»Vincent.« , rief Dag. »Das ist nicht real. Das ist sie nicht. Das ist die Lamia.«
Doch sein Freund hörte nicht. Vielleicht wollte er ihn auch nicht hören, denn sein Blick war stur auf die Erscheinung von Saskia ausgerichtet.
In einem unnatürlichen Licht schimmerte die Flüssigkeit, die Dag töten könnte.
»Komm zu mir Vincent.« In dem Moment vernahm der Lockenkopf ebenfalls die Stimme, die seinen besten Freund lockte. »Du willst doch bei mir sein. Für immer.«
Vincent schien wie in Trance zu sein. Schritt für Schritt ging er durch das Wasser, als würde eine unsichtbare Macht ihn locken.
Dags Herz raste.
Er konnte das nicht zulassen. Hier ging es nicht darum, ob er ein Mensch werden würde oder nicht. Sein Freund war in Gefahr. Er würde sterben. Sie würde seinen Albtraum real machen. »Das ist sie nicht.« , brüllte er abermals mit der Hoffnung, er würde ihn erreichen. »Bitte. Hör mir doch zu.« Dag war bereits beängstigend nah am Wasser.
Vincent, tief in seiner Illusion gefangen, nahm ihn jedoch weiterhin nicht wahr. Die Lamia hatte ihn vollkommen in ihren Bann gezogen.
Ihr Lächeln wurde breiter. Unnatürlicher. Ihre Züge begannen zu flimmern, als würde ihr wahres Ich versuchen, auszubrechen.
Dag war sich darüber im Klaren, dass er schnell handeln musste. Die Quelle war sein Tod, aber wenn er nichts tat, würde sein ...
... sein Bruder würde sterben.
Er musste kurz an das Versprechen denken, welches Vincent von ihm haben wollte. Dass er wegrennen sollte, statt ihm zu helfen. Niemals im Leben. Selbst mit der Gefahr genau vor ihm, war er nicht bereit, diesen Wunsch zu erfüllen.
Verzweifelt blickte er sich um und dann wieder auf das Geschehen. »Vincent. Nein.« , schrie er mutlos, als die Schönheit der Lamia nun sichtbar und Saskias Antlitz vollkommen verschwunden war.
Wie eine Schlange glitt sie über das Wasser. »Du gehörst mir.« , zischte sie. Ihre Stimme war kalt und bedrohlich, als sie ihre Hand nach ihm ausstreckte.
Mit dem Mut der Verzweiflung stürzte Dag nach vorne. Geradezu in die Quelle hinein. Er packte Vincents Arm und zog ihn zurück ans Ufer.
»Vincent. Wach doch auf Mann.« , brüllte er ihn an, nachdem er immer noch wie durch ihn hindurch blickte.
Dag verpasste ihm eine Ohrfeige und seine Augen weiteten sich plötzlich. »Was ...?« Er sah auf die Quelle und entdeckte die Lamia, die ihn grimmig und wütend anschaute.
Sie stieß einen ohrenbetäubenden Schrei heraus. »Du entkommst mir nicht.« Doch bevor sie zuschlagen konnte, brach eine gewaltige Welle aus dem Meer hervor. Ein massiver Strudel öffnete sich und aus den Tiefen erschien ... der Wächter. Er streckte seine riesigen, schattenhaften Hände aus und packte die Lamia mit einer solchen Kraft, dass sie nichts dagegen tun konnte, als sie in den Abgrund gezogen wurde.
Und dann war es still.
Die Jungs, die am Ufer lagen, standen auf. »Was ...?« Vincent sah sich um. »Du ... du bist nass. Du ...« Panisch betatschte er Dag. »Du bist in die Quelle gegangen.«
»Ich musste dich doch retten.«
»Nein. Du ... wie fühlst du dich? Merkst du was?« Vincent überfiel eine Angst, welche er noch nie zuvor verspürt hatte. Tränen schossen ihm in die Augen. »Ich bring' dich um, wenn du stirbst.«
»Das ... geht doch gar nicht.«
»Halt den Mund. So sollte das nicht laufen.« , keifte er ihn unter Tränen an. »Wenn du stirbst, wie soll ich dann ohne dich weitermachen?«
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Wir sind wie Brüder von verschiedenen Eltern
FanfictionDurch Zufall purzelt der junge Dag in das Leben von Vincent, der zuvor von einer wahren Freundschaft nur geträumt hatte. Mit ihm ist er jedoch auf Anhieb auf einer Wellenlänge und schnell werden beide unzertrennlich. Dag hilft seinem neuen besten F...