-40- ➳ Beste Freundin

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Ich wusste nicht, woher die Erinnerungen auf einmal kamen, aber plötzlich - einfach so - waren sie da.

Eleanor war da.
Christopher war da.
Ich war da. Nur um einiges jünger.
Damals saßen wir noch zusammen auf einer notdürftig zusammen geschraubten Bank und unsere Lehrerin, die nur wenige Jahre später gestorben war, stand jung und frisch vor uns, begrüßte jeden einzelnen und startete eine Vorstellungsrunde.
Ich erinnerte mich noch daran, wie Christopher zusammen mit seinem Bruder nach vorne gestürmt war, wie sie sich lachend darum gestritten hatten, wer anfangen durfte und dass unsere junge Lehrerin heillos überfordert war.
Ich erinnerte mich an all die kleinen Momente.
Ich erinnerte mich daran, wie Eleanor und ich eng beisammen auf unsere kleinen Kreidetafeln unsere Namen geschrieben haben, wie Christopher plötzlich durch meinen mit Mühe aufgeschrieben Buchstaben gekritzelt hatte und sein Bruder Eleanors Wangen mit der Kreide angemalt hatte. Wir hatten geschrien, versucht uns aus ihren Händen zu befreien und zum Schluss ging mein kleines Täfelchen zu Bruch.
Es war ein furchtbares Durcheinander gewesen.
Doch es war auch der Anfang von unserer Freundschaft.

Christophers Zwillingsbruder starb nur zwei Monate später und ich konnte mich noch genau an unseren letzten Moment, einen Tag vorher in der Schule, erinnern.
Er hatte zum ersten Mal ohne Fehler einen Satz aufgeschrieben und voller Freude waren seine Wangen rosig geworden.
Meine letzten Worte an ihn jedoch waren, dass ich Christopher viel lieber mochte als ihn, da dieser uns nicht mit Kreide bemalen würde wie er.

Seit diesem Moment wusste ich, wie wichtig die letzten Worte eines Gespräches waren.
Wie viel sie ausmachen konnten.
Denn sie könnten die letzten sein.

Meine letzten Worte zu meinen Geschwistern waren ‚Bis nachher'.
An Eleanor ‚Bis bald.'

Ich sah immer noch, wie ihr Armband im Licht glitzerte, wie sie mich lächelnd umarmte.
Ich sah sie, wie sie wie in Zeitlupe mit Louis verschwand.
Ich sah ihr Armband noch ein letztes Mal funkeln.

Und dann war wieder alles schwarz.

Bis jemand brutal den Lichtschalter anschaltete.
Die Schmerzen überrollten mich förmlich und stöhnend drehte ich mich auf die Seite.

Erst nach einigen Sekunden merkte ich, wie sehr ich nach Luft japste und wie schnell mein Herz schlug. Nur blinzelnd konnte ich meine Augen öffnen, selbst der kleinste Wimpernschlag jagte höllische Schmerzen durch meinen ganzen Kopf.
Verschwommen starrte ich auf meine Aussieht, erkannte aber nichts.
Nichts weiter als grau.

Schleppend drehte ich mich auf meinen Rücken und konnte mir ein Stöhnen nicht unterdrücken. Nach ein paar weiteren hektischen Atemzügen, sowie Blinzeleien, klärte sich mein Blick und ich starrte an eine schlecht verputzte, graue Decke.

Was zur Hölle war passiert?

„Sieh mal einer an, Ms. Plan A ist nun auch endlich aus ihrem Dornröschenschlaf aufgewacht. Hat dir der liebe Prinz nicht gesagt, dass diese Realität noch beschissener ist, als die allumfassende Schwärze, die so ein Schlag auf den Kopf bewirken kann?"

Sofort schoss ich mit meinem Oberkörper nach oben. Die ruckartige Bewegung löste nur weitere Schwindelgefühle bei mir aus und bevor ich mich versah kam mir meine letzte Mahlzeit wieder hoch. Ich schaffte es gerade so nur noch mich zur Seite zu drehen, um mich nicht selbst anzuspucken.

„Das ist nicht dein Ernst, oder? Oh Gott... das glaube ich doch nicht! Jetzt reiherst du hier auch noch alles voll... Oder war dein schlechter Plan mit diesem scheiß ekligen Geruch die Wächter umzuhauen?"

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