Bettgeflüster

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Ich starrte ihn an, unfähig mich zu bewegen.
Mein Blick ruhte auf seinen Lippen. Wie konnte es sein, dass sie mir vor wenigen Sekunden so nahe waren und jetzt so fern wirkten?
"Wir werden beobachte", flüsterte er mir sanft grinsend zu.
Ich wollte mich umsehen, wollte herausfinden, wer uns ansah und was ihre Reaktionen waren. Doch noch immer war ich wie gelähmt.
"Aha", brachte ich gerade so über die Lippen.
Er griff nach meiner Hand und zog mich aus der großen Halle.
Schnellen Schrittes liefen wir in die Kerker und blieben erst stehen, als wir das Haus Slytherin erreicht hatten.
Wortlos wollte er weitergehen, doch flüsterte ich: "Severus, warte!"
Ich hatte nicht gedacht, dass er mich gehört hatte, doch blieb  er stehen. Ich schloss zu ihm auf und folgte ihm in seine privaten Räume.

Schweigend standen wir uns gegenüber.
Zögerlich ging ich auf ihn zu.
"Tja, was jetzt?", fragte er und konnte einen gewissen Sarkasmus in der Stimme nicht verbergen. Ich wusste mal wieder nicht, worauf er es bezog. Die gesamte momentane Situation? Den Moment? Uns?
"Wie wär's, wenn du mich nochmal küsst?", dachte ich.
Zumindest dachte ich gedacht zu haben. Doch hatte ich es offensichtlich laut ausgesprochen.
"Vernünftiger Vorschlag", murmelte er, nahm mein Gesicht sanft in seine Hände und zog mich in einen intensiven Kuss.
Seine Lippen waren warm, weich und unglaublich angenehm. Ich wünschte mir, dass der Moment niemals endete.
Doch leider blieb mir mein Wunsch verwehrt und er löste den Kuss bereits nach viel zu kurzer Zeit wieder auf.
Er lächelte mich an und ich konnte nicht anders, als ebenfalls zu lächeln.

Ich gähnte: "Oh, bin ich müde..."
"Leg dich in mein Bett!"
"Dann verknittert mein Kleid."
"Dann zieh es aus!"
"Dann ist mir kalt."
"Ich wärme dich!"
"So müde bin ich auch nicht."
Er seufzte und verdrehte die Augen: "Soll ich dir einfach ein Shirt von mir geben, dann wird dein Kleid nicht knitterig und du frierst nicht."
Ich lächelte leicht und nickte.
Er ging zu seinem Schrank und zog ein schwarzes Shirt hervor.
"Wirfst du es mir kurz rüber?", fragte ich ihn.
"Zieh doch erstmal das Kleid aus", schlug er grinsend vor.
Ich wusste nicht, warum ich so ein Problem damit hatte, dass er mich nur in meiner Unterwäsche sah.
In dem Moment, als ich den Gedanken beendet hatte, erinnerte ich mich an etwas anderes: Verdammt - ich trug ja nicht meine normale Unterwäsche, sondern war auf den komplett schwachsinnigen Gedanken gekommen, die anzuziehen, die mir meine Freundinnen mit einem dreckigen Grinsen und den Worten 'Da wird jeder Kerl verrückt!' geschenkt hatten.
Aber ich wollte schließlich nicht den Eindruck entstehen lassen, dass ich ein Problem mit seiner Anwesenheit hatte oder mich vor ihm schämte.
Ich drehte ihm den Rücken zu, zog mein Kleid über den Kopf und wollte ihm gerade sagen, dass er mir jetzt das Shirt zuwerfen könne, doch da stand er bereits hinter mir.
"Warum trägt man solche Unterwäsche, wenn man nicht darin gesehen werden will?", fragte er sanft, während er mit seinen Fingern über meinen nackten Rücken strich.
"Äh... um sich... selbstbewusster zu fühlen...", antwortete ich kurzatmig.
Ich genoss seine Berührungen. Gänsehaut breitete sich auf meinem Körper aus. Leise lachte er mir ins Ohr.
"Mir ist ziemlich kalt", flüsterte ich mit bebender Stimme und griff nach seinem Shirt, das er in der Hand hielt.
Ich zog es mir schnell über, hüpfte in sein Bett und schlüpfte unter die Decke.
Noch war sie kalt und steif, weshalb ich zu zittern begann.
Sehnsüchtig wartete ich darauf, dass er zu mir kam und sein Versprechen, mich zu wärmen, endlich einlöste.
Doch anstatt dem zu folgen, ging er aus dem Raum und ließ mich alleine.
Bereits nach wenigen Sekunden wollte ich nur, dass er zurück kommt. Ich war überrascht und irritiert von diesen Gefühlen. Wo zum Teufel kamen sie her?
Und wie genau stand ich zu ihm? Was fühlte ich, wenn ich an ihn dachte? In diesem Moment zumindest war es Sehnsucht.
Ich wollte bei ihm sein, seine Nähe spüren.
Wenn ich an den Menschen dachte, den ich zu Beginn des Schuljahres kennengelernt hatte und ihn mit dem verglich, zu dem ich mich auf kuriose Weise hingezogen fühlte, dann lagen dazwischen Welten. Ich hatte nur tief in ihn hineinsehen müssen, mehr betrachten müssen, als die übellaunige und zynische Oberfläche.
Ich fragte mich, wie sehr auch ich mich verändert hatte.
Noch bevor ich eine Antwort finden konnte, kam er zurück und mein Herz schien zu explodieren.

"Wo warst du?", fragte ich neugierig, als er zu mir unter die Decke schlüpfte.
"Musste mich frisch machen", sagte er sarkastisch und zwinkerte mir zu. Ich ging nicht weiter darauf ein, sondern drehte mich auf die Seite, sodass ich ihn direkt ansehen konnte. Obwohl er noch so jung war, war sein Gesicht gezeichnet und geprägt vom Leben.
Er drehte seinen Kopf zu mir: "Du hättest dich nicht so stark schminken müssen, du siehst auch so wunderschön aus!"
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
"Danke", sagte ich irritiert. "Deine Haare sehen heute auch gut aus."
Ich hatte versucht ihm ebenfalls ein Kompliment zu machen, doch seinem Lachen nach zu urteilen, war ich kläglich gescheitert.
"So viel schönes gibt es an mir nicht. Wenigstens heute mal die Haare...", gab er bitter zurück.
"Schönheit ist subjektiv. Es kommt immer darauf an, wie man jemanden betrachtet", flüsterte ich.
Wenn man ihn objektiv betrachtete, dann konnte man ihn gewiss nicht als schön bezeichnen. Doch bezog man in seine Wertung mit ein, wie tief und bedingungslos Severus Snape lieben konnte, welchen Mut und welche Stärke er täglich aufbringen musste, dann wurde er besonders und liebenswert. Letzteres meinte ich durchaus wörtlich. Severus Snape war es wert geliebt zu werden.

Er trug ebenfalls nur ein Shirt, ein für mich zutiefst ungewohnter Anblick. Für gewöhnlich kannte ich ihn nur in seinen hochgeschlossenen Roben.
Das letzte Mal, dass ich ihn nur im Shirt gesehen hatte, hatte ich einen kurzen Blick auf das Dunkle Mal an seinem Unterarm erhascht und war geflüchtet.
Nun zog ich seinen Arm unter der Decke hervor und betrachtete es genauer.
Ein kalter Schauer lief mir den Rücken hinunter.
Mit meinem Finger zeichnete ich die Adern auf seinem Handgelenk nach.
Sanft strich ich über das Dunkle Mal an seinem Unterarm. Es hob sich deutlich von seiner blassen Haut ab. Seine Ränder waren rot geschwollen.
"Ich habe das letzte Mal ein bisschen zu lange gebraucht, um dem Ruf meines Herren Folge zu leisten", erklärte er bitter.
"Severus...", flüsterte ich und sah ihm tief in die Augen. Das Bittere in seiner Stimme, das Wissen, dass er leiden musste, Schmerzen ertrug und sich immer wieder in den Dienst des Dunklen Lords begeben musste, zerriss mich innerlich. Ich hätte ihm gerne alles Leid und alle Qual abgenommen, doch war ich dazu nicht in der Lage.
Ich schob ihm eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
"Warum weinst du?", fragte er besorgt.
"Was?", antwortete ich irritiert.
Er strich mit seiner Hand sanft über meine Wange und zeigte mir einen kleinen, glitzernden Tropfen.
"Oh", flüsterte ich. Einzelne Tränen hatten tatsächlich ihren Weg aus meinem Augenwinkel auf meine Wangen gefunden.
Ich legte meinen Kopf auf seine Brust und lauschte seinem Herzschlag. Er war ruhig und regelmäßig.
"Es macht mich einfach fertig, zu wissen, dass du dich Tag für Tag in Gefahr begibst, der Gedanke daran, was du alles durchmachend musst...", meine Stimme erstarb.
Er strich langsam durch mein Haar.

Deep down inside me.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt