14- In deinen ganzen Farben

2.7K 229 114
                                    

Black Streets
14- In deinen ganzen Farben

»Irgendwann schmeiße ich dieses Baby raus«, raunt Hülya und schließt sich in ihrem Büro, welches die Tür links im Wohnzimmer beherbergt.

Ich renne hoch zu Ümit und sehe sein Schmerzverzerrtes Gesicht. Als er mich erblickt schmollt er kurz, beginnt dann aber wieder zu weinen.
»Fühlst du den Schmerz?«, frage ich ihn. »Bist du deshalb so unruhig? Ist es eine Vorahnung oder bloß ein Gefühl?«
Man sagt Babys spüren Gut und Böse. Ob das wahr ist?
Ich hätte niemals erwartet, dass es sich so gut anfühlt, mit einem Baby zu reden, das dir nicht einmal antworten kann. Er sieht mich nur mit seinen großen Augen an. So wunderschön.

Ich verliebe mich noch in meine eigenen Augen wegen ihm. Er greift nach meinem Finger und drückt sie fest. Dann gähnt er und lacht anschließend.

Während der Zeit mit ihm, ist alles andere ausgeblendet. Ich denke weder an meinen Stiefvater, noch an Elias oder Deniz. Ich denke nicht daran, dass er meine Buch fotografiert und diese anschließend gedruckt hat. Diese Gefühle sind eingesperrt, bis er wieder einschläft.

Dann aber kommen sie wieder, wie die Flut nach der Ebbe kommt. Zerstörerisch und mit ganzer Gewalt.

Ich versuche mich zu beruhigen, während ich Meral helfe. Es ist unfair, dass ich mir das Ganze gefallen lassen muss. Er weiß es ganz genau. Deshalb agiert er auch so direkt. Als würde er mir zeigen wollen, dass er es kann, dass er es darf, dass ich nichts dagegen tun kann. Außer zusehen.

»Hey, du bist so weggetreten«, flüstert Meral besorgt. »Ist alles in Ordnung? Setz dich lieber erst einmal hin.«
Und diese Frau soll eine Bestie sein?

Ich lasse mich auf das Sofa nieder. Mein Kopf pocht. Ich fühle mich hier nicht mehr wohl. Das, wonach mein Inneres schreit, ist mit Ümit zu verschwinden.

Ich will nicht zu Abend mit allen essen, weil ich diesen Typen einfach nicht wiedersehen will.
»Natürlich wirst du essen«, besteht aber Hülya und ihr Wort ist Gesetz in diesem Haus.

Deniz blickt genervt auf seinen Teller. Es ist die hälfte der Zeit über ruhig, bis Deniz meint, diese Ruhe zerstören zu müssen. Er lächelt provokant und sieht sich in der Runde um. So startet er seine Show. »Wie lange willst du denn das Kind noch behalten?«, fragt er Hülya und tut so, als sei er enorm daran interessiert.
»Ümit ist die Verantwortung deiner Mutter. Falls du derlei Fragen hast, solltest du dich an sie wenden.«
Sie lässt sich nicht aus der Fassung bringen.
»Und wie lange willst du meine Mutter behalten?«

Hülya legt ihr Messer bei Seite, mit dem sie gerade noch geschnitten hat. »Was soll diese Frage?«
»Ist sie denn nicht berechtigt? Ich meine, wir sind doch eine Last auf deinen zerbrechlichen Schultern.«
»Iss dein Essen.«
»Du hast uns gebraucht, aber jetzt, wo du den Schlimmsten Teil hinter dir hast, hast du uns schon wieder satt.«
»Iss dein Essen, Deniz.«
»Du zitterst vor Angst, dass wir etwas schlimmes tun werden und du dafür aufkommen musst.«
»Das einzige, was mir Angst macht, ist eure Unkontrolle!«

Gerade da schreit Ümit wieder. Es wird ein Desaster geben.
»Und dieses Kind kann sich genauso wenig kontrollieren!«

Ich springe auf, laufe die Treppen hoch und begebe mich in das Zimmer meines Neffen.
»Psht«, flüstere ich. »Alles wird gut, alles wird gut. Nicht weinen, nicht weinen, kleiner Engel.«
Diese Familie ist nicht nur zerbrochen, sie besteht aus Scherben- und wenn jemand sich nur versucht zu bewegen, verletzt er alle um sich herum.

Black StreetsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt