10- Das hast du dir eingebildet!

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Kim pov

Ich wachte auf und blinzelte erstmal. Die Sonne schien in mein Gesicht. Ich setzte mich vorsichtig auf und sah mich in meinem Zimmer um. Ich entdeckte meinen besten Freund an meinem Schreibtisch, der mich anlächelte. "Guten Morgen Schlafmütze, ich hab dir da Kakao hingestellt." Er deutete auf meinen Nachttisch und ich bedankte mich, bevor ich die Tasse an meinen Mund hob. Ich nahm ein paar Schlucke, dann stellte ich sie wieder ab. "Was war gestern los?" Mir war klar das diese Frage kommen musste. "Ich weiß es nicht. Ich war einfach erschöpft. Es lag bestimmt daran, dass ich am Samstag Nachmittag noch ganz lange Hausaufgaben gemacht habe und dann mein Kopf einfach noch voll war mit Formeln und dem ganzen Kram. Mach dir keine Sorgen!" Ich lächelte ihn aufmunternd an, um zu beweisen, dass es mir gut ging, aber der Dunkelblonde schüttelte nur den Kopf. "Ich mach mir aber Sorgen. Du hattest heute Nacht so komische Anfälle. Schmerzattacken wahrscheinlich. Kannst du mir das erklären?" "Nein, ich hatte heute Nacht gar nichts." "Aber-", setzte er an, doch ich unterbrach ihn: "Nein Markus, das hast du dir eingebildet! Und ich denke es ist besser wenn du jetzt gehst!" Wieso hatte ich mich nicht unter Kontrolle und rastete gleich so aus? Aber ich war wirklich sauer, dass er sich nicht einfach mit meiner Antwort zufrieden gab. Es war noch nie vorgekommen, dass ich ihn weggeschickt hatte und er sah mich dementsprechend schockiert an. "Raus", flüsterte ich nochmal mit Tränen in den Augen, wo kamen die denn jetzt her, und mein bester Freund verließ mit gesenktem Blick und seiner leeren Tasse in der Hand mein Zimmer. Ich stand auf, schloss die Tür ab, kuschelte mich mit einer warmen Decke auf meine Fensterbank und weinte bitterlich. Markus hatte sich nur Sorgen um mich gemacht, aber mein verdammter Schutzmechanismus hatte eingesetzt. Ich konnte einfach nicht mit sowas umgehen. Ich wollte nicht, dass er von den Bauchschmerzen erfuhr, denn er sollte sich keine Sorgen machen. Er sollte sein Leben leben und damit klar kommen, dass ich ihm nur die Sorgen ersparen wollte. Meine Gedanken wurden von einer erneuten Schmerzattacke unterbrochen und meine Hand fuhr wie von selbst zu meinem Bauch. Es dauerte nicht lange, da war der Schmerz weg und ich stand auf. Mit einem letzten kräftigen Zug leerte ich die Tasse mit dem Kakao, dann ging ich runter in die Küche und kochte mir eine Kanne Tee. Ich nickte meiner Mutter nur kurz zu und gab ihr so zu verstehen, dass ich heute alleine sein wollte. Mit einer frischen Tasse in der einen und der vollen Kanne in der anderen Hand lief ich wieder nach oben in mein Zimmer. Ich schloss ab und stellte die Kanne und die Tasse auf meinen Schreibtisch. In diesem Moment kam mir die Idee, dass ich ja mal ein bisschen Umräumen könnte. Ich schob den Schreibtisch knapp vor das Fenster, sodass der Platz noch reichte, um auf die Fensterbank und wieder runter zu kommen. Mein Bett drehte ich und machte so an einer anderen Stelle Platz für den Schrank. Ich schob das große Möbelstück zur Seite und sah plötzlich eine Tür in der Wand. Der Schrank hatte sie versteckt und als ich jetzt den Schlüssel, der im Schloss steckte, drehte, quietschte es gewaltig. Sobald die Tür offen war, kam ich in einen relativ großen Raum. Ich tastete an der Wand nach einem Lichtschalter und betätigte ihn. Und dann kam ich aus dem Staunen nicht mehr heraus. Jede Kante im Raum, also von jeder Ecke zur nächsten, war mit LEDs ausgelegt, sodass der Raum in ein schönes, weißliches Licht getaucht wurde. Und in der Mitte des Raumes hing ein wirkliches Prachtstück von der Decke. Ein Boxsack, wie ich mir früher immer einen gewünscht hatte, an einer anderen Stelle stand ein Laufband, außerdem ein Fahrrad, ein Crosstrainer  und noch einige Geräte mehr. Hinten war ein kleiner Teil abgetrennt. Ich ging hin und mein Mund ging noch weiter auf. Hier war eine Art Ruheoase mit einer Hängematte und allem, was man nach anstrengender, körperlicher Betätigung brauchte. Ich strahlte und meine Sorgen wegen Markus waren vergessen. Ich ging zurück in mein Zimmer, zog mir Sportsachen an und ging als erstes zum Boxsack. Ich zog mir die Handschuhe über, die daneben lagen und begann einfach drauflos zu schlagen. Einmal für die Schmerzen, dann für Markus, dann für den Umzug, dann für die alte Mannschaft, dann für Lukas, dann für die Arbeit meiner Mutter und so ging es weiter, bis ich mich richtig frei fühlte. Dann lief ich eine halbe Stunde auf dem Laufband und lief meinen Problemen einfach davon. Ich fühlte mich super und als ich meine Sportstunde beendet hatte, ging ich zurück in mein Zimmer, machte in meinem Trainigsraum das Licht aus, schloss ab und schob den Schrank wieder davor. Niemand sollte von diesem Raum wissen. Ich ging erstmal ins Bad Duschen, dann setzte ich mich auf meine Fensterbank und trank Tee. Ich hatte keine einzige Schmerzattacke und fühlte mich großartig. Jedenfalls so lange, bis mir einfiel, dass ich heute Nachmittag Trainung  hatte. Ich sah auf meine Uhr und seufzte. Ich hatte nur noch eine halbe Stunde. Also stand ich auf, leerte meine Tasse und zog mich um, sodass ich kurze Zeit später mit dem Motorrad zum Teufelstopf fuhr. Ich war etwas zu früh dran und sah, dass Markus noch Torwarttraining hatte. Ich fuhr langsam runter und setzte mich dann auf den Boden neben meine Maschine. Markus ignorierte mich, nur Willi winkte mir kurz zu. Ich seufzte und sah den beiden noch ein bisschen zu, bis die anderen auch alle da waren. Dann machten wir ein kleines Spiel. Heute lief es eigentlich ganz gut, nur kurz vor Schluss hatte ich nochmal eine echt heftige Schmerzattacke, sodass ich stolperte und hinfiel. Ich stand schnell wieder auf und sah, wie Leon den Kopf schüttelte, Klette mich fragend ansah, Markus mich besorgt beobachtete und Willi eine Augenbraue hochzog. Ich versuchte das alles zu ignorieren und spielte bis zum Schluss weiter. Nach dem Spiel setzten wir uns alle an den großen Tisch und tranken Apfelsaftschorle. Auf einmal fing Leon an zu sprechen. "Also Willi meint ja immer, dass wir ehrlich sein sollen und deshalb bin ich jetzt ehrlich... Kim, du spielst im Moment wirklich grottenschlecht. Du wirst beim nächsten Spiel nicht mitspielen, ich will nämlich gewinnen. Joschka spielt für dich. Und vielleicht weißt du bis zum darauffolgenden Spiel wieder wie man Fußball spielt." Ich schluckte und versuchte die aufkommende Wut zu unterdrücken. Mir war klar, dass ich so keine Bereicherung für das Team war, aber er hätte es mir sagen können ohne mich so zu beleidigen. Ich ballte meine Hände zu Fäusten, doch irgendwann konnte ich nicht mehr anmich  halten und es brach aus mir raus. "Ach ja? Ich weiß, dass ich Moment nicht gut spiele, aber ich bin immer noch Kim, ein Mitglied der Wilden Kerle und daran kannst du arroganter Hahn auch nichts ändern, nicht in einer million Jahren! Und jetzt fahre ich nach Hause und komme nicht eher wieder, bis du dich für das mit dem Fußballspielen entschuldigt hast. Schlimm genug, dass hier alle nur dir hinterher zuwatscheln  scheinen, als ob die Entenmutter wärst. Ich hätte echt Mut erwartet. Oder denkt ihr wirklich alle so wie Leon? Dass ich nicht Fußball spielen kann? Und wer hat Jojo  und mich aus diesem engen, kleinen Raum in den Graffiti- Burgen befreit? Und wer hat beim letzten Spiel das Entscheidungstor geschossen? Und beim Spiel, wo Maxi so hart gefault wurde? Ihr könnte mich alle mal, vor allem du Markus. Halt dich einfach aus meinen Angelegenheiten raus." Mit diesen Worten drehte ich mich um, rannte zu meinem Motorrad und fuhr heulend nach Hause. Dort angekommen schloss ich mich in meinem Zimmer ein, schob den Schrank zur Seite, schloss die versteckte Tür auf und ging direkt zum Boxsack. Ich griff nach den Handschuhen und schlug einfach zu. Einmal für Leon, einmal für Markus, für Vanessa, für Klette, für Nerv, für Maxi, für Raban , für Joschka und das ganze wiederholte ich immer und immer wieder, bis ich irgendwann weinend auf dem Boden saß und nur noch sterben wollte. Ich war ein Wrack mit Schmerzen und wie zur Bestätigung kam in diesem Moment wieder eine der mittlerweile bekannten Schmerzen in meinem Bauch. Ich lag zusammengekrümmt auf dem Boden und weinte solange, bis mir die Augen zufielen und ich in einen unruhigen Schlaf abdriftete.

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Die Wilden Kerle und die StilleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt