Sienna fühlte sich verdammt unwohl. Vor ihr war die planlose Assassine und hinter ihr ein Vampir, der vorübergehend einem Waffenstillstand zugestimmt hatte.
Auch wenn sie darauf vertraute, dass er sein Wort hielt, wollte sie ihm nicht den Rücken zudrehen. Dass er das wusste, machte die ganze Lage noch unausstehlicher.
Doch Sienna hatte keine andere Wahl, sie musste hinter Thea bleiben und sie im Notfall verteidigen, sonst würde sie hier bei ihrem Glück auf ewig herumirren. Thea murmelte unverständliche Worte vor sich her, aber Sienna ignorierte das gekonnt. Wenn sie auf jede Sache, die die Assassine ohne Bedeutung von sich gab einen Stein bekommen würde, hätte Sienna jetzt schon ein Schloss mit einem Verteidigungswall aufstellen können.
Sie behielt den Weg vor sich im Blick, so weit es mit ihrer kleinen Flamme eben möglich war und hielt nach Feinden oder Fallen Ausschau.
Immer wenn Sienna den Vampir beinahe ausgeblendet hatte, was nie ganz ging, da er eine sehr dominante Präsenz besaß, stieß er gegen ihre mentalen Barrieren. Sie wusste nicht, ob er das extra tat oder nur aus Gewohnheit, jedoch machte sie das zunehmend nervös und sie war kurz davor ihn anzufahren.Das entsprach überhaupt nicht ihrem üblichen Benehmen. Sienna behielt immer einen kühlen Kopf. Sie war immerhin die Eiskönigin! Aber seit Antritt dieses Auftrags war nichts so, wie sie es gewohnt war, weshalb sie dem Ende dieser Reise sehnend entgegen blickte.
Thea zitterte auf einmal.
»Da ist es.«
Sienna sah sich um, konnte aber nichts entdecken.
»Wo?«, fragte sie.
Thea deutete vor sich, als wäre das offensichtlich.
Sienna blickte nur auf eine leere Wand, sie waren an einer Sackgasse angelangt. Sie musterte die Wand, fand aber nichts. Sicherheitshalber wand sie sich an den Vampir hinter sich, doch sein Gesicht war ausdruckslos. Also von ihm konnte sie keine Hilfe erwarten.
»Ich seh da nur ne kahle Wand, wie jede andere hier.«, gab Sienna mürrisch wider.
Thea schüttelte vehement den Kopf.
Wenn sie hier nur schauspielte würde Sienna sie in Grund und Boden stampfen.»Das ist die Tafel.«
»Was?«
Nun mischte sich auch dieser Vampir an.
»Ich denke, sie versucht uns gerade zu sagen, dass diese Wand die Tafel ist.«
Thea nickte erfreut. Auf einmal hatte sie wohl ihre Sprache verloren, für Siennas Nerven kam das jedoch zu spät.
Sie warf noch einmal einen scharfen Blick auf die Wand und erhöhte die Breite der Flamme in ihrer Hand, um mehr sehen zu können. Trotzdem erkannte sie nichts verdächtiges oder gar ungewöhnliches an der Steinwand.
»Du willst mir also sagen, dass das«, Sienna sah abwertend zu der Wand,
»die Tafel sein soll. Nehmen wir mal an, es wäre so. Wie bei allen Drachen sollen wir dieses Koloss denn transportieren? Es ist ja nicht so, als könnte ich mir das in die Tasche stecken oder Mal kurz unter den Arm klemmen. Scheiße, wie sollen wir die Tafel überhaupt von der Stellen bewegen? Und eine Tafel Schätzchen, ist das bestimmt nicht.«Jetzt wusste Sienna, wieso sie nicht auf noch einen Wächter getroffen sind. Wie schafft man denn eine unbewegbare Wand aus einem geschlossenen Tor? Das war das wahre Hindernis.
Sienna hatte das Bedürfnis irgendjemanden jetzt heftig gegen die Wand zu donnern. Am liebsten ihre Mutter, die ihr das alles aufgehalst hatte.
Thea schwieg immer noch und der Vampir amüsierte sich bestimmt prächtig an ihrer Misere.
Dieser Auftrag war einer der Dinge, die Sienna am liebsten nie angenommen hätte. Da sie normalerweise ihre Handlungen nicht bereute und es bei diesem hier doch tat, war es noch weitaus unangenehmer das alles durchzustehen.Sienna ließ einmal alle Finger knacken und lief dann zur Wand. Dann spreizte sie ihre Hände und lehnte sie gegen die Mauer.
Mit letzter Hoffnung fragte sie an Thea gerichtet:
»Hierfür hast du keinen Trank, oder?«
Die Assassine verneinte.
Sienna überwand ihren Stolz und wand sich an den Vampir.»Und du? Hast du ein Ass im Ärmel?«
Verwundert blickte er zu ihr hin.
Er sah ihr lange unverwandt in die Augen, ihm war wohl klar, dass sie ihn in ihrer Not um Hilfe gebeten hatte. Und er erschien Sienna auch ernsthaft über etwas nachzudenken, doch auch er gestand ein, dass er nicht weiter wusste.Na gut, dann musste das wohl sein.
Sie drehte sich zurück zur Wand, konzentrierte sich und sammelte ihr Kräfte, denn das was sie jetzt vorhatte würde viel von ihr abverlangen und sie danach schwach und anfällig zurücklassen.»Assassine ich werde dir diese verdammte Tafel besorgen, aber dafür wirst du mir einen Gefallen schulden, den ich wann ich will einfordern werde und der nach meinen Bedingungen ausgelegt sein wird. Bist du damit einverstanden?«
Die Assassine haderte kurz mit sich selbst, doch dann blickte sie ihr tief in die Augen und nickte einmal.
Sienna wappnete sich auf den Schmerz und rief in sich alle Kraft zusammen, die sie aufbringen konnte und die seit zwei Jahrhunderten unangetastet in ihr schlummerte.
Die Magie bahnte sich ihren Weg langsam aus ihrem Inneren zu ihren Händen und hinterließ auf ihrem Weg ein unangenehmes Kribbeln. Sie betete zu wem auch immer, dass es ihr diesmal möglich war die Kraft zu kontrollieren. An einen anderen Ausgang wollte Sienna lieber nicht denken.
Das Kribbeln wurde immer stärker und entwickelte sich zu einem schmerzlichen Stechen. Ihr ganzer Körper schrie sie förmlich an damit aufzuhören, doch Sienna hielt dem Druck stand und ließ noch mehr Magie aufwabern. Ihre Hände begannen langsam in einem neon grün zu leuchten. Für einen Moment irritierte sie die Farbe, sie hatte ein strahlendes Rot in Erinnerung gehabt, aber auf ihren Rückblick war zu den gegebenen Umständen damals kein Verlass.
Als Sienna spürte, wie ihre Haut an Armen und Händen sich äußerst schmerzhaft dehnte, war ihr klar, wenn sie es nicht rechtzeitig schaffte die ganze Magie in die Tafel zu entladen, sie aufplatzen würde wie eine überreife Tomate.
Die ersten Hautrisse öffneten sich und ihr dunkles Blut suchte sich seinen Weg in die Freiheit. Langsam sickerte es an ihren Armen entlang und tropfte auf den trockenen Boden, wo es begierig aufgesogen wurde.
Verdammt, genau wie damals!
Hatte sie sich den kein Stück verbessert? Sie sollte endlich im Vollbesitz ihrer Kräfte sein und nicht ihr Lebenselexier auf dem Boden vergießen.
Mit einem letzten Atemzug entließ sie die angestaute Magie in die Tafel. Wie ein Raketenschuss flog ihre Kraft in das Gestein und mit einem lauten, hellen Knall wurde sie von der Wand geschleudert. Sienna bekam nicht mehr mit, wie sich die Hände des Vampire um sie wickelten und er ihren Sturz abfederte.
Sie verlor das Bewusstsein.
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Drachenblut
FantasySienna ist ein Drachenmischling und damit die letzte ihrer Art. Verstoßen von den Drachen, widmet sie ihr Leben dem Söldnerdienst. Doch auf einmal steckt sie tief in der Patsche, weil sie die Braut eines Unsterblichen gefoltert haben soll, sie muss...