Zerrissen

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Matthew schloss die Wohnungstür hinter sich, lehnte sich mit dem Rücken dagegen und ließ den Kopf hängen. Sein Herz schlug schwer in seiner Brust, ein dumpfer Schmerz, der sich von innen heraus ausbreitete und ihn beinahe erstickte. Er war zurück in Boston, zurück in dieser viel zu vertrauten Einsamkeit, die ihn zu verschlingen drohte. Die Reise zu seiner Familie in Schweden hatte ihn nicht ablenken können. Die Gedanken an Stella, an das, was er verloren hatte, hingen wie dunkle Wolken über ihm. Er schob die Hände in die Taschen seiner Jeans und trat langsam durch den schmalen Flur in seine Wohnung. Die Stille war ohrenbetäubend. Alles wirkte so leer, so leblos. Bilder an den Wänden, die sie gemeinsam ausgesucht hatten. Das Sofa, auf dem sie unzählige Abende zusammen verbracht hatten. Ihre Abdrücke in jeder Ecke, doch jetzt fühlte sich alles nur noch kalt an. Matthew atmete tief ein, schob die Hände durchs Haar und kämpfte gegen den Kloß in seinem Hals an. „Verdammt, was hast du nur getan?", murmelte er zu sich selbst, seine Stimme war kaum mehr als ein Hauch. Er wusste genau, was er getan hatte. Er hatte sie verraten. Stella, die er mehr liebte als alles auf dieser Welt. Und er hatte sie verloren, weil er es nicht geschafft hatte, seine inneren Dämonen zu besiegen. Er ging in die Küche, setzte sich an den kleinen Esstisch und starrte auf das leere Glas vor sich. Ein winziger Riss zog sich quer über die Oberfläche, kaum sichtbar, aber für ihn schien er riesig. So wie der Riss, der durch sein eigenes Leben lief. Alkohol war sein Fluch gewesen, seit er sechzehn war. Damals hatte er begonnen, die Leere in sich zu ertränken, hatte gehofft, dass der Alkohol seine Unsicherheiten und Ängste betäuben würde. Stattdessen hatte er alles zerstört. Jahre der Therapie, die Kämpfe mit sich selbst – er war jetzt trocken, ja, aber die Narben blieben. „Du Idiot", flüsterte er und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. Das Geräusch hallte durch den Raum, ein sinnloser Versuch, die bohrende Leere in seinem Inneren zu übertönen. Er hatte die Liebe seines Lebens für einen Moment der Schwäche aufs Spiel gesetzt. Für einen Moment, in dem seine Vergangenheit ihn wieder eingeholt hatte. Ein Moment, in dem er sich in den Armen seiner Ex-Freundin verloren hatte, betrunken von der Vorstellung, dass es einfacher wäre, zu alten Mustern zurückzukehren. Aber Stella... Sie war anders. Sie hatte ihn geliebt, trotz all seiner Fehler, hatte ihm geglaubt, als er ihr versprach, sich zu ändern. Und er hatte sie enttäuscht.  

Sein Blick wanderte zum Regal an der Wand, wo ein altes, halbvolles Whiskyglas stand. Er hatte es aufgehoben, als eine Erinnerung daran, wie tief er einst gefallen war. Der Drang, nach der Flasche zu greifen, nagte an ihm. Ein Gefühl, das er immer noch spürte, wenn alles zu viel wurde. Jetzt schien es, als würde die Dunkelheit in ihm erneut die Kontrolle übernehmen wollen, um die Schmerzen, die er verspürte, zu betäuben. „Nein", zischte er durch zusammengebissene Zähne, riss seinen Blick von dem Glas los und stand abrupt auf. Er musste stark bleiben. Für sich selbst. Für Stella. Denn obwohl er wusste, dass er sie verloren hatte, konnte er sie nicht einfach aufgeben. Nicht jetzt, da er das wahre Ausmaß seines Fehlers erkannte. Nicht jetzt, da ein Funken Hoffnung in ihm aufkeimte.

Er trat an das Fenster, starrte hinaus in die Straßen von Boston. Menschen hasteten vorbei, Autos hupten, das Leben um ihn herum ging weiter, während er das Gefühl hatte, in einem endlosen Moment der Agonie gefangen zu sein. Die Erinnerung an ihr letztes Gespräch hallte in ihm nach, wie eine schmerzvolle Melodie. Ihre Stimme am Telefon, so zerrissen und durcheinander. Sie hatte es nicht gesagt, aber er konnte spüren, dass sie unglücklich war. Und der Gedanke daran ließ ihn innerlich verkrampfen. Tom. Allein bei dem Gedanken an ihn kochte die Eifersucht in ihm hoch. Dieser Mann, dieser besitzergreifende Schatten, der sich um Stella gelegt hatte und sie nicht mehr losließ. Matthew wusste, dass Tom gefährlich war, dass er Stella auf eine Art gefangen hielt, die sie kaum selbst begreifen konnte. Und genau das machte ihn wütend, ließ ihn innerlich aufbegehren.

Ich werde nicht aufgeben, dachte er entschlossen und spürte, wie sich sein Herzschlag beschleunigte. Er wusste, dass es nicht einfach werden würde. Dass er gegen Toms Dunkelheit, seine Besessenheit antreten musste. Aber er war bereit, alles zu tun, um sie zurückzugewinnen. Sie sollte wissen, dass er sich geändert hatte, dass er wirklich für sie da sein konnte – ohne die Schatten der Vergangenheit. Matthew nahm sein Handy in die Hand, starrte auf den Bildschirm. Die Versuchung, sie einfach anzurufen, ihr zu sagen, wie sehr er sie vermisste, war groß. Doch er wusste, dass Worte allein nicht ausreichen würden. Nein, er musste es beweisen. Er musste sie auf eine Weise zurückerobern, die sie spüren ließ, dass er der Mann war, den sie einst geliebt hatte. „Ein Schritt nach dem anderen", sagte er sich und atmete tief durch. Er legte das Handy beiseite und ließ den Blick erneut durch die Wohnung schweifen. Es gab so viel zu tun. In seinem Leben. In seinem Herzen. Und es würde ein verdammt harter Kampf werden, das wusste er. Doch es war ein Kampf, den er bereit war aufzunehmen. Denn für Stella würde er alles riskieren. Auch wenn es bedeutete, gegen seine eigenen Schatten und gegen Toms Dunkelheit anzutreten.

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