-34- ➳ Eine andere Welt

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Ich hatte noch nie so viel Angst, wie am folgenden Tag, als ich im Aufzug stand und mit jeder vergehender Minute meiner Arbeitsstelle und somit Liam näher kam.

Ich fürchtete mich davor, was er machen würde, falls wir wieder aufeinander trafen.
Er wusste ganz genau, dass ich die Dokumente hatte, oder besser gesagt gehabt hatte. Denn nun waren sie nichts weiter als ein Häufchen Asche auf dem Kehrblech.
Mum hatte kein einziges Wort seitdem mehr verloren, selbst Dad schien sie vergessen zu haben, wenn man sie dabei beobachtete, wie sie ohne mit der Wimper zu zucken zur Arbeit ging und wiederkam.

Doch all meine Ängste erwiesen sich als unbegründet, als ich in die Küche geschickt wurde und mir Margarete schon entgegen kam und dabei rief: „Sophia! Warum bist du denn heute bei mir? Selbst Justice wurde woanders eingeteilt...."
Verwirrt hielt ich inne und strich mir unsicher über meine Schürze.
„Warum denn das? Ist Justice nicht immer hier?"
Margarete schüttelte den Kopf und legte eine Hand auf meinen Rücken. Während sie mich an den anderen Küchenhilfen entlangführte, erklärte sie mir: „Nein, Mr. Payne, sowie der Sohnemann sind in den Skyscraper Nord 39 zu einer Besprechung. Mrs. Payne isst auswärts. Du musst heute also kein Brot schneiden, aber hmm... was machen wir denn nun mit dir?"

„Skyscraper Nord 39?" fragte ich leicht betröppelt und blinzelte. In meinem Kopf klingelten die Glocken, doch mir wollte nicht klar werden, was mir mein Unterbewusstsein damit sagen wollte.
Denn in meinem Kopf feierten momentan die Gefühle eine Party, dass ich somit Liam für heute aus dem Weg gehen konnte.
„Ja, ganz spontan. Sie sollen auch erst in ein paar Tagen wiederkommen... Weißt du was? Somit haben wir endlich genügend Zeit die Einkaufslisten für die Abendveranstaltung zu überarbeiten und zu planen. Komm mit!"

Und so kam es, dass ich den ganzen Vormittag zusammen mit Margarete und einer anderen Küchenhilfe im Aufenthaltsraum saß und mich durch die ellenlange Liste arbeitete.
Als sie die Einkaufsliste erwähnt hatte, dachte ich, dass wir einfach ein paar Sachen abhakten brauchten und sie dann wieder wegheften könnten.
Doch ich hatte falsch gedacht.
Denn anscheinend lief auch das hier oben ganz anders ab als bei uns.
Die Einkaufsliste, war kein einfacher Zettel, sondern umfasste fünfundfünfzig Seiten akribische Auflistung von einer noch so kleinen Zutat. Allein fünf Seiten nahmen die verschiedenen Weinsorten ein, die zusammen mit dem Entstehungsjahr, Sorte, den Bräu-Skyscraper, sowie den Händler vermerkt stand.
Margarete gab uns dazu noch einen anderen Stapel Blätter auf denen schon die bereits bestellten Sachen standen. Und dann hatte ich die Ehre, die beiden Liste zu vergleichen, um somit einen Überblick zu schaffen, welche Lieferung noch ausstanden und welche erst noch bestellt werden mussten.
Zwischendurch fragte ich mich, was es mit all diesen komischen Namen, die ich noch nie in meinem Leben gehört hatte, auf sich hatte. Auch wurde mir nicht klar, warum man zehn verschiedene Sorten Weintrauben brauchte, um sie mit mehreren verschiedenen Sorten Käse zu kombinieren. Vielleicht fehlte mir in dieser Hinsicht auch einfach nur die Erfahrung...

Als ich nach vier Stunden umblättern, lesen, vergleichen und abhaken endlich meinen Stapel durchgearbeitet hatte, lehnte ich mich seufzend in meinem Stuhl zurück. Das Mädchen mir gegenüber warf mir einen schnellen Blick zu und konzentrierte sich dann wieder auf ihren Stapel, den sie auch schon fast durchgearbeitet hatte.

„Margarete hat eine Käseplatte für uns in den Kühlschrank gestellt." Meint sie, ohne jedoch hochzuschauen. Überrascht sah ich sie an, da ich nicht damit gerechnet hatte, heute etwas anderes zu bekommen als das altbekannte Sandwich oder dass das Mädchen überhaupt mit mir redete.

„Ich hole sie, dann kannst du auch etwas essen." Meinte ich nach einer kleinen Pause und stand auf. Tatsächlich gab es eine kleine Käseplatte im Kühlschrank, von der ich die Folie zerrte und in die Mitte des Tisches, zwischen den Blätterstapeln, stellte.

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