-14- ➳ Christopher

5.6K 529 76
                                    

Es war nicht schwer, seine Wohnung wiederzufinden. Früher waren El und ich regelmäßig hier, als wir alle drei noch zusammen gespielt und unsere Eltern gearbeitet hatten.
Doch diese Zeiten waren schon seit langem vorbei.

Selbst als wir vor ein paar Jahren noch zur Schule gingen, war der Kontakt abgebrochen. Christopher suchte und fand schließlich andere Freunde. Ich wusste lange nicht, wie weit er eigentlich schon in deren Machenschaften reingezogen wurde, bis Eleanor vor ungefähr zwei Wochen mit der Idee der gefälschten Prüfbescheinigungen ankam.

Eleanor war diejenige gewesen, die zu Christopher gegangen war und alles geregelt hatte. Mir war es vollkommen egal, wie und wo er diese täuschend echt wirkenden Fälschungen her hatte oder wo er gelernt hatte, sich in das System einzuhacken, um uns als Bestanden um registrieren zu lassen, doch was mir nicht egal war, war dass er meinen kleinen Bruder in diese dunkle Welt reinzog, die nichts als Ärger bedeutete.

Denn ich hatte Christophers Handschrift erkannt. Vielleicht lag es schon Jahre zurück, als wir nebeneinander auf der Schulbank gesessen hatten, aber kein anderer konnte so krakelig, aber gleichzeitig seine Initialen so geschwungen schreiben. 

Einmal atmete ich tief ein und klopfte dann, mit dem Zettel in der Hand, an der Tür an. Ich hörte, wie etwas zu Boden fiel und daraufhin jemand fluchte. Stirnrunzelnd verschränkte ich meine Arme und drückte mein Rückgrat durch. Im nächsten Moment wurde quietschend die Tür aufgerissen und vor mir stand Christopher.

Er sah genauso aus, wie ich ihn mir immer als erwachsende Person ausgemalt hatte. Breite Schultern,  ein Kopf größer als ich und die dunkelblonden Haare waren wie früher kurz geschnitten.

„Wenn das nicht mal die Sophia Smith ist. Wenn du da bist, um Beileid auszusprechen, muss ich dir leider sagen, dass meine Mutter schon seit drei Monaten tot ist."

Ohne ihm zu antworten nutzte ich den Überraschungsmoment und drückte mich an ihm vorbei in die Wohnung. Da er in einer höheren Etage wohnte, war die Wohnfläche etwas größer und moderner. Sogar eine gemütlich aussehende Couch fand im Raum Platz und auf dem Boden lagen Scherben einer Vase. Dies war wohl auch die Ursache des Lärms gewesen.

„Na klar, dann komm halt rein, alte Freundin. Du kannst dir natürlich auch ohne zu fragen den Kuchen nehmen, den ich heute zum Geburtstag bekommen habe... Du musst mir nicht einmal gratulieren..."

„Christopher..." unterbrach ich ihn wütend und stemmte meine Hände in die Seite. Ich drehte mich zu ihm um und blickte ihn mit zusammengekniffenen Mund an.

„Ist ja schon gut, das war gelogen, ich habe erst in einem Monat Geburtstag..." Er hob beide Hände und verdrehte genervt die Augen.

„Um ehrlich zu sein, störst du mich gerade bei... Beim Lesen... Also könntest du vielleicht irgendwann anderes Mal vorbei schauen?"

„Seit wann liest du, bitteschön? Eher störe ich dich bei deinen illegalen Machereien." Schnaubte ich und sah mich um. „Wo hast du denn all die Sachen dazu versteckt? Vielleicht im Geburtstagskuchen?"

Christophers Miene änderte sich schlagartig und bedrohlich flüsterte er: „Nun liebe Sophia, denk daran, dass diese illegalen Machereien dir und deiner besten Freundin so einiges ermöglicht haben und nun verschwinde, bevor ich mir nicht überlege, ob ich eure Bestätigungen aus dem Regierungssystem wieder entferne..."

Ich versuchte mich nicht einschüchtern zu lassen, obwohl mein Herz doppelt so schnell wie sonst schlug und mir der Raum auf einmal bedrohlich klein bei seiner Größe vorkam.
Dennoch gab ich nach außen hin ein hoffentlich selbstbewusstes Bild ab.

Ich straffte erneut meine Schultern und reckte mein Kinn, damit ich mich nicht ganz so unterlegen fühlte: „Ich gehe, aber erst einmal erklärst du mir das hier!" Ich drückte ihm den Zettel in die Hand, den er leicht verwirrt auffaltete und durchlas.

SkyscraperWo Geschichten leben. Entdecke jetzt