Die Einsicht

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Stella saß regungslos auf dem Stuhl an ihrem Esstisch, die Vorhänge waren in der ganzen Wohnung zugezogen, das Zimmer lag in einem fahlen, grauen Licht. Die Uhr tickte unaufhörlich, Sekunden schlichen dahin, doch für sie schien die Zeit stillzustehen. Die Leere in ihrem Inneren wog schwerer als alles, was sie je zuvor empfunden hatte. Und genau das wunderte sie. Der Tod ihres Vaters...Matthews Betrug...schon da dachte sie, dass sie in dem Meer ihrer Traurigkeit und Hilflosigkeit ertrinken würde. Doch das jetzt war anders. Ihr Kopf lag in ihren Händen, ihre Augen waren geschwollen und rot von den Tränen, die sie in den letzten Stunden vergossen hatte. Wie hatte es so weit kommen können? Sie starrte auf den Boden, als ob die Antwort irgendwo zwischen den Teppichfasern verborgen lag. Die Worte, die sie zu Tom gesagt hatte, hallten immer wieder in ihrem Kopf wider: „Ich kann das nicht... Ich kann dich nicht lieben, wenn du diese Welt nicht hinter dir lässt." Doch jetzt, allein in ihrer Wohnung, schienen diese Worte so leer und bedeutungslos. Sie liebte ihn doch. Sie liebte ihn so sehr, dass es sie zu zerreißen drohte. Er war ihr Alles geworden. Alles und nichts. 

Ein leises Schluchzen entrang sich ihrer Kehle, und sie drückte die Fäuste gegen ihre Augen, als könnte sie die Bilder aus ihrem Kopf vertreiben. Bilder von ihm, wie er sie ansah, mit diesem Blick, der gleichzeitig so sanft und so gefährlich war. Sie hatte seine Verzweiflung gesehen, seine Wut, und es hatte ihr das Herz gebrochen, ihn zurückzulassen. Aber wie hätte sie bleiben können? Wie hätte sie an seiner Seite sein können, wenn er in diesem Zwielicht gefangen war? „Ich kann das nicht..." flüsterte sie erneut, doch diesmal klangen die Worte zerbrochen und leer. Ein Teil von ihr wusste, dass es richtig war, ihn zu verlassen. Sie konnte nicht in seiner Welt leben, nicht mit den Lügen, der Gewalt und der ständigen Gefahr. Doch ein anderer Teil schrie danach, zurück zu ihm zu laufen, seine Arme um sich zu spüren, diese Hitze und Besessenheit, die sie beide umgab. Sie stand langsam auf, taumelte fast, als hätte sie die Kraft, sich auf den Beinen zu halten, verloren. Sie ließ sich auf das Bett fallen, umklammerte die Kissen, als könnte sie sich daran festhalten, um nicht in der Dunkelheit ihres eigenen Geistes zu versinken. Sie konnte nichts essen, nichts trinken. Alles schmeckte bitter, nichts fühlte sich mehr real an. Die Welt draußen rauschte an ihr vorbei, doch sie schien in einer Blase der Einsamkeit gefangen zu sein.

Ihr Telefon lag neben ihr auf dem Nachttisch, der Bildschirm blieb dunkel. Keine Nachrichten. Kein Anruf. Tom hatte sich jetzt seit fast drei Tagen nicht gemeldet, und doch lag ein Teil von ihr in ständiger Angst und Hoffnung, dass er es tun würde. Dass er plötzlich vor ihrer Tür stehen würde, dass er sie in seine Arme ziehen und sagen würde, dass alles in Ordnung sein wird. Aber sie wusste, dass es nicht so einfach war.  „Warum...?" Sie drückte das Kissen gegen ihr Gesicht und ließ erneut die Tränen freien Lauf. Sie konnte nicht verstehen, warum es so sein musste. Warum sie ihn nicht einfach lieben konnte, ohne sich in seiner Finsternis zu verlieren. Warum er nicht auf sie zugehen und sich ändern konnte. „Warum kannst du nicht...", ihre Stimme brach, „...einfach nur Tom sein?" Die Stille in ihrem Zimmer war unerträglich. Nur das Geräusch ihres eigenen Herzschlags in ihren Ohren erinnerte sie daran, dass sie lebte. Aber es fühlte sich nicht so an. Es fühlte sich an, als wäre ein Teil von ihr gestorben, als sie ihn verlassen hatte. Und jetzt... jetzt wusste sie nicht, wie sie ohne ihn weitermachen sollte. Es fühlte sich an, als hätte sie sich selbst verraten. Sie hatte ihn geliebt, und ein Teil von ihr tat es immer noch. Aber wie sollte sie eine Zukunft mit einem Mann haben, dessen Leben so von Gewalt und Gefahr durchtränkt war? Einem Mann, der die ganze Welt niederbrennen würde, nur um sie festzuhalten? Ihre Gedanken drehten sich, schienen in einem unaufhörlichen Kreis aus Schmerz und Trauer zu wirbeln. Sie fühlte sich wie ein Schatten ihrer selbst, als ob die Stella, die sie einst gewesen war – die starke, unerschrockene Frau – irgendwo auf dem Weg verloren gegangen sei. Zurück blieb nur eine Hülle, leer und einsam. Wie damals als sie....

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