Meine erste Woche in Hogwarts war - abgesehen von dem kleinen Zwischenfall im Verbotenen Wald - recht ereignislos.
Ich hatte mehr oder weniger durchgehend gearbeitet, jeder Lehrer hatte uns bereits jetzt genug Hausaufgaben aufgegeben, sodass wir gut bis zu den Weihnachtsferien ausgelastet wären.
Ich hatte den Verdacht, dass die zweite Woche nicht besser werden würde.Durch Professor Snapes Abwesenheit hatte ich erst Ende der Woche wieder Zaubertränke. Es waren die letzten Stunden des Tages, demnach fiel es mir schwer, mich zu konzentrieren. Und demnach glücklich war ich auch, als die Zeit zu Ende war. Doch leider hatte ich mich zu früh gefreut.
"Oh nein, Sie können gleich hier bleiben", sagte Snape zu mir, als er sah, dass ich meine Tasche packte. Als Reaktion auf meine Verwirrung fügte er hinzu: "Ihre Strafarbeit. Als Ihr Hauslehrer habe ich mich dem angenommen. Professor McGonagall wollte Sie Böden wischen lassen, demnach können Sie froh sein!"
Das entscheide ich erst, wenn ich fertig bin, dachte ich mir.
Ich konnte mir gut vorstellen, dass Snape eine noch grauenhaftere Strafarbeit gefunden hatte.
Ganz falsch lag ich nicht: Er legte einen Stapel mit vergilbtem und ausgeblichenem Pergament auf meinem Tisch. Meine Aufgabe: Von all dem lesbare Abschriften machen, damit man damit arbeiten konnte.
"Professor, nächstes Mal sollten Sie Ihre Notizen ein bisschen besser lagern!", schlug ich ihm mit ironischem Unterton vor.
Er ließ sich mir gegenüber an seinem Schreibtisch nieder und sah mich mit hochgezogener Augenbrauen an: "Um genau zu sein, sind das nicht MEINE Notizen. Sie stammen von einem Zaubertrankmeister aus dem späten 18. Jahrhundert, Honoratius Greville. Ich habe sie in einem eher zwielichten Laden in London gefunden. Da der gute Greville einige herausragende Entdeckungen im Bereich der Zaubertrankbrauerei gemacht hat, erhoffe ich mir einen gewissen Mehrwert aus den Ihnen vorliegenden Schriftstücken."
Ich sah sie mir etwas genauer an: "Vielleicht hätten Sie schon vorher aussortieren können, welche diesen Mehrwert enthalten und welche nicht?"
"Wollen Sie lieber Böden wischen?", fragte er sarkastisch.
Ich überlegte eine Sekunde, nahm mir dann aber doch lieber die erste Notiz vom Stapel.
"Bevor ich's vergesse!", sagte er und stand auf. Er zog einen kleinen Zettel zwischen ein paar Unterlagen hervor und reichte ihn mir. "Das sind ein paar Zauber, mit denen Sie die Schrift etwas besser hervorheben können oder die insgesamt hilfreich sein könnten."
"Danke", sagte ich nur und warf einen Blick auf die Sprüche, die er mir rausgesucht hatte. Tatsächlich schienen sie recht brauchbar zu sein. Das war nett von ihm. Ein bisschen überraschte es mich.Eine gewisse Zeit arbeitete ich leise vor mich hin.
Dann: "Wissen Sie, Professor, anscheinend haben Sie tatsächlich einen recht ordentlichen Fund gemacht!"
Er blickte auf, grinste und sagte: "Ah, finden Sie, ja?"
Ich nickte nur und zeigte auf einen kleinen Stapel Zettel, die ich schon aussortiert hatte: "Ich möchte dem guten Honoratius nicht unrecht tun, aber... Das Gefühl beschleicht mich, das sind einfach nur seine Einkaufslisten. Zumindest ist es meiner Auffassung nach recht experimentell, grüne Paprika und Kirschlikör in einen Zaubertrank zu mischen..."
Snape sah mich irritiert an. Bevor er allerdings etwas sagen konnte, hob ich das Pergament hoch, an dem ich gerade arbeitete: "Das hier ist interessant. Eine Methode zur Behandlung von Einhornblut. Ich bin noch nicht fertig, aber..."
Bevor ich meinen Satz beenden konnte, stand er auf und lief schnellen Schrittes zur Tür. Bevor er endgültig verschwand, sagte er: "Wenn Sie damit fertig sind, legen Sie es doch bitte auf meinen Schreibtisch. Ich muss kurz eines seiner Bücher suchen um zu schauen, ob diese Notiz vielleicht eine Weiterführung oder Ergänzung zu seinen Veröffentlichungen ist..."
Also fügte ich mich der Anweisung und führte meine Arbeit an diesem Punkt fort.Als ich endlich fertig war - ich musste zugeben, die Einkaufslisten waren einfacher zu entziffern gewesen - stand ich seufzend auf und legte meine Abschrift auf den Schreibtisch des Professors.
