Sel, der irgendwie noch hagerer wirkte als gestern, stand vor Vincent und Dag. Seine Haut erschien auf irgendeine Weise leicht grünlich. »Ich hoffe, ihr seid bereit.«
»So lang' wir nicht draufgehen.« , meinte Dag dazu.
Der abgezehrte Kerl besah sich Vincents Mal, was immer noch deutlich zu sehen war. »Also ...« , startete er. »Um zur Quelle zu gelangen, müsst ihr erst einmal das Nebelmoor überqueren.«
»Nebelmoor?« , fragte Dag. »Ich dachte, es geht jetzt schnurstracks Richtung Quelle.«
»Falsch gedacht.«
»Was ist das Nebelmoor?« , wollte Vincent wissen.
»Wir müssen auf jeden Fall auf dem Weg bleiben.« , antwortete sein bester Freund. »Wenn nicht, werden wir verrückt ... oder ... verlieren uns in der Tiefe des Nebels.« Das war tatsächlich das Einzige, was er von diesem Ort wusste.
»Großartig.« , gab Vincent sarkastisch wieder. »Und dann?«
»Wenn ihr das Nebelmoor überlebt habt, wartet das Labyrinth.«
»Nee. Kein Labyrinth. Hatten wir schon.«
»Das ist was anderes, als die paar Gänge einer Lamia.«
»Heißt?«
»Es verändert sich ständig. Es ist kein typisches Labyrinth ... es ist gemischt mit dem ... wartet einfach ab. Ihr werdet keinen Unterschied merken.«
»Hatten wir schon.« , wiederholte Vincent.
»Ja, aber das hier spielt mit euren Köpfen. Nichts Dramatisches. Vielleicht einige Halluzinationen.«
»Wow. Toll.« Sein Sarkasmus war immer noch vorhanden.
»Welche Halluzinationen?« , wollte Dag wissen.
»Eventuell, dass eure eigenen Eingeweide mit euch sprechen. So etwas halt.«
»Sprechende Eingeweide?« Dag riss die Augen auf. »Könnte ich die auch ignorieren?«
»Kommt drauf an. Gegebenenfalls sagen sie dir ja auch, wo du lang musst.«
»Mein Darm flutscht aber dann nicht dabei raus und ...«
»Nein.« , gab dieser an. »Danach kommt der Wächter, der euch am Ausgang erwarten wird.«
Vincent hob eine Augenbraue an. »Und was genau ... ist dieser Wächter?«
»Das ... werdet ihr dann sehen?«
»Gefährlich?«
»Nein. Seine scharfen Klauen und Zähne hat er zum Winken und Lächeln.« Dieses Mal war es Sel, der den Sarkasmus in die Unterhaltung einfließen ließ.
»Und was machen wir gegen ihn?«
»Lebend an ihm vorbeikommen.«
»Sag bloß.« Vincent rollte mit den Augen. »Warum gibt es hier keine Blumenwiese, über die wir hüpfend und singend bis ans Ende gelangen müssen und fertig?!«
»Weil es hier nicht um einen Blumenstrauß geht. Ihr wollt ein Wesen menschlich machen. Das ist kein Zuckerschlecken und zudem seid ihr hier unten in der Dunkelheit. Was erwartest du hier also? Hier leben Albträume.«
»Trotzdem kann es doch auch ...« Er atmete tief ein. »Was kommt nach dem Wächter?«
»Nichts mehr. Nur die Quelle.«
»Niemand, der es bewacht?«
»Nein.«
»Sicher?« , hakte Vincent alldem ungeachtet nach. »Kein ... Seemonster ... oder ... Quellenmonster?«
»Nein.«
»Und da bist du dir absolut sicher?«
Sel nickte. »Da lebt nichts.«
»Warst du jemals da?«
»Nein.«
»Also ... sind das einzig Vermutungen von dir. Mehr nicht.« Vincent sah ihn ein klein wenig provozierend an.
»Da leben nicht mal Fische.«
»Und woher willst du das wissen?« , maulte er weiter. »Möglicherweise gibt es da Fische mit Klauen und Glubschaugen. Ich wette, da gibt es etwas Gefährliches. Hast du jemals ein verzaubertes Gewässer gesehen, bei dem nichts Böses lauert?«
»Ich werde allein die schwierigsten Dinge machen und auch meinetwegen kämpfen.« , sagte Dag. »Es geht ja um mich.«
»Klar. Und am Ende kommt so 'ne Armee untoter Karpfenkrieger.« , sprach Vincent.
»Mit Glubschaugen und Krallen?« , hakte sein Bester nach und schmunzelte ein wenig.
»Witzig Dag.«
»Hör auf die Quelle zu verfluchen.« , redete Sel nun dazwischen.
»Verfluchen?« , fragte er. »Sie ist doch schon magisch. Und was ist, wenn die Quelle Dag in 'nen Fisch verwandelt?«
»Ich werde dich dann nicht angreifen.« , meinte er.
»Darum geht's doch gar nicht. Ich mein', wie sicher ist diese Quelle? Verwandelt sie ihn wirklich in einen Menschen, oder ... kann es auch nach hinten losgehen?«
»Er wird das, was du bist. Es ist ja euer Blut, was sich mischt.« , sprach Sel. »Wenn du es aber mit Fischblut ausprobieren möchtest, dann bitte.«
»Es wird schon gut gehen.« , meinte dieses mal Dag.
»Wo wir dabei sind, du bist ein Monster, auch wenn du es gerade nicht vollständig bist, ist es noch in dir.« , redete Sel nun mit ihm. »Du darfst auf keinen Fall mit der Flüssigkeit so in Berührung kommen.«
»Aber ich soll's doch trinken.«
»Ja, aber nicht drin baden. Bloß nicht.«
»Weil?«
»Du dann sterben wirst. Es wird tödlich für dich enden.«
»Also soll ich es besser schöpfen?« , fragte Vincent.
»Wäre ratsam.«
»So einfach ist es dann wohl doch nicht.«
»Hat auch nie jemand behauptet.«
»Ja, aber ich dachte echt, wir gehen jetzt danach nur noch zur Quelle. Jetzt müssen wir aber noch durch ein Moor und anschließend irgendeinem Wächter gegenübertreten. Da kann ich mir halt einfach nicht vorstellen, dass an der Quelle nichts Böses auf uns lauern wird.«
»Denkst du ... sie ist noch hinter Vincent her?« Dag sah Sel an, als er ihm die Frage stellte, denn er hatte selbstverständlich bemerkt, dass sein bester Freund definitiv Panik hatte, auch wenn er das vertuschen wollte.
»Hast du sie gesehen?« , fragte dieser den Markierten.
Er schüttelte den Kopf. »Als wir hier angekommen sind? Nein.«
»Nein, ich meine ... so.«
»So? Was meinst du?«
»Das du annahmst, sie wäre ... echt bei dir.«
Vincent dachte sofort an seinen Traum. Im Gegensatz dazu schüttelte er dennoch seinen Kopf. »Nein.«
»Dann denke ich, habt ihr es überstanden.«
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Wir sind wie Brüder von verschiedenen Eltern
FanficDurch Zufall purzelt der junge Dag in das Leben von Vincent, der zuvor von einer wahren Freundschaft nur geträumt hatte. Mit ihm ist er jedoch auf Anhieb auf einer Wellenlänge und schnell werden beide unzertrennlich. Dag hilft seinem neuen besten F...