauter. "Mir gehts gut, Tom.", erwidert sie emotionslos und hält ihre Hände seitlich an seinen Oberschenkeln. Mit einem Ruck dreht er sie um und nimmt ihr Gesicht in die Hand. Er blickt ihr direkt in die Augen. "Du bist krank.", haucht sie und schließt wieder die Augen, die Hände auf seiner Brust. Er wird nicht schlau aus ihr. Er blickt sie an und hat immer noch ihr Kinn in seiner Hand. "Wieso bist du dann noch hier?", fragt er mit zusammengepressten Zähnen. Sie öffnet wieder die Augen doch in ihrem Gesicht regt sich nichts. Sie wusste keine Antwort auf diese Frage. "Benoít fährt dich dann heim.", sagt er noch knapp und verlässt die Dusche.

Angezogen und mit nassen Haaren steht sie an der Veranda als sie auf ihren Wagen wartet. Tom hatte sie seit dem Gespräch in der Duschkabine nicht mehr gesehen. Es war ein frischer Herbstmorgen und sie fror in ihrer dünnen Strickjacke und dem lockeren Rock. Sie schlingt die Arme um sich und presst die Lippen zusammen. Wieso verabschiedete er sich nicht bei ihr? Fragend schaut sie sich im Garten um, auf dem ohne Zweifel zwei Fußballfelder Platz hätten. Er war nirgends zu sehen. Aber sie roch ihn. Sie roch das Salz in der Luft und irgendwie machte es sie traurig. Wenn er nur nicht so wäre...Wenn er nur nicht auf so etwas stehen würde... dann könnte sie sich in ihn verlieben. Sie könnte ihn vielleicht lieben. Als ihre schwarze Limousine vor der hölzernen Veranda zum Stehen kommt, riecht sie seinen Duft nochmal intensiver. Sie drehte sich und er stand in der Tür. Lässig an dem Türrahmen gelehnt und mit einem sanften Lächeln, das vielleicht auch gar keins war. Sie konnte es nicht deuten. "Ich gehe.", sagt sie leise und schenkt ihm ein Lächeln. "Du musst nicht gehen.", erwidert er ohne seinem Gesichtsausdruck die Chance zu geben, sich anzupassen. "Willst du, dass ich gehe?". Keine Antwort, keine Regung in seiner steinharter Mimik. Seine Haare waren lässig in einen Dutt zusammengebunden und seine Augenbrauen war etwas zusammengezogen. Seine Hände waren zu Fäusten geballt. Der kalte Wind wehte stark und Stellas Haare waren fast schon trocken. Trotzdem war ihr kalt. Aber das lag wohl eher an Tom. Seine grünen Augen, sie waren alles was sie wollte. Nur seine Augen, die sie anblicken. Ohne das Blut und den Dachboden. Ohne die Messer und Fesseln. Gab es ihn ohne das alles? Gab es den Tom, der sie in der Küche verführte und liebevoll zum Kommen gebracht hatte. Sie wollte nur ihn. Es verging ein weitere Augenblick, ohne dass jemand was sagt. Benoít war jetzt auch ausgestiegen und öffnete die hintere Tür. Stella stand immer noch an der letzten Stufe der Veranda und blickte seine undurchschaubare Schönheit an, die ihr gerade das Herz brach. Sag was, dachte sie. Aber weder ihm noch ihr fielen die richtigen Worte ein und so drehte sie sich um und stieg in den Wagen. Und wieder war die Fahrt eine Achterbahn der Gefühle. Sie hasste diese Seite von ihm und doch wollte sie einfach wieder zu ihm und auf seinem Sofa liegen und mit seinen Haaren spielen. Ihn in sich spüren. Mit ihm zusammen kochen und seine Hand auf ihrem Hals haben. Ihr Mund wurde staubtrocken als sie über das frische Pflaster auf ihrem Arm fährt. Es tat nicht weh aber ihr Magen zog sich zusammen. Aus Lust? Was war nur los mit ihr? Er sah so verdammt sexy aus wie er vor ihr stand. Nackt und mit ihrem Blut besudelt. Wie ein Engel. Aber eher wie einer aus einer anderen Welt. Sie hatte seit gestern Abend nicht mehr auf ihr Handy geschaut. Schnell kramt sie es aus ihrer Tasche und entsperrt den Homescreen. Nichts. Weder Lilly noch Matthew. Matthew tat was er tat aber er war sanft zu ihr. Er liebte sie wie sie sich Liebe immer vorgestellt hatte. Er war ihr Prinz, von dem sie in Büchern gelesen hatte. Und doch hatte er auch eine dunkle Seite. Seine Sucht. Sein Betrug. Seine Inkonsequenz. Ihr lief eine Träne die Wange entlang doch sie wischte sie schnell wieder weg. Er war wahrscheinlich schon wieder in Boston und das war auch gut so. Oder nicht? Plötzlich vermisste sie ihn. Nicht den alten, witzigen, perfekten Matthew. Sondern den, den sie gestern vorm Aufzug getroffen hatte. Den leeren, kaputten, hoffnungslosen Matthew. Sie würde ihm am liebsten umarmen. Ihm verzeihen.

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