Kapitel 1

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Ich lege mein Tagebuch, frustriert nicht einen einzigen Eintrag geschrieben zu haben, beiseite. In diesem Moment höre ich ein ungeduldiges Klopfen an der Tür. Ich bin mir nicht sicher, wer es sein könnte. Seit ungefähr zwei Wochen habe ich keinen wirklichen Kontakt zu irgendjemandem außerhalb meines Hauses. In letzter Zeit habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, Jeremy zu betreuen. Für ihn ist es nach wie vor sehr schwer mit Jennas plötzlichen Tod klarzukommen. Und mehr habe ich eigentlich nicht gemacht. Irgendwie erschien es mir nicht wichtig, einen Fuß vor die Tür zu setzen.

Bonnie, Rick und Damon sind, wie mittlerweile gewohnt, auf Stefan-Patrouille. Bonnie versucht mit Hilfe von Lokalisierungszaubern bisher vergeblich Stefan aufzuspüren. Auch Damon und Rick tun ihr Bestes, um zu helfen, indem sie Klaus Spuren verfolgen. Ich bin die Einzige, die bei der Suche nutzlos ist und das macht mich noch viel wütender.

Wir müssen Klaus finden, ihn töten und Stefan vor sich selbst retten, soviel ist mir bewusst. Doch ich weiß nicht, wie ich das Ganze durchstehen soll. Würde ich damit klarkommen, was aus Stefan geworden ist? Würde ich damit leben können, dass er skrupellos hunderte von Menschen getötet hat? Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht, und genau das macht mich ja so verzweifelt.

Was ich jedoch weiß, ist, dass ich mit niemandem reden möchte. Ich lasse mich rückwärts und ein wenig erschöpft auf mein Bett fallen und schließe die Augen.

Plötzlich ertönt erneut ein ungeduldiges Klopfen, diesmal direkt aus der Nähe. Ich setze mich wieder aufrecht auf mein Bett und bemerke, dass Damon auf der Fensterbank hockt und mich etwas unsicher anlächelt. Ich öffne automatisch das Fenster und lasse ihn herein, obwohl mein Wille zu einer Unterhaltung noch immer nicht existiert. Er sieht in seiner schwarzen Lederjacke, den schwarzen Jeans und seinen vom Wind leicht zerzausten schwarzen Haaren mal wieder umwerfend aus. Ich weiß, dass ich das nicht denken sollte, doch es ist nun mal eine Tatsache.

„Also habe ich unsere verschollene Elena endlich gefunden", bemerkt er, geht an mir vorbei und lässt sich lässig auf mein Bett fallen. Ich weiß, dass er witzig sein will, doch ausnahmsweise haben seine Scherze bei mir nicht die erzielte Wirkung.

„Ich will mit niemandem reden", gebe ich daher zurück und sehe ihn streng an. „Musst du nicht bei Alaric oder irgendwo anders sein, Damon?"

„Das ist das Irgendwo." Er lässt eine Pause, um mir die Möglichkeit zu geben zu antworten, doch ich schweige eisern. „Nein, Elena, eigentlich nicht. Rick kontrolliert Hausarbeiten und Bonnie hat irgendwelchen Hexenkram zu erledigen. Man kann sicher sagen, dass ich bei beiden Angelegenheiten nicht sonderlich hilfreich wäre. Daher gehöre ich ganz dir." Er grinst breit.

Ich seufze und setze mich neben ihn aufs Bett. Anscheinend lässt er sich von meiner Laune nicht vertreiben. „Fein, du hast gewonnen. Was willst du?"

„Du weißt,... dass sich alle ziemlich große Sorgen um dich machen, oder Elena?", fragt er jetzt ernst.

Ich antworte nicht. Mir ist das bereits deutlich genug bewusst. Bonnie ruft mich immer wieder an. Rick kommt jeden Tag vorbei, um nachzusehen ob alles mit mir in Ordnung sei. Und Caroline hatte mir seit Stefans Verschwinden so oft geschrieben, dass ich schließlich mein Handy ausgestellt habe.

Damon war der Einzige, der mir meinen Freiraum gegeben hatte. Er hat auch seine Gründe dafür, das weiß ich. Zum Einen, weil es genau das ist, was er an meiner Stelle wollen würde. Nicht zu reden. Seine Gefühle abzuschalten. Zum anderen, weil er sich schuldig fühlt, selbst, wenn er das nicht so schnell zugeben würde. Er fühlt sich schuldig, weil Stefan sein Leben für ihn aufgegeben hat. Es tut ihm leid, dass auch ich dadurch so viel verloren habe. Schließlich ist Stefan mit Klaus mitgegangen, um das Leben seines Bruders zu retten.

Ich gebe ihm an nichts davon die Schuld. Ich kann einfach nicht sauer auf ihn sein. Ich war, trotz der Tatsache, dass Stefan gegangen war, glücklich, Damon schließlich gesund und am Leben zu sehen. Ich habe schon ein paar Mal darüber nachgedacht, was ich getan hätte, wenn das alles anders verlaufen wäre, und es hat mich zutiefst erschreckt.

Damon räuspert sich nun, um meine Aufmerksamkeit wieder zu erlangen. „Bonnie hat mir gesagt, dass sie morgen vorbeikommen möchte. Sie hat irgendetwas von einem Mädelsabend erwähnt, was auch immer das ist. Ich sollte dich vorwarnen."

„Sie sollte nach einem Weg suchen, Stefan zurück zu bekommen", werfe ich schließlich ein, ohne darüber nachzudenken, wie fordernd es eigentlich klingt, wenn man genauer darüber nachdenkt, dass ich tagelang hier im Haus saß und gar nichts gemacht habe.

„Sie braucht eine Pause, Elena. Bonnie hat Tag und Nacht nach ihm gesucht. Sie macht sich Sorgen um dich." Er schweigt einen Moment. „Ich mache mir Sorgen um dich."

Die Bestürztheit in seiner Stimme berührt mich und ich spüre, wie sich Tränen in meinen Augen sammeln und ich zum hundertsten Mal an diesem Tag anfange zu weinen. Damon, der sofort bemerkt, wie traurig ich bin, schließt mich schließlich etwas zögerlich in seine Umarmung. Ich lege dankbar meinen Kopf an seine Schulter.

„Shh", flüstert er. „Es ist alles in Ordnung. Wir werden ihn finden." Ich hebe den Kopf und schaue direkt in seine klaren blauen Augen, die mich besorgt mustern. „Und was, wenn wir ihn gefunden haben? Wie soll es dann weitergehen, Damon?"

„Das ist nicht so wichtig", antwortet er beschwichtigend. „Wir schaffen das, er wird wieder er selbst werden. Es wird nur etwas dauern."

„Und was, wenn es für mich wichtig ist?" Damon sieht jetzt etwas verwirrt auf mich herab. Ich spreche weiter: „Die Polizei hat hundere von Leichen gefunden, nur zwei Wochen nachdem Stefan gegangen ist und der einzige Grund, warum sie jetzt keine mehr finden ist der, dass er das umliegende Gebiet verlassen hat. Er hat die Kontrolle über sich verloren und das macht mir Angst."

Ich atme einige Momente lang tief durch, bevor ich weiter spreche, meine Stimme zittert. „Damon, ich habe Angst vor ihm. Was, wenn ich ihn nach all dem, was er in der Zwischenzeit getan hat, nicht mehr lieben kann?" Inzwischen schluchze ich hilflos. Ich spüre, wie mich Schuldgefühle überkommen. Wie kann ich nur so etwas denken?

„Ich bin eine schreckliche Person", krächze ich, „Ich bin die schrecklichste Person der Welt. Ich weiß nicht, ob ich meinen eigenen Freund lieben kann. Ich kann euch nicht helfen ihn zu suchen, da ich nicht weiß, was ich tun werde, wenn wir ihn finden. Und das Schlimmste ist, dass ich zu der Zeit, als er alles aufgegeben hat auch noch seinen Bruder geküsst habe."

Damons Umarmung lockert sich kaum merklich und ich spüre wie er sich verkrampft. Ich ringe erschrocken nach Atem. Die Worte waren über meine Lippen gekommen, ohne dass ich es gewollt hatte.

Damon zwingt mich den Kopf zu heben, um ihn anzusehen. In seinen Augen liegt ein unsicherer Ausdruck. „Du hast gedacht, dass ich sterbe", betont er. „Du hast mir einen letzten Wunsch erfüllt, nachdem ich gesagt habe, dass ich dich liebe."

Ich schüttele verzweifelt den Kopf. „Was, wenn es mehr war, als das... was wenn..." Meine Stimme verebbt, da ich von weiteren Tränen überwältigt werde. Ich habe Angst den Satz zu Ende zu sprechen, Angst das laut auszusprechen, was mich in jedem wachen Moment beschäftigt und mir in letzter Zeit sogar den Schlaf geraubt hat.

„Elena...", fängt Damon erneut zu sprechen an, doch ich bringe ihn zum Schweigen. Ich weiß, wie schmerzhaft all das für ihn ist. Er liebt mich und ich breche ihm ständig das Herz. Er tut mir unendlich Leid. Plötzlich kommt mir ein Gedanke, eine Frage die mich schon eine ganze Weile quält, die noch nie laut ausgesprochen wurde, weil ich Angst vor der Antwort habe. „Was, wenn du es alles rückgängig machen könntest? Wenn du verhindern könntest, dass Stefan und ich in deinem Leben sind?"

Damons Antwort kommt schneller als erwartet, so als wenn er nicht eine Sekunde darüber nachdenken musste. „Ich würde es nicht tun. Es ist vielleicht ziemlich selbstsüchtig das zu sagen, aber ich würde dich niemals aus meinem Leben haben wollen. Ich will, dass du in meinem Leben bist", gibt er bestimmt zurück und betont bewusst jedes einzelne Wort seines letzten Satzes.

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