✦ Kapitel 2 ✦

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Imgur war nicht gekommen, um die herausgebrochenen Holzdiele meiner kleinen Hütte am Rande des Sees zu reparieren.

Ich wusste, dass er stur war. Doch so lange hatte seine Wut mir gegenüber noch nie angehalten.
Ich hielt meine Hände an die wärmenden Flammen des kleinen Kachelofens, welcher in der Ecke der Hütte eingelassen war. Das Knacken der glühenden Holzscheite ließ meine Augen schwer und träge werden.
Ich hatte einen Haufen Münzen vor Imgurs Tür abgestellt, nachdem ich den Marktplatz verlassen hatte. Er war nicht wieder zu seinem Stand zurückgekehrt.

Anschließend war ich zum See gegangen und hatte trainiert.

Dabei hatte ich mich so schlecht gefühlt, wie noch nie zuvor.

Normalerweise liebte ich die stillen Abende in meiner kleinen Hütte, an welchen ich dasselbe Buch wieder und wieder lesen konnte, bis mir dieses zum Hals hinauskam.

Doch heute war das anders. Ich war angespannt, denn bald würden sie kommen - und auch meine Auseinandersetzung mit Imgur trug einiges zu meiner gedeckten Stimmung bei. Ich schnappte die löchrige Wolldecke von dem schmalen Bett, welches Imgur mir zum Einzug gebaut hatte, und zog sie über meine Füße.

Die Kerzen, welche ich überall in der Hütte entzündet hatte, warfen warme, wabernde Schatten an die Wände, an welchen ich meinen mageren Körper betrachtete.
Imgur kümmerte sich um mich, auch, wenn ich dies nie verlangt hatte - nie darum gebeten hatte. Und, obwohl er selbst kaum etwas hatte.

Dennoch sah man mir die Armut an. Ich hatte nie reich gelebt, doch war ich in einem stattlichen Steinhaus in der Hauptstadt des vierten Königreiches aufgewachsen.

Ich hatte eine Familie gehabt, bevor ich mich von ihnen abgewendet hatte.

Imgur hatte - so wie alle anderen - nie gefragt, wieso ich nach Veles gekommen war. Doch er war der Erste gewesen, den ich damals angetroffen hatte. Er hatte mich gesehen, vor vielen Jahren, über und über mit Narben und blauen Flecken bedeckt, hungrig und auf zitternden Beinen war ich am Hafen der kleinen Küstenstadt aufgeschlagen. Ich erinnerte mich noch daran, dass ich mehrere Tage gelaufen war. Ich erinnerte mich jedoch nicht mehr daran, wie viele es tatsächlich gewesen waren. Und obgleich Imgur nie selbst eine Familie gegründet hatte, so hatte er mich dennoch aufgenommen wie sein eigen Fleisch und Blut.

So still und schweigend, wie ich es selbst die meiste Zeit auch war. In mich gekehrt. Und ebenso wie ich, sprach auch er nicht gerne über Probleme, geschweige denn über die Dinge, die ihn belasteten.

Ich erinnere mich, wie ich die ersten Nächte schweißgebadet aufgeschreckt war - orientierungslos und mit Panik in den Augen. Denn ich hatte Angst, dass meine Familie nach mir suchen würde... dass er nach mir suchen würde.

Doch dies war nun neun Jahre her.

Und die Erinnerungen an meine Familie verblassten - das was blieb, waren die Albträume.

Nacht für Nacht, bis ich allmählich mit ihnen verschmolz.

Es war immer der gleiche Traum der mich Nachts aus dem Schlaf hochschrecken ließ.

Ich fiel in ein dunkles Loch, ein Loch aus Einsamkeit und Schmerz. Erst kurz bevor ich meine Augen öffnete, wurde es kalt und warm zugleich, ehe sich ein helles Licht um mich herum ausbreitete. Dann verflog die Angst. Dann fühlte ich mich sicher und geborgen.

Imgur. Dieses Licht war er für mich.


Ein lautes Klopfen an meiner morschen Holztür riss mich auf dem leichten Schlaf. Ich war vor dem Ofen eingenickt, die Decke noch immer um meine Füße gewickelt. Verschlafen öffnete ich die Augen und blickte mich um. Erneut hämmerte es gegen meine Tür.

The fifth KingdomWo Geschichten leben. Entdecke jetzt