17- Leibwächter

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Black Steets
17- Leibwächter

Mit Bukes Kugelschreiber liste ich den Rest des Klausurstoffes auf ein Blatt.
  »Sie starrt ihn immer noch an, kannst du das fassen?«, höre ich Lamia neben mir flüstern. Sie deutet unauffällig auf Berna, deren Blick Deniz fixiert. »Das hat wohl ihren Stolz gekränkt. Normalerweise laufen ihr die Kerle doch alle hinterher.«
  »Das interessiert mich nicht«, gebe ich von mir und sehe nach vorne. Ich habe sie gewarnt.

»Ach komm schon, Izem. Du willst doch jetzt nicht dem Unterricht lauschen?«, nörgelt sie dann schmollend. »Weißt du, welche Gerüchte kursieren?«
  »Gerüchte sind Gift.«
  »Wenn du meinst. Aber du solltest wissen, dass man sagt, er hätte eventuell jemanden erstochen, etwas mit Drogen zutun, wollte einen Amoklauf planen und hätte drei Kinder, die er auf einer einsamen Insel abgesetzt hat.«
  »Hast du auch vom Gerücht gehört, dass Berna angeblich Gerüchte auf die Welt setzt, um ihn zu kränken?«
  »Was?«, bricht sie heraus. »Davon wusste ich nichts.«
  »Und wir kennen Berna. Sie ist nicht so. Also sollten wir auch dem Rest nicht glauben.«

Ich stecke die Unterlagen wieder in meinen Rucksack, als mir mein Notizbuch in die Augen sticht. Schon wieder drin vergessen.
Ich seufze.
»Was ist?«, fragt Lamia.
»Nichts, ich kann es nur nicht mehr aushalten, noch mehr Stunden hier verbringen zu müssen.«
»Dann hab ich eine gute Nachricht. Die letzten beiden fallen aus.«

Ich fahre mit dem Bus wieder zurück nach Hause und schreibe währenddessen auf die gelblich-grauen Seiten des Notizbuches. Das meiste kann man sowieso nicht mehr lesen, der Rest ist verklebt. Es ist Chaos. Jetzt ist es dir sogar ähnlicher. Sieh es als deine persönliche Metapher.
Das schreibe ich dann auch auf, auf die letzte Seite im toten Buch.
Meine persönliche Metapher.

Ich stecke es irgendwo zwischen den Regalen in meinem Zimmer. Zuerst wollte ich es so schnell wie möglich verbrennen, aber ich konnte nicht. Meine Finger haben mir nicht gehorchen wollen. Ich müsste blind vor Wut sein, um es wieder zu wagen. Aber dann fällt mir ein, dass Elias das Buch gesehen hat und dass er damals aufmerksam genug war, zu wissen, dass ich immer mit Bukes Kugelschreiber geschrieben habe. Ich habe Angst, dass noch jemand meine Gedanken entblößt.
Das Notizbuch landet wieder in der Tasche.

»Musst du nicht in der Schule sein?«, fragt mich Elias, der gerade das Haus betritt.
  »Fällt aus.«
  »Musst du nicht arbeiten?«
  »Ich wollte gerade raus.«

Er grinst kopfschüttelnd. »Ich fahre dich.«
  »Ich brauche keinen Chauffeur.«
  »Sag das deinem Vater.«
  »Meinem Stiefvater«, korrigiert ich angeekelt und ziehe meine Schuhe rasch an. »Dann fahr mich eben. Weniger Aufwand für mich.«

Ich kann nicht fassen, dass er mich kontrolliert. Als Buke ihm so aus der Kontrolle gekommen ist, hatte er eine lange Phase, in der er nicht wusste, wie er reagieren soll. Jetzt hat er wohl eine neue Strategie. Leibwache.

»Du solltest dankbar sein, dass ich dich fahre«, brummt er, als ich schon das Anwesen in der Ferne erblicken kann. Es sieht von hier aus gewaltiger aus.
»Nur weil man der am wenigsten schlechte zwischen Bösen ist, ist man nicht gleich gut, Elias«, zische ich. Ich nenne ihn nicht oft beim Namen. Es lässt mich so fühlen, als sei er menschlich. Namen machen menschlich, aber die verändern doch bloß nichts. Ob Elias oder der Stiefcousin, er ist derselbe Arsch.

»Doch, irgendwie schon«, meint er nachdenklich. »So funktioniert doch das Stockholm Syndrom?«
Wir sind angekommen. Ich sage nichts dazu, steige stumm aus dem Wagen und knalle die Tür zu.

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