34- Schwarze Tinte

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Black Streets
34- schwarze Tinte

"Lamia,
Ist dir jemals aufgefallen, wie schwarz die Straßen sind? Wie viel Schmerz, wie viel Trauer, wie viele Kämpfe sie tragen? Eine Straße hat tausend Geschichten. Das hier ist meine und sie anders als sie scheint.
Du hast mich einmal gefragt, ob mein Schweigen wegen Vertrauensmangel oder dem Glauben, dass du mir nicht helfen kannst, verursacht wird.
Ich glaube, es liegt daran, dass ich dich nicht miteinbeziehen wollte. Du gehörtest nicht in dieses Bild, in diese Welt.
Lamia, ich werde gehen. Ich weiß, das klingt dreist zu gehen und Verständnis zu erwarten, aber ich wünsche, dass du in deinen Gebete bei mir bist, denn du wirst in meinen Gebeten sein."

Ich merke, dass es noch so viel gibt, dass ich hätte sagen müssen. Ich müsste ihr noch so viel danken. Dieser Brief ist unvollständig. Deshalb kritzele ich noch einige weitere Worte. Es ist schwer, auf meinem Schoß zu schreiben.
  »Ich dachte, der Brief wäre fertig«, raunt Elias. Ich ignoriere ihn.

"Danke Lamia, dass du bei mir geblieben bist, an meiner Seite, selbst wenn ich schwer war. Ich weiß, dass ich manchmal nur körperlich Anwesend war. Ich gehe jetzt dorthin, wo ich seelisch bin. Werde glücklich, Lamia. Verzeih mir. Ach und gib Ömer eine Chance. Er kann echt ein guter Junge sein.
Mögest du ein gutes Leben führen,
Izem."

Ich werfe den Brief, der mit schwarzer Tinte beschrieben ist, in den Kasten und laufe wieder zurück zum Wagen.

Sie hatte auch recht im Bezug auf Deniz.
Es war ein fataler Fehler, den ich begangen habe, zu denken, Deniz sei mein Rettungsring im gewaltigen Meer. Dabei ist er das Meer höchstpersönlich. Das Gewicht dieses Fehlers sorgt für meinen Untergang. Das Meer hat mich vollkommen umschlungen. Aber anstatt, dass es pechschