Kapitel 2

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Ich sah wieder zu den beiden, genau in dem Moment, als sie zum gegenseitigen Angriff ansetzten...

Ich reagierte schnell und mal wieder instinktiv. Es schien alles in Zeitlupe zu passieren. Ich knallte die Zimmertür, die hinter mir war, zu und sah die beiden an. "Seid ihr eigentlich völlig bescheuert!?!", brüllte ich nahezu und Seth zuckte zusammen und sah mich an. Carlos seinerseits nutzte die Ablenkung Seths aber nur aus. Dieser IDIOT!

"Lass ihn in Ruhe!", sagte plötzlich eine klare Frauenstimme von hinter mir deutlich gereizt und ließ die Tür wieder zu fallen. Ich drehte mich um und erwartete die blonden glatten Haare meiner großen Schwester mich, aber stattdessen stand Leah vor mir. Sie starrte in Richtung der Jungs und ich drehte mich wieder zu ihnen. Wie zum Henker war sie hier herein gekommen? Carlos war Seth mächtig auf die Pelle gerückt und so wie es aussah, hätte er ihn fast gebissen. Ich fing an zu schnaufen. "Wag es nicht! Lass deine vermaledeiten Zähne von ihm!", sagte ich und stand mit einem Satz neben Seth und schubste Carlos ein Stück weg. "Lass ihn in...", ich wurde unterbrochen: "Wir müssen zum Rudel", sagte Leah um uns von unserer Auseinandersetzung abzubringen und ich nickte, griff nach Seths Hand. Ich zog ihn mit nach oben und hörte Leah noch kurz mit Carlos reden. Kurz danach war ich auch schon auf dem Weg in den Wäschekeller um meiner Mutter 'Tschüss' zu sagen und sie zu informieren, dass ich die nächsten Tage bei Seth bleiben würde. Dadurch das jetzt ja Ferien waren, ging das klar. Ich war überglücklich. Endlich konnte ich ein paar Tage vollständig im Rudel sein. Aber irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass ich hier bleiben sollte. Zu Hause. Meine Familie vor diesem bleichen Monster beschützen. Immer noch hin und her gerissen zwischen den zwei Seiten, verließ ich das Haus. Draußen standen Jake und Mex. "Hey Al", sagte Jake. "Hey Jake", antwortete ich lächelnd und umarmte ihn. "Hey Ally", sagte Mex und ich begrüßte auch ihn. Allerdings nicht mit Umarmung oder ähnlichem. Ich sagte ihm einfach 'Hallo' und griff dabei nach Seths Hand. Wir verhielten uns halt beide etwas verhaltener, nach dem was er verursacht hatte. "Wir werden das Haus, also hauptsächlich den Vampir und deine Familie, bewachen", sagte Jake und ich nickte dankend lächelnd. "Leah ist schon mal vorgelaufen", fügte er noch hinzu als auch Seth und ich uns in Bewegung setzten. Wir gingen ein Stückchen. Die leichte Brise die immernoch durch die Straßen unserer kleinen Stadt wehte, hob meinen Rock leicht an und ich versuchte jedes Mal dagegen anzukämpfen.

Es dämmerte schon und Seth und ich betraten den Wald. Ich sah mich um und machte wieder einen kleinen Satz nach vorne. Schon stand da anstelle von mir eine helle Wölfin und anstelle von Seth, der sich auch verwandelt hatte, ein hübscher atemberaubender Wolf, dem es anscheinend mal wieder zu heiß war. Er hechelte. Wie ein Hund. Wäre ich noch in Menschengestalt gewesen hätte ich wahrscheinlich losprusten müssen, aber in Wolfsgestalt ist das etwas schwieriger... Seth und ich gingen eine Weile und irgendwann begann ich zu laufen. Seth, der meinen Rucksack mit den Klamotten für die nächsten Tage im Maul hielt, rannte neben mir her.

Bei den anderen Wölfen angekommen, nachdem Seth meine Sachen in sein Zimmer brachte, machten wir uns auf den Weg. Wohin?! Keine Ahnung... Wir liefen einfach in Wolfsgestalt die Grenzen ab. Als ob wir patrouillieren würden. Aber wir hatten dabei Spaß. An meiner Lieblingsstelle angekommen, setzten wir uns einen Augenblick hin. Es war ein kleiner Felsvorsprung über dem riesigen Graben durch den ein kleiner Bach floss. Die Blätter raschelten angenehm leise auf dem Boden, bei jeder kleinen Böe die vorüber zog und das Mondlicht viel gedämpft auf uns herab. Es war eine wunderschöne Mondsichel, die neben Abertausenden von Sternen den klaren wolkenfreien Nachthimmel zierte und alles in wunderschönes silbriges Licht tauchte. Ich lehnte mich an Seth und kuschelte meine kalte Nase in sein dickes kuscheligweiches Fell. Ich drückte mich weiter an ihn, als er begann seine Nase in die Luft zu strecken und zu jaulen. Ich stieg kurz darauf mit ein. Es war kein bestimmtes Jaulen. Kein wir-brauchen-irgendwas-Jaulen oder ähnliches. Es war einfach nur ein Heulen, weil es so schön war. Wir beide verstummten kurz und sahen uns an. Umgeben von Wolfsgeheul, der Wölfe, die in das Lied der Wölfe mit eingestiegen waren. Es war wunderschön und wäre ich eine Katze gewesen hätte ich höchstwahrscheinlich angefangen zu schnurren, aber so, saß ich einfach nur da und genoss das wunderbare 'Lied der Wölfe' von dem uns Billy vor ein paar Tagen erzählt hatte. Ich hörte nahezu seine Wörter in meinem Kopf widerhallen:

'Die Wölfe sangen.
Den Wolf singen zu hören, ist ein Erlebnis von einzigartiger, sinnlicher Wildheit. Eine Stimme von unwirklicher Macht, unheimlich, unmenschlich. Aber nicht unnatürlich. Denn sie ist das Wesen dieses Geschöpfes Wolf: seine Seele, sein Dasein, seine Wahrheit. Ein überweltliches Lied, aus Jahrtausenden vor unserer Zeit. Elementar. Ein lebendiger Ruf aus der Vorzeit. Sprache der Schöpfung.

Der Wolf sang für die stolzen Berge.
Der Wolf sang für alle Wesen der Welt.

Sein Lied war Liebe.
Liebe zur Erde, zum Leben.
Es war die Wahrheit seiner Seele, ein endloser Strom.
Damals, bevor das Eis kam.
In den Tagen von Dirus, dem Großen Wilden Wolf.

Wer solche Liebe nicht hat, kann nicht singen.
Und nennt den Gesang böse und fremd.
Ein solcher war Rufus. Rufus, der Tyrann. Der Zerstörer.
Er und seine Jünger verboten das Singen.
Jahrtausende lang war der Nachthimmel öde und leer.

Aber der Strom floss weiter, Gestern und heute verbindend.
Dirus kehrte zurück.
Lange suchte er, unbeirrt.
Der Geist seines Liedes war lebendig und da.
Endlich erlöst, schwoll seine Kraft.
Der Wolf war frei, und die Erde vollkommen.

Der Wolf singt für die stolzen Berge.
Der Wolf singt für alle Wesen der Welt.'

Seth drehte seinen Kopf zu mir. Es sah aus als würde er grinsen. Per Gedanken ließ er mich wissen, dass wir mal zum Rudel gehen sollten und langsam und gemütlich setzten wir uns in Bewegung. Entspannt spazierten wir durch den Wald und ich musste die ganze Zeit über 'das Lied der Wölfe' nachdenken. Irgendwas faszinierte mich an ihm oder seiner Geschichte. Es veranlasste mich jedesmal, wenn wir es sangen, zum träumen. Und mal wieder begann ich zu träumen. Aber ich ging dabei immer weiter. Bis ich irgendwann von einem harten Schlag auf meinen Kopf aus meinen Gedanken gerissen wurde.

'AU!', dachte ich und Seth stand direkt neben mir, aber in Menschengestalt. "Alles gut?", fragte er und ich verwandelte mich zurück. Mir den Kopf haltend antwortete ich: "jaja... Alles gut", ich lehnte mich an den Baum an meiner Seite. Seth sah mich an und begann zu grinsen und zu lachen. Ich sah ihn an: "Jajaja... Ich weiß... Es ist Ur-komisch, das Ally, nur weil sie träumt, gegen einen Baum läuft..." Da musste ich selbst auch anfangen zu lachen.

Nun standen wir da.

Lachend.

Weil ich gegen einen Baum gelaufen war. Ich schaffte es echt jedes Mal, mich selbst zu toppen...

Wolves - Eine von ihnenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt