1- Umziehen?! Vergiss es!

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Kim pov

"Spiel doch endlich ab!", schrie ich quer über den Platz. Meine Trainerin hatte mich rausgeholt, weil sie meinte ich solle mein Mundwerk kontrollieren, aber das war mir sowas von egal. "Verdammt Kathi, jetzt spiel doch mal zu Miriam!" Endlich hörte die Blondine auf dem Feld meine Anweisung und Miriam bekam den Ball, den sie einwandfrei ins Tor schob. "Ja!", rief ich laut und Klara, die neben mir stand, umarmte mich vor Freude. Jetzt stand es 2:2 und es war nicht mehr lange zu spielen. "Bitte lass mich für Kathi aufs Feld!", flehte ich meine Trainerin an. Die nickte endlich, wahrscheinlich hatte sie meine Quengelei satt. Ich grinste sie an, klatschte Kathi ab, die gerade zu uns kam und rannte auf den Platz. Der Ball kam ins Spiel und sofort war er in meinem Besitz. Ich umspielte drei Gegner und passte dann zu Sophie, die ihn weiter nach vorne brachte, dann wieder zu mir spielte und ich sah kurz zum Schiedsrichter, der die Trillerpfeife schon fast im Mund hatte. Dann schoss ich mit dem wohl härtesten Schuss, den ich je gemacht hatte. Die Torhüterin hatte keine Chance. Sie verfehlte den Ball, der mit voller Wucht ins Netz knallte. Und in diesem Moment schrillte die Pfeife des Schiedsrichters. Ich jubelte, doch der schrille Ton stoppte nicht und wenige Sekunden später schlug ich auf den Wecker neben mir ein. Endlich gab er Ruhe. Ich musste lächeln als ich an meinen Traum dachte. Es war bereits einige Monate her und nach diesem Spiel kam der Trainer der Jungenmannschaft zu mir und gratulierte mir zu den zwei tollen Toren, denn das Erste war ebenfalls von mir gewesen. Und dann wollte er, dass ich mal bei den Jungs mitspielte und das tat ich. Es war der Wahnsinn. Ich konnte endlich mal richtig Fußball spielen und nicht wie ein Mädchen. Gut ich war eins, aber die spielten immer wie schreckhafte Kaninchen. Die Einzige außer mir, die auch richtig spielte, war Miriam. Doch als ich mit den Jungs spielen durfte und sie nicht, hatte sie den Kontakt zu mir abgebrochen. Es war mir mittlerweile egal. Ich war glücklich so wie es jetzt war, doch das sollte sich bald ändern.

Als ich am Nachmittag von der Schule kam, saß meine Mutter am Küchentisch. Ich setzte mich zu ihr, aß mein Mittagessen und beobachtete sie. Sie würde schon noch sagen, was sie wollte. Und ich sollte recht behalten. Kaum war ich fertig mit dem Essen, begann sie zu sprechen. "Kim, ich weiß ja wie glücklich du im Moment bist, weil du hier mit den Jungs spielen kannst und auch Freunde in der neuen Schule gefunden hast, aber wir müssen wieder umziehen." Ich erstarrte. Nein, sie durfte mir mein Glück nicht wieder wegnehmen. "Umziehen?! Vergiss es! Ich hab mich gerade hier eingelebt und meinen Platz gefunden. Wir ziehen dauernd um, warum jetzt schon wieder?" "Die Firma, in der ich arbeite, zieht um und ich werde so schnell nicht wieder so eine gute Arbeitsstelle finden." "Und wohin diesmal?" "Nach Grünwald." "Wohin?" "Nach Grünwald." "Wo ist das? Am Arsch der Welt?" "Nein, es ist vielleicht etwas kleiner, aber es ist sehr schön da und ich habe auch schon ein tolles Haus gefunden." "Ich kann nichts mehr daran ändern, oder?" Die Tränen brannten in meinen Augen und als meine Mutter nickte, rollte die erste über meine Wange. Ich sprang auf und rannte in mein Zimmer. Ich schloss ab, schnappte mir meinen Ball und kletterte aus dem Fenster. Meine Füße trieben mich zum Fußballplatz, wo ich ein paar Tricks machte und ein wenig vor mich hin spielte, bis ein Schatten in mein Sichtfeld auf dem Boden fiel. "Was ist los?", ertönte die Stimme meines Mitspielers Tim. "Ich muss wieder umziehen, also muss ich hier mit dem Spielen aufhören!" Meine Antwort kam schärfer, als beabsichtigt. "Was? Aber du passt doch super in die Mannschaft und das kann deine Mutter doch nicht machen, das geht einfach nicht, wir müssen sie irgendwie überreden, da muss man einfach was machen können-" "Nein, es steht fest", unterbrach ich seinen Redeschwall. "Na komm, ich hab jetzt Torwarttraining, du kannst ja zuschauen und dabei direkt mit Pit reden." Pit war unser Trainer. Ich nickte und folgte Tim auf den anderen Platz. "Hallo Kim, das Training beginnt doch erst in einer Dreiviertelstunde, oder?", begrüßte mich Pit und sah mich unter seinen buschigen Augenbrauen erstaunt an. "Ja, aber ich muss mit dir reden." "Okay. Tim, du wärmst dich auf, während ich mit Kim rede." Tim nickte und lief ein Stück weiter weg. Der Trainer und ich setzten uns auf den Boden. "Also, was ist los?" "Ich muss umziehen. Es ist wegen dem Job meiner Mutter und deshalb muss ich schon wieder hier weg." Pit sah mich traurig an. "Das ist wirklich schade, aber so wie du das sagst, kann man daran nichts mehr ändern." Ich schüttelte stumm mit dem Kopf. "Wo zieht ihr denn hin? Vielleicht kannst du ja immer zum Training und zu den Spielen kommen?" "Nach Grünwald. Wo auch immer das ist." "Grünwald? Da spielt eine echt gute Jungenmannschaft. Ich kenne den Trainer, wenn du willst kann ich mal mit ihm telefonieren. Er lässt dich bestimmt in seiner Mannschaft spielen." "Nein! Wenn ich wegziehe, dann stirbt der Fußball für mich! Dieser Ort ist meine Verbindung zum Fußball und wenn ich gehe, bleibt mein Fußballherz hier!" Mit diesen Worten stand ich auf, klopfte mir den Dreck von der Hose und ging. Ich ließ zwei verdutzte Fußballer stehen. Obwohl ich so wütend war, stand ich 40 Minuten später mit meinen Fußballsachen auf dem Platz zum Training. Pit, Tim und ich taten zwar so, als wäre nichts, aber es war schon auffällig, dass Pit mich kein einziges Mal verbesserte, Tim keinen meiner Schüsse hielt und ich entweder wie eine irre dribbelte und schoss oder abwesend durch die Gegend sah. Irgendwann schien es den anderen Jungs auf den Geist zu gehen, denn sie forderten eine Erklärung und so machten wir eine Pause und ließen uns in der Mitte des Platzes nieder. "Also, was ist los mit euch? Ihr verheimlicht uns doch was!", rief Chris. Ich nickte leicht. "Ich ziehe weg." Auf meine Aussage folgte Schweigen. Aber nur wenige Sekunden, denn dann begannen alle wild durcheinander zu reden. Das ging solange bis Tim laut wurde. "Jetzt haltet doch mal die Klappe! Ihr sitzt hier rum und regt euch auf, während Kim da drüben sitzt und sich die Augen aus dem Kopf heult." Erst in diesem Moment schienen die anderen zu bemerken, dass ich mit Wasserbächen auf den Wangen und lauten Schluchzern da saß. Sie kamen zu mir und umarmten mich. Lukas hauchte mir einen leichten Kuss auf die Wange und ich war mir nicht sicher, ob es meine oder seine Tränen waren, die meine Haut durchnässten. Wir liebten uns, aber außer uns wusste keiner von der Beziehung und das war auch besser so. Pit schlug vor, dass wir ganz normal weiter trainieren sollten und anschließend eine Abschiedsparty machen würden. Alle nickten und das Training lief so gut wie lange nicht mehr. Danach feierten wir eine Party nach Fußballermanier und ich konnte sogar mit allen lachen. Doch der Abschied war trotzdem tränenreich. Ich umarmte alle, dankte Pit und verabredete mich mit Lukas für 2 Uhr in der Früh. Dann verließ ich mit all meinen Sachen den Platz und winkte allen. Zu Hause warf ich mich auf mein Bett, stellte den Wecker auf 1 Uhr und schlief ein.

Ein leises Klingeln riss mich aus dem Schlaf. 1 Uhr. Ich stand auf und ging ins Bad, wo ich mich unter die Dusche stellte und mit dem Shampoo duschte, welches Lukas am meisten mochte. Genauso machte ich es auch bei meinen Haaren. Dann trocknete ich mich ab, zog mir frische Unterwäsche an und machte meine Haare. Ich lockte sie leicht und flocht oben einen Fischgrätenzopf hinein. Dann lief ich in mein Zimmer, wo ich mein weinrotes Kleid anzog, welches Lukas mir zu unserem 3. Date geschenkt hatte. Ich wollte ihn heute Abend damit überraschen. Dann lief ich wieder ins Bad, wo ich meine Erscheinung mit Wimperntusche, leichten Smokey Eyes und weinrotem Lippenstift komplettierte. Dann zog ich noch meine passenden Schuhe an, nahm eine kleine Tasche mit den wichtigsten Sachen, schloss meine Tür von innen ab und kletterte, so gut es mit Kleid ging, aus dem Fenster. Ich ließ mich auf den Bürgersteig gleiten und lief dann zur nächsten Ecke, wo Lukas mich erwartete. Es war dunkel und wir konnten uns erst sehen, als wir ins Licht der einsamen Straßenlaterne traten. Meinem Freund fielen fast die Augen aus dem Kopf und auch ich staunte nicht schlecht, als ich das Hemd und das Jacket sah. Er lächelte mich an und ich griff nach seiner ausgestreckten Hand. Er zog mich an sich ran und wir verloren uns in einem liebevollen Kuss. Lukas war mein erster Freund, was mit 15 aber nichts besonderes war. Als wir uns verliebt hatten war ich noch 14 gewesen und jetzt stand mein 16. Geburtstag vor der Tür. Wir lösten uns voneinander und liefen Hand in Hand die Straße entlang zu unserem Lieblingsplatz. Es war eine Wiese, die direkt am Waldrand lag. Lukas hatte ein wunderschönes Picknick vorbereitet und wir ließen uns auf der Decke nieder. Der Abend war wunderschön, denn mein wunderbarer Freund hatte an alles gedacht. Es tat mir im Herzen weh, ihm gleich meine Entscheidung mitzuteilen. "Lukas?" "Ja?", er lächelte. "Ich habe viel nachgedacht. Ich liebe dich, aber eine Fernbeziehung würde nicht funktionieren. Ich... ich denke, dass es besser ist, wenn wir uns trennen. Wir würden an der Entfernung scheitern und das will ich nicht. Ich will für uns beide eine Chance, jemand neues kennenzulernen. Verstehst du das?" Die Tränen glänzten in unser beider Augen als er nickte. "Ich würde aber vorher gerne noch was ausprobieren", grinste er. Ich wusste was er wollte und ich wollte es auch. Wir gingen in einen leidenschaftlichen Kuss im Kerzenlicht über und es wurde die bisher schönste Nacht meines Lebens.

Wörter: 1651


Überarbeitet am 23.10.2016


Die Wilden Kerle und die StilleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt