-21- ➳ Das Abendessen

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Die nächsten zwei Tage vergingen wie im Flug. Es kam mir so vor, als hätte ich nur einmal geblinzelt und schon wären 48 Stunden seit Eleanors Geständnis und Sams Rede vergangen. Morgens half ich meinen Geschwistern beim Anziehen und Essen vorbereiten, dann ging ich arbeiten und kaufte am Abend gelegentlich ein. Mum hatte ich zuletzt vorgestern gesehen, da sie Überstunden schob, damit wir Dads fehlendes Gehalt ausbügeln konnten. Das Thema um Dads Verschwinden hatte immer noch keiner angesprochen, obwohl er jetzt schon mehrere Tage weg war. Ein mulmiges Gefühl machte sich in meinem Bauch breit, wenn ich daran dachte, dass man ihn vielleicht in die Todeszone geschickt hatte, doch dann hätte man uns sicherlich Bescheid gegeben. Meistens durfte man noch einmal Abschied nehmen...

Ich verdrängte den Gedanken als ich mir meine Stiefel überzog. Stöhnend verzog ich mein Gesicht, als sich der Muskelkater bemerkbar machte, den ich vom gestrigen Putzen mit Bellamy zugezogen hatte. Diesmal waren wir nämlich in den hintersten Winkeln des Apartments unterwegs gewesen und hatten auch die Belüftungsschächte sauber gemacht. Während Bellamy nur die Bemerkung fallen gelassen hatte, dass man dieses Putzen als das tägliche Workout ansehen konnte und somit nicht mehr in den Sportetagen seine Kniebeugen machen brauchte, hatte ich innerlich beschlossen etwas sportlicher zu werden. Wobei dies wahrscheinlich nie der Fall sein würde, da ich als eine 2b weder die Befugnis hatte in den Sportzentren ab Etage 69 zu trainieren, noch die nötige Zeit oder Kraft hatte.

„Ich geh zur Arbeit! Pass auf dich auf, Sam." Rief ich und zog hinter mir die Tür zu. Nachdem Sam und ich miteinander geredet hatten, war es zwar etwas leichter für mich seine Beweggründe zu verstehen, doch meine Sorgen waren dennoch nicht weg. Es konnte so viel passieren, doch er hatte so erwachsen gesprochen, dass mir klar war, dass er sich diesen möglichen Konsequenzen sicherlich bewusst war. So schnell war mein kleiner Bruder erwachsen geworden...

Ich schüttelte meinen Kopf und wollte gerade den Aufzug betreten, als ich von einer bekannten Stimme abgehalten wurde: „Sophia! Warte mal!"

Überrascht drehte ich mich zu Eleanor um, die auf mich zu gelaufen kam. Sie trug schon ihr Arbeitskleid, woraus ich schloss, dass sie sich auch gleich auf den Weg zur Arbeit machte.

„Was machst du denn hier, Ellie?" fragte ich erstaunt, als ich sie zur Begrüßung umarmte.

„Ich wollte mit dir sprechen." Ich hatte meine beste Freundin seit unserem Gespräch vorgestern nicht mehr gesehen, doch das Strahlen in ihren Augen war geblieben.
„Was ist los?" hakte ich nach und schmunzelte leicht. Es war so anders, sie dauerhaft glücklich zu sehen. Aber es war gut.
„Louis hat heute früher frei, weil unser Hausherr mit seiner Frau außerhalb zu Abend isst und deswegen wollte er zuhause etwas für uns kochen. Du hast doch sicherlich Zeit, oder? Sam und Clovy sind natürlich auch eingeladen, Louis hat sogar Geschwister, die ungefähr in deren Alter sein müssten... Bitte, du musst kommen!" Sie sah mich so bittend an, dass ich lächelnd den Kopf schütteln musste und dann meinte: „Na klar, eine Einladung zum Essen schlage ich doch nicht aus. Sektor 1b und welcher Korridor, welche Wohnung?"

Nachdem Eleanor mir vor Freude strahlend die Daten genannt hatte, war sie mit den Worten, auf dem Markt noch etwas Wolle für Daisy kaufen zu wollen, da sie ihr das Stricken beibrachte, verschwunden.
Von ihrer Fröhlichkeit angesteckt, lächelte ich die ganze Fahrt nach oben und ich beim Umsteigen auf Leo traf, musterte sie mich befremdlich.
„Wer bist du und was hast du mit der Sophia der letzten Tage gemacht?" Prüfend pikste sie mir in die Seite und lachend sprang ich von ihr Weg. „Ich freue mich einfach, alles gut."
Über meine Antwort schmunzelte Leo, aber als ihr Blick dann an meinen Haaren hängen blieb, seufzte sie einmal auf und meinte kopfschüttelnd: „Okay, du bist wirklich Sophia. Denn keine andere würde ihre Haare so verzottelt herunterhängen lassen."
Die restliche Fahrt verbrachten wir damit, mir eine richtige Frisur herzurichten und den missbilligten Blicken der anderen Fahrgäste zu ignorieren. Und in solch einem Moment war ich einfach wunschlos glücklich. Meine Probleme erschienen weit weg und im Vordergrund stand das bevorstehende Treffen mit Eleanor und dem Jungen, der sie so glücklich machte und aber auch, dass ich auch Leo zu meinen Freundinnen zählen konnte.

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