07- Olivengrün

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Black Streets
07- Olivengrün

  Ich sehe meine Schwester so an, als würde ich das zum ersten Mal in meinem Leben tun. Blondes Haar, kakaobraune Augen, rosa Lippen und kleine Sommersprossen.
  Eine zweite Buke existiert auf dieser Welt. Eins in männlich.

Nicht jedes männliche Wesen ist von Grund auf schlecht, höre ich ihre Stimme in meinem Kopf sprechen. Sie ist nicht mit einem Mann abgehauen, sondern mit ihrem Baby.

»Ich«, Bukes Stimme holt mich zurück aus meinen Gedanken. Es gibt so viel Chaos in meinem Inneren. Sie zittert. Das alles fällt ihr schwer. »Ich wollte ihn nicht. Alles, was ich mit gewünscht habe, war es, ihn loszuwerden. Weil ich gedacht habe, dass er das schlimmste ist, was mir zustoßen kann. Aber dann-«, sie stoppt, zuckt mit der Schulter und dann beginnt ihre Fassade zu bröckeln.

Einzelne Tränen rinnen ihre Wange hinunter.  »Ich hab ihn in meinem Arm gehalten und das war das schönste in meinem Leben. Die Welt hat sich verändert. Die ganze Welt, Izem. Ist das zu fassen? Nur einen Moment hatte ich ihn bei mir und egal, was passiert ist, es war, als wäre es überstanden. Er ist Leben. Mein Leben, Izem. Ich will ihn zurück. Ich will ihn zurück.«

Noch nie habe ich einen Menschen gesehen, dessen Augen funkeln, während er weint. Deshalb verstehe ich sie umso mehr nicht. »Aber wieso hast du ihn abgegeben?«

Ihr Blick streift an mir vorbei zur Tür. »Er hat-«
Sie bricht ab und beißt die Zähne zusammen. Der Gedanke bringt sie um.
  »ihn dir weggenommen?«, beende ich den Satz fragend. Wir wissen beide, dass sie unseren widerwärtigen Stiefvater meint.

Sie nickt und dabei zittert ihr ganzer Leib.
  »Es wird alles gut«, flüstere ich, sowie sie früher und lege sie ins Bett, wo sie bald einschläft. Sie ist müde und erschöpft, aber kein Schlaf der Welt kann ihr helfen.

Ich weiß, dass der einzige Grund, weshalb sie nicht tot ist, der ist, dass sie stattdessen Geld verdienen kann.

Unten hört man, wie die Haustür aufgeschlossen wird. Ich renne die Treppen hinunter und blicke ihm ins Gesicht. Ich werde nie verstehen, wieso meine Mutter diesen Mann geheiratet hat und wieso sie sich nicht hat scheiden lassen.

»Was starrst du so?«, fragt er genervt. Ich werde auch nie verstehen, wieso wir nicht abgehauen sind. Wir können nicht, hatte Buke gesagt, er bringt uns um. Wenn wir achtzehn sind, fliehen wir ins die Türkei, hieß es. Dann verkaufen wir dieses Haus und fliehen. Buke meinte sogar, sie hätte Geld genug zur Seite gelegt. Immer etwas von ihrem verdientem Geld unbemerkt weggetan.
Ich weiß nicht, was wahr ist.

»Hast du Essen gemacht?«, fragt er nun.
  »Ich bin auch gerade erst gekommen.«
  »Hast du die Wäsche gemacht?«
  Ich schüttle nur den Kopf. Jetzt noch nicht, denke ich. Es ist nicht die Zeit, übereilt zu handeln. Aber bald, das werde ich nicht lange erdulden.
  »Nicht einmal das Geschirr ist sauber gemacht worden«, bemerkt er, als er die Küche betritt. »Wozu bist du gut?«

Er ist schlecht gelaunt. Im Normalfall ist das besser als gute Laune. Heute aber bin ich mit unsicher. Er schreit weder herum, noch macht er Anstalten, mir zu drohen. Nichts. Leise fluchend öffnet er den Kühlschrank, knallt ihn dann aber wieder zu, als er nicht fündig wird. »Ich gehe mir was zum Trinken holen. Solange steht Essen auf dem Tisch.«

Ich nicke nur und er verlässt das Haus. Meistens braucht er nicht lange, um etwas zu besorgen und deshalb beeile ich mich mit der Arbeit.
Er kommt aber nicht.

Ich sehe nach Buke. Sie schläft noch, ist dauererschöpft. Eine Art Erschöpfung, die nicht mit Schlaf kuriert werden kann.
  Langsam setze ich mich auf mein Bett und mein Blick huscht auf den Spiegel.
  Manchmal, da komme ich mir selbst fremd vor, wenn ich mir mich ansehe. Als wäre ich in einen anderen Körper gerutscht. Ganz ausversehen.

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