22- Zerbrochenes Glas

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Black Streets
22- Zerbrochenes Glas

Ich starre den Bildschirm an. Für einen Moment ist es still in meinem Kopf, fast so, als würde es sich auf die Flut von Gedanken bereiten. Das ist zu viel.
Ümit. Tot.
Ich. Schuldig.

Nein, das kann nicht real sein. Es ist sinnlos wie unmenschlich. Wieso sollte jemand Ümits Tod wollen- den Tod von einem Baby? Ich kann mir die Frage nicht beantworten, geschweige denn darüber nachdenken, weil ein ziehender Schmerz in meiner Brust meine gesamte Kraft beansprucht. Ich versuche einzuatmen, aber irgendetwas verdreht meine Lungen. Allein der Gedanke an Ümits Tod raubt mir die Nerven.

»Izem. Izem.«
Ich spüre, wie Denizs Arme mich umschlingen, als meine Knie nachlassen. Ich lasse mich fallen, bin wie paralysiert. Das ist zu viel.
»Verdammt. Izem.«

Irgendetwas umhüllt mich. Ich weiß nicht, ob es wegen den Gedanken oder der Lähmung ist, aber es ist definitiv eine Art Schutzmechanismus. Obwohl ich mir nicht erklären kann, was es mir helfen soll, dass mich diese Schutzmembran umgibt, lasse ich mich gleiten. Es ist wie fliegen, es ist so warm und schön und für den Augenblick kann ich die Augen schließen. In meinem Kopf herrscht keine Flut, es herrscht Ebbe.

Genauso schnell wird die Membran aber durchstochen und ich spüre einen Kuss auf dem Scheitel. Gleichzeitig löst sich die Hülle auf und ich fühle genau, wie Denizs Arme mich noch immer umschließen.

Ich sitze auf seinem Schoß, er streicht mir übers Haar. »Es tut mir leid.«
Ordnung, ich brauche Ordnung in meinen Gedanken.
»Es tut mir so leid«, entschuldigt er sich wieder und immer wieder. Es tut ihm leid, das hab ich verstanden. »Aber du kannst doch nichts dafür.«

Ich rede seitdem das erste Mal. Mein Zeitgefühl ist dahin, deshalb kann ich kaum ausmachen, wie lange das her ist.

»Ich hätte es dir früher zeigen müssen. Aber ich konnte einfach nicht. Ich habe versucht euch beide zu beschützen, dich und meine Familie, aber es klappt nicht. Ich kann nicht einmal einen von euch retten«, erwidert er. »Es ist, als würde ich in einem völlig dunklen  Raum irren. Ich glaube stark daran, dass irgendwo ein Licht ist. Deine Augen sind empfindlich, du siehst sie nur nicht, rede ich mir ein. Es ist naiv und verzweifelt. Der Raum ist schwarz.«

Er wirkt verletzt durch seine Versuche. In ihm ist Chaos. Genauso wie in mir.
Ich kann nicht fassen, zu was Meral fähig wäre. Dabei hatte mich Deniz gewarnt und ich hatte ihm als aller letztes geglaubt. Es macht keinen Sinn. Wieso sollten sie das tun? Wieso sollten sie Ümit und mich so sehr loswerden wollen? Weil sie keine Fremdkörper im Haus wollen. Aber wieso gleich der Tod?

»Wo sind wir hier nur reingeraten?«, flüstere ich leise. Wie soll ich hier unbeschadet rauskommen? Wie soll ich Ümit hier rausbekommen? Wie soll ich es bloß schaffen, dass Buke nicht noch mehr stirbt?
Die Stimme von Meral wiederholt sich da in meinem Kopf. Als würde an ihr etwas nicht stimmen.
Aber würde Hülya das jemals tun? Nein, das kann ich nicht glauben. Sie meinte es doch selbst. Sie meinte, sie seien keine Monster.

»Ich verstehe das nicht«, meine ich mit einer Stimme, die kaum mehr als ein Flüstern ist. »Was soll ich bloß tun?«
»Lass mich das regeln«, antwortet er ruhig. »Ich werde nicht erlauben, dass man dir weh tut. Um Ümit und Meral brauchst du dir keinerlei Sorgen machen. Dafür bin ich zuständig. Sag, wie steht es bei dir im Haus? Kannst du deine Schwester jetzt sehen?«
Ich will es nicht ihm überlassen.
Nicht ihm. Aber ich muss wohl.

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