Ich wollte mich gerade wieder hinsetzen und mir die nächste Notiz vornehmen, da erregte ein aufgeschlagenes Buch mein Interesse, mit dem er sich anscheinend die ganze Zeit beschäftigt hatte.
Das Buch war auf Deutsch, allerdings musste es recht alt sein. Ich schätzte spontan auf 15. oder 16. Jahrhundert.
Anscheinend hatte er versucht es ins Englische zu übersetzen - und war kläglich gescheitert.
Manche Stellen brachten mich doch sehr zum Lachen und ich kicherte noch immer, als er mit einem kleinen, in blaues Leder gebundenen Buch zurück kam.
Er sah mich böse an: "Was bitte ist so lustig?"
"Nun...", begann ich und versuchte ernst zu bleiben. "... anscheinend haben Sie versucht, diesen Text hier zu übersetzen. Allerdings... haben Sie das nicht besonders gut geschafft. Da sind einige sehr grobe Fehler drin, die den Sinn ziemlich stark verzerren."
Er sah mich prüfend an, ging zu seinem Schreibtisch zurück und legte das Buch ab.
Er warf einen erneuten Blick auf seine Übersetzung: "Ich spreche kein Deutsch, habe mir aber extra einen Zauber sagen lassen, der problemlos funktionieren sollte!"
Unter seinem skeptischen Blick nahm ich mir das Buch und blätterte vorsichtig durch die ersten Seiten, bis ich ein Datum fand. "1499, da lag ich mit meiner Schätzung gar nicht so falsch...", murmelte ich und sagte dann an den Professor gewandt: "Nun, wenn Sie den Spruch von einem Deutschen bekommen haben, hätten Sie genauer sein müssen! Vielleicht schafft Ihr Spruch das heutige Deutsch, im 15. Jahrhundert hat man aber eben 'Frühneuhochdeutsch' gesprochen..."
Seiner Mimik entnahm ich, dass ich recht hatte. Er hatte wohl nicht die berüchtigte deutsche Genauigkeit bedacht. Wenn man einen Spruch brauchte, um Frühneuhochdeutsch zu übersetzen, musste man eben auch explizit danach fragen.
"Und Sie verstehen das, ja?", fragte er pikiert.
"Deutsch ist meine Muttersprache, das hier ist zwar schwerer zu verstehen, aber trotzdem. Ja", antwortete ich ihm amüsiert.
Er ließ sich das Buch wieder von mir geben und schlug die Seite auf, mit der er zuletzt gearbeitet hatte.
Er setzte sich erneut an seinen Schreibtisch und schwang seinen Zauberstab. Ein weiterer Stuhl erschien neben seinem. Anscheinend war er zu faul gewesen, einfach einen von den anderen Tischen zu holen. Schließlich gab es in einem Klassenzimmer bekanntermaßen ausreichend Stühle.
Er bedeutete mir, mich neben ihn zu setzen. Ich kam der Aufforderung nach und er erklärte mir: "Ich habe dieses Buch im gleichen Laden gefunden wie auch die Notizen Grevilles. Sie hatten dort eine beeindruckende Anzahl an solchen Unikaten. Gut, bei diesem Buch schätze ich zwar, dass es mehrere Exemplare gibt, aber eben nicht übersetzt."
Ich sah ihn von der Seite an. Er hatte ein gewisses Funkeln in den Augen, das ich so noch nicht bei ihm gesehen hatte. Er wirkte nicht mehr wie eine Autoritätsperson, nicht mehr wie ein Lehrer. Er selbst strebte nach unersättlichem Wissen, wollte sich immer weiterbilden. Ich hatte nicht mehr das Gefühl seine Schülerin zu sein. Was hauptsächlich an dem doch sehr geringen Altersunterschied zwischen ihm und mir lag, andererseits aber auch daran, dass ich nun nicht mehr in den Schüler-Bänken saß, sondern neben ihm. Auf Augenhöhe.
Das dunkle Licht der Fackeln hinterließ tanzende Schatten auf seinem Gesicht. Ich konnte noch immer nicht sagen, was er für ein Mensch war.
"Warum, Professor?", fragte ich sanft.
Obwohl meine Frage nicht gerade genau gestellt war, schien er zu wissen, was ich meinte.
"Die Welt der Magie besteht förmlich aus Wissen, doch ist noch so vieles unerforscht. Am meisten aber reizt mich vergessenes Wissen. Aus vielem Vergessenen kann man Schlüsse über das Unerforschte ziehen...", sagte er noch leiser als sonst. Doch ich verstand ihn. Ich ließ mir jedes Wort erneut durch den Kopf gehen. Ich verstand ebenso seine Intention hinter all dem. Anscheinend suchte er etwas. Etwas von Bedeutung.
Wissen war nicht nur wunderschön. Wissen war Macht.
DU LIEST GERADE
Deep down inside me.
Fiksi Penggemar1980. Severus Snape beginnt auf Hogwarts zu unterrichten. Der Krieg in der Welt der Zauberer erlebt seinen Höhepunkt. Die Hauptfigur dieser Geschichte kehrt für ihr finales Jahr an die Schule für Hexerei und Zauberei zurück. Sie lebt in einer Zeit...