-15- ➳ Er weiß es

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Langsam drehte ich mich zu meinem Vater um.
Es fühlte sich so an, als wäre die Zeit eingefroren, sodass ich alles überdeutlich wahrnehmen konnte.
Ich sah, wie Dad auf mich zu getorkelt kam, eine Flasche seines heiß geliebten Gesöffs in der Hand und wie Schweißperlen an seiner Stirn hinabrannen.

„Ich habe dich etwas gefragt, hm!" Er war laut, jeder sah zu uns hin, selbst aus den Augenwinkeln bemerkte ich, wie Clovy zusammenzuckte und ihre Augen groß wurden.
Wusste Dad etwa nicht, dass Clovy hier war? Hatte er sie in seinem Rauschzustand nicht gesehen?

„Nein, ich hole nur..."

„Verarsch mich nicht!" unterbrach mich mein Vater und kam mir noch näher. „Ich wusse' es schon länger, dass du wohl selbst die Kohle versäufst, Sophia..." Er torkelte leicht, konnte mir aber dennoch den Zeigefinger mahnend vors Gesicht halten.

„ich habe nicht..."

„Verarsch mich nicht!" Schrie er mich an und spukte mir seinen Speichel ins Gesicht. Bevor ich in irgendeiner Art und Weise antworten konnte, hatte er mich mit seiner Hand schon nach hinten geschubst. Auf den Stoß war ich nicht vorbereitet, stolperte über einen Stuhl und schlug mir den Kopf auf der Tischkante an.

Und da fing der Tumult an. Da ich den Tisch samt Gläser zu Boden gerissen hatte, sprangen die Besitzer des eben vergossenen Bieres auf, brüllten wütend herum und verlangten von meinem Vater Ersatz. Jemand schrie, als der erste Fausthieb sein Gesicht traf. Mir jedoch war so schwindelig, dass ich alles doppelt sah und mit den Händen den Kopf festhalten musste.
Es half mir keiner, alle waren in der Auseinandersetzung tätig, so musste ich mich mühsam alleine wieder auf die Beine kämpfen.

Tische und Stühle wurden umgeschmissen, Leute schrien sich gegenseitig an und verteilten Schläge. Jemand hatte die Theke gestürmt und das Bierfass aufgeschraubt, sodass sich das Gesöff nun auf dem ganzen Boden verteilte. Zwischendurch erkannte ich die dreckige Jacke meines Vaters inmitten des Tumults, doch er war mir egal.
Das einzige woran ich momentan denken konnte, war, dass ich Clovy hier raus schaffen musste.

Es schien als wäre die Anspannung die ganze Zeit zum Zerreißen gespannt gewesen und mit dem Schubser hatten sie alle endlich einen triftigen Grund zur Wutablassung gefunden. Ein Stuhl flog an mir vorbei und automatisch duckte ich mich. Mein Kopf brummte und ich musste mehrmals blinzeln, bevor ich wieder klar sehen konnte. Schmerzvoll drückte ich mit meiner Handfläche gegen meinen Hinterkopf. Ich spürte etwas nasses, das meine Haare verklebte. Doch darum müsste ich mich später kümmern, eine kleine Wunde würde mich nicht gleich umbringen.

„Clovy?" rief ich, als ich an dem Tisch, wo ich sie vorhin sitzen gesehen habe, ankam. Die Sitzfläche war leer und panisch drehte ich mich einmal um mich selbst. Wo war sie? Wenn sie inmitten des Tumults war, dann...

„Hier unten, junge Lady." Hörte ich die Stimme von Rina und erleichtert ließ ich mich auf die Knie fallen. Unter dem Tisch entdeckte ich sie zusammen mit Pietro und Clovy, die sich eng an die beiden Erwachsenen drückte.

„Sophia!" rief sie und streckte ihre Arme nach mir aus. „Warum tut Papa dir weh?" Ich sah die Tränen in ihren Augen und sofort zog ich sie in meine Arme. Ich wusste nicht, was ich ihr darauf antworten sollte, denn bisher hatte sich die Wut unseren Vaters nie gegen sie gerichtet und sie war zu jung um damit umgehen zu können, deswegen flüsterte ich nur leise in ihr Ohr: „Mir tut doch gar nichts weh. Indianer kennen doch gar keinen Schmerz. Wollen wir ins Bett? Das hier ist ein Spiel für große Menschen..." Sofort fing Clovy mit vor Schreck weit aufgerissenen Augen an zu nicken.

„Ich mag dieses Spiel nicht. Es sieht aus, als würden sie sich wehtun..." vertraute mir meine kleine Schwester an und wischte sich die Tränen weg. Ich tauschte einen Blick mit Rina aus, die dann meinte: „Lass uns wirklich ma' lieber gehn'. Isses nicht schon spät? Wir wolln' nicht noch Schwierigkeiten bekommn'..."

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