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»Wir haben es fast geschafft.« , sagte Vincent und lächelte Dag aufmunternd zu.

Der Lockenkopf nickte und zog an seiner Kippe, eh er sie anschließend auf den Boden warf, obwohl er diese eben erst angezündet hatte, und in Folge dessen den Glimmstängel mit seinem Schuh zertrat. Der Untergrund war bräunlich und lehmig und er freute sich tatsächlich auf die asphaltierten Straßen Berlins.

Jeden Tag mit Vincent abhängen. Musik machen. Und Mädels.

Was wollte er mehr?!

Dag lächelte. Dass er so etwas noch erleben würde, damit hätte er nicht gerechnet. Alles war so fern und dann ... dann traf er ihn.

Als wäre es Schicksal gewesen.

Als wäre das Glück endlich mal auf seine Seite übergegangen.

Sein Lächeln blieb. Er war glücklich.

Nur noch ein paar Minuten, höchstens vielleicht eine Stunde, und er würde keinerlei Sorgen mehr haben. Zumindest nicht diese, die ihn seit Jahren plagten, denn Vincents Freundschaft war ihm gewiss.

Nichts und niemand könnte einen Keil dazwischenschieben. Dessen war er sich sicher.

Es harmonierte einfach.

Sie waren füreinander da. Ob es die Dunkelheit war oder sogar als diese fiese Schlange Vincents Herz gebrochen hatte. Dag war im letzteren Fall direkt an seiner Seite, um ihm beizustehen.

Das nannte man Freundschaft.

Dag hatte bereits mitbekommen, wie andere handelten, wenn jemand Gefühle zeigte.

Weichei. Mädchen. Baby.

Solche Worte bekam man unter anderem zu hören.

Umso glücklicher machte es den Lockenkopf in dem großen Kerl hier neben ihm einen wahren Freund gefunden zu haben.

Sowas war selten und erst Recht, wenn man die Umstände hinzurechnete, wie hoch die Wahrscheinlichkeit war, dass sie sich überhaupt je hätten begegnen sollen.

Wieder einmal kam ihm das Wort Schicksal in den Kopf.

Vielleicht war es auch einfach nur ein Zufall.

Egal, was es war ... sie hatten sich und das war gut.

Sie brauchten einander. Nicht gesucht und doch gefunden.

»Woran denkst du?« , fragte Vincent und hielt den Kelch in der Hand, den sie zuvor dringend haben mussten.

»Wie gut ich es habe, dich gefunden zu haben.«

»Hey, ich hab's dir versprochen. Zudem ... ein Leben ohne dich ist für mich gar nicht mehr möglich.« Er lachte. »Ich wüsste gar nicht, was ich den lieben langen Tag machen würde, ohne dich.«

»Geht mir genauso.«

Völlig unerwartet blieb Vincent konträr dazu stehen und seine Mimik änderte sich.

Dag blickte augenblicklich in dieselbe Richtung, konnte jedoch nichts erkennen. Langsam näherte er sich ihm und stupste ihn seitlich an. »Hörst du das?« , fragte der Große und Dag sah abermals dorthin, wo sein Freund hinblickte.

»Nein.«

»Wir müssen da lang.« Er zeigte geradeaus.

Das war sowieso der Weg, den sie gehen wollten, weshalb der Lockenkopf nicht dementierte. Allerdings ... irgendwas war komisch.

Es war stiller als vorhin. Zumindest kam es Dag so vor. Er bekam eine Gänsehaut und wusste nicht wieso. Sein bester Freund ging irgendwie schneller, aber auf die eine oder andere Weise auch nicht. Es war ... seltsam, zu erklären. Seine Bewegungen waren drängender, aber ... die Wände um beide herum vergingen wie in Zeitlupe.

Dag merkte, wie ihm schwindelig wurde. »Warte.« , sagte er, allerdings stampfte Vincent weiter über den lehmigen Boden.

Nein.

Er war gar nicht mehr lehmig.

Er war ... sandig.

Das war Sand unter ihnen.

Dag bückte sich und berührte die feinen Körner. Was war geschehen? War es doch ein Traum? Es kam ihm vor wie eine ... Illusion, denn ... woher war der Strand, auf dem sie sich befanden auf einmal erschienen?

Verwirrt sah er sich um.

Vor ihnen war Wasser ... wie ein Meer ... aber er konnte nicht sehen, wie weit es ging. Obwohl es hell war, war dort hinten tiefste Schwärze. »Ich hab' kein gutes Gefühl Vinne.« , sagte er.

Sein Freund antwortete nicht und sah starr auf die minimalen Bewegungen des Gewässers. Dag legte seine Hand auf dessen Schulter und erst dann schaute der Große zu ihm. »Sie liebt mich.« , kam aus seinem Mund.

»Was?«

»Es tut mir leid. Sie benötigt es dringender als du.«

»Wovon redest du?«

Vincent hielt den Kelch kurz in die Höhe. »Sie braucht ihn.«

Dag sah nun zurück zum Wasser und erkannte ... Saskia. »Aber ... sie hat Schluss gemacht.«

»Und jetzt will sie mich wiederhaben.« Sein Freund bewegte sich fort. Hin zum Wasser. Jenes, welches der Lockenkopf nicht berühren durfte.

»Was ... was tust du da?« Dag schaute fassungslos zu Vincent, der sich Schritt für Schritt der Blondine näherte, die sich auf einem Boot nah des Ufers befand.

»Ich ... kann sie nicht aufgeben.« , gab er fast schon melodisch von sich.

»Aber ... was ist mit uns? Ich dachte, ... du ... du ... du hast es mir versprochen.« Ungewollt wurde der Kleinere der beiden laut.

Vincent drehte sich nicht um.

Dag kam sich nun tatsächlich vor wie in einem Traum gefangen. Ein böser Traum. Fern der Realität, in der sein bester Freund ihm dieses niemals angetan hätte.

Doch das war kein Albtraum.

Er befand sich in der Wirklichkeit und Vincent war dabei all seine Versprechungen wegzuschmeißen.

Wie konnte er ihm das nur antun?

Nach allem, was geschehen war?

Nach allem, was sie noch gemeinsam vorhatten?

»Und die Band?« , fragte er laut und verzweifelt. »Ich dachte, das ist dein Traum?«

»Ist es auch.« , antwortete der Große, der sich immer noch nicht umdrehte.

»Aber ohne mich ... Du weißt, ich kann dann nicht bleiben. Meine Zeit. Du weißt, ...«

»Sie will mich. Hörst du nicht?«

Dag lauschte, vernahm im Gegensatz dazu immer noch nichts. Ihr Mund bewegte sich ebenfalls kein Stück. Sie winkte Vincent herbei, dessen ungeachtet ... was machte sie hier überhaupt?

Sie ... sie hatte hier nichts zu suchen. Geschweige denn, dass sie von diesem Ort wusste. »Vinne, warte.« , rief er. Trotz alledem tappte dieser weiter durch den Sand und berührte bereits das Wasser. »Bitte, hör mir doch zu.«

Nichts.

Er ging weiter und Dag kam es vor, als würde er ihm in Zeitlupe nachrennen. Tatsächlich wie in einem Traum, wo man sich vor dem Monster verstecken wollte und irgendwie nicht richtig vorankam.

Eine Kreatur, die ...

Dag blickte wieder aufs Wasser.

Das war nicht Saskia. Das konnte sie nicht sein.

Verzweifelt schaute er sich um. Er durfte nicht das kühle Nass berühren ... aber ... Vincent war in Gefahr.

Er musste ihn retten.

Wir sind wie Brüder von verschiedenen ElternWhere stories live. Discover now