Vincent sah sich sein total müdes Antlitz im Badezimmerspiegel an.
Wer hätte gedacht, dass Dag solche Geräusche im Schlaf von sich geben konnte. Er redete nicht nur, er brummte, er ... blieb nicht einmal still liegen.
Vielleicht war das ja das Monster in ihm, denn auch wenn Vincent es ungern zugab, hatte er im ersten Moment tatsächlich Muffensausen gehabt, als er diese brummenden Geräusche von sich gegeben hatte.
»Kannst du mir mal sagen, was das diese Nacht sollte?« , fragte seine Mutter, als er aus dem Badezimmer trat.
»Was meinst du?« , stellte er sich dumm, obwohl er sich bereits dachte, dass es um genau dasselbe Thema ging.
»Wie lange wart ihr wach?«
»Gar nicht lang'.«
»Und warum war es so ...«
»Das war Dag. Er ... er redet halt im Schlaf.«
»Reden? Ich dachte, ihr grunzt euch gegenseitig an Vincent. Also so geht das nicht. Wir benötigen ...«
»Er kann nichts dafür. Er ... er hatte es nicht immer einfach. Seine ... seine Psyche ... er verarbeitet Dinge im Schlaf.« Was war er froh, das er Robbie, einem Jungen aus seiner Klasse, letztens zugehört hatte, der über Ähnliches gesprochen hatte.
Und ... machte es nicht auch irgendwie Sinn?
Vincent konnte sich tatsächlich vorstellen, dass es deswegen bei Dag im Ruhezustand so zuging. Die Nacht davor hatte er kaum geschlafen, weil sein Körper noch darauf eingestellt war, es tagsüber zu machen. Somit hatte er es vordem halt nicht wahrgenommen oder es kam erst gar nicht dazu, da er nicht tief und fest mit Schlafmütz' und Co. unterwegs gewesen war.
»Was meinst du?« , fragte seine Mutter. »Und ... hatte er kein Gepäck?«
»Er ... das ist verloren gegangen.«
»Verloren?«
»Ja. Es kam nicht ... beim ... Gepäckband an.«
»Und hat er das gemeldet?«
»Ja. Natürlich.« , verstrickte er sich weiter.
»Hatte er deswegen Sachen von dir gestern an?«
Logischerweise war es seiner Lebensspenderin aufgefallen. »Ja.« , gab er kurz und knapp an und hoffte, das Verhör würde endlich enden.
»Und ... wo ist das, was er anhatte?« , ging es jedoch weiter. »In der Schmutzwäsche ist nichts, außer die Kleidungsstücke, die uns dreien ...«
Vincent hatte die eigentliche Kleidung, die er am Leibe getragen hatte, weggeschmissen. Aber ... sollte er das jetzt auch so sagen?
Erst in diesem Augenblick realisierte er, dass er gar nicht weiter zugehört hatte und seine Mutter ihn fragend anblickte. War da noch eine Frage gekommen, oder ... bezog sich das aufs Erste? »Jaaaaa?« , kam zögerlich und langgezogen aus seinem Mund.
»Ja?«
»Ehm ... ich mein', ... neeeiiiin?!« Er zog es abermals in die Länge.
Seine Mutter schüttelte den Kopf, als würde sie es aufgeben, was sie schließlich auch tat, nachdem Dag in Boxershorts mit der Gitarre nach draußen kam. »Hör mal Vinne.« Er glitt über die Saiten. »Deine Eltern sind wach. Wir können loslegen.«
»Loslegen? Mit was?« Sie sah ihren Sprössling an.
»Na ja. Weißt du ... wir wollten ... etwas ... Musik machen.«
»Musik machen? Ist er deswegen hier?« , fragte sie. »Also von einem Austausch sollte ein wenig mehr erwartet werden.«
»Ja. Nein. Also ...«
Erneut schüttelte sie ihren Kopf und ging anschließend die Treppe hinab. Vincent nahm dies als Anstoß und verschwand, auf die Weise, so dass er Dag voran schob, in seine heiligen vier Wände und die Türe hinter sich schloss und abschloss.
»Alles okay?«
»Ja ja. Alles okay.« , sprach er und nahm seine Gitarre an sich, eh er sich hinsetzte. »Ich zeig dir jetzt ein paar Akkorde.«
»Akkorde.« , wiederholte er. »Ich hab' uns gesehen.« , redete er unerwartet weiter.
»Du hast uns geseh'n?«
Dag nickte. »Wir waren wie die Ärzte auf der Bühne und es war geil. So richtig ... wow.«
»Ja das kann ich mir vorstellen. Aber ... das ist echt harte Arbeit, und ... erst einmal müssen wir das hinbekommen. Wollen ja keine Boygroup werden.« Er schlug kurz auf seine Gitarre.
»Ich will aber die Gitarre, die ...«
»Eine E-Gitarre?! Ja, aber haben wir gerade nicht zur Verfügung. Du musst erst einmal die Grundtechniken, und die ...«
»Holen wir eine?«
»Wenn es so weit ist, holen wir eine.«
»Ich will aber auch ...« Er überlegte. »Ein Schlagzeug.«
Vincent hatte ihm gestern noch erklärt, was Bela da auf der Bühne gespielt hatte. »Ja, das kostet alles eine Menge. Erst einmal müssen wir schauen, dass du das hinbekommst, und dann, ob wir überhaupt zusammen singen können. Und dann fehlt uns noch eine Melodie. Ein Text. Und ...«
»Du meinst, das wird also ... echt lange dauern?«
»Ja ... also ... da müssten wir tatsächlich viel Glück haben. Aber ...« Er dachte nach. »... wieso eigentlich nicht?! Also glaub' mir, wenn du die Charts hörst, dann wirst du merken, das auch echt Untalentierte es auf eine Bühne schaffen können. Sonach könnten wir es ja doch ... mit ein wenig ... keine Ahnung was hinbekommen.«
»Sind die Charts wie die Ärzte?« , wollte Dag wissen und Vincent lachte.
»Nein also ... die Charts sind ... Platzierungen. Also ... quasi, wie gut die Songs bei den Menschen angekommen sind.«
»Und da müssen wir ... drauf?«
Vincent überlegte. »Im Grunde ist es doch gar nicht wichtig, was andere denken.« , wechselte er seine Meinung, nachdem er abermals bemerkte, wie unentbehrlich es Dag anscheinend war, mit ihm Musik machen zu können. Das sollte ausreichen. Eine Bühne musste nicht riesig sein und die Chartplatzierung erst recht nicht.
»Aber ... du sagtest ...«
»Ja, ich sagte, aber ... es muss nicht die Wuhlheide sein, oder sonst etwas in der Art. So lang wir unseren Spaß dran haben werden, kann uns das keiner nehmen. Und das ist, was zählt.«
»Ja. Wir beide.«
»Wir beide.« Er lächelte Dag an und begann endlich ihm, das Gitarre spielen beizubringen.
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Wir sind wie Brüder von verschiedenen Eltern
FanfictionDurch Zufall purzelt der junge Dag in das Leben von Vincent, der zuvor von einer wahren Freundschaft nur geträumt hatte. Mit ihm ist er jedoch auf Anhieb auf einer Wellenlänge und schnell werden beide unzertrennlich. Dag hilft seinem neuen besten F...