Amaya war bei Jayu geblieben, und ich hatte mich mit den Worten entschuldigt, mich wieder in die Akademie zurück ziehen zu wollen.
Mich zog es in die Bibliothek. Vielleicht war es dem, von Baumstämmen durchwachsenem Raum geschuldet, dass ich mich gerade dort gut aufgehoben fühlte und mein rasselnder Atem und beschleunigter Puls sich langsam zu beruhigen schienen.
Der große Raum war leer.
Ich setzte mich an eine, in den Fensterrahmen eingelassene Holzbank, welche von dicken, mit Federn gefüllten Kissen verziert war.
Ich wollte nicht lesen. Nicht sprechen.
Ich wollte, ich musste, in Ruhe und die Geschehnisse der letzten Tage und Wochen verarbeiten.
Und vor allem wollte ich den Anblick des dunklen Lochs vergessen, dem Tor, welches nach Tenebris führte.
Den Anblick des Kraters, welcher solch Abgründe auftat, von denen ich nicht einmal in meinen schlimmsten Träumen verfolgt werden wollte. Ein Anblick, der sich mir ins Gedächtnis gebrannt hatte, wie eine dunkle Narbe.
Ich genoß die Einsamkeit, die Stille, welche in der Bibliothek herrschte.
Ich grub mich tiefer in die Kissen ein und blickte aus dem Fenster. Die anderen Auserwählten der höheren Jahrgänge tummelten sich auf dem Gelände, lachten, kämpften und ihre verschiedenfarbigen Uniformen verschwammen mit der Abendsonne. Sie sahen so erfahren aus, sie grüßten sich freudig, als sie aufeinander zugelaufen kamen oder hatten es sich auf leichten Decken auf dem raschelnden Gras gemütlich gemacht.
Das laute Knarren der großen Holztür riss mich unsanft aus meinen Gedanken.
Dann betrat Nawin den Raum
Als hätte er mich gerochen, als spürte er, zu welcher Sekunde ich mich wo aufhielt. Lächelnd und langsamen Schrittes kam er auf mich zugelaufen.
«Hallo Ela.»
Sein aufrechter Gang schien so mühelos, während er die Stufen empor Schritt, welche zu mir führten.Ich lächelte ihm entgegen und versuchte, mein aufgebrachtes Inneres zu beruhigen.
«Hallo Nawin.»«Was machst du hier drinnen? Die schönste Stunde des Tages ist angebrochen.»
«Die gleiche Frage könnte ich dir stellen.» Ich rutsche vorsichtig zur Seite, da er sich zu mir setzte. Als wäre es selbstverständlich. Als würden wir uns schon Jahre kennen.
«Außerdem,-» fügte ich langsam hinzu, «-mag ich Sonnenaufgänge mehr.»
Er lehnte sich entspannt zurück. Seine erdbraune Uniform schmeichelte seinen grünen Augen und ich betrachtete die kleine Schnittwunde über seiner Braue, welche bereits gut verheilt war.
«Sonnenaufgänge sind schön. Sonnenuntergänge sind spektakulär.»
«Darüber können wir uns gerne streiten.»
Er betrachtete mein Gesicht, dann wanderte sein Blick hinauf zu meinen Haaren. Sanft, nicht aufdringlich, beobachtete er jede meiner Bewegungen.
«Ich würde mich nie mit dir streiten, Ela.»
Sein Lächeln war charmant. Kein normales charmantes Lächeln, es war ein Lächeln, welches einem die Knie zittern ließ und die Welt zum schwanken brachte.
«Du kennst mich doch überhaupt nicht.»
Die Worte rutschen regelrecht aus mir heraus, und klangen bei weitem tiefgründiger, als ich sie meinte. Ich bereute sie bereits, als sie meine Lippen verließen.
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The fifth Kingdom
FantasyIn einer Welt, aufgeteilt in Gut und Böse, lernt Elana Aledon an der Akademie von Ârames mit ihren elementaren Fähigkeiten zu kämpfen und die Welt vor dem Dunklen zu bewahren. Doch während die Unterwelt immer bedrohlicher und näherzukommen scheint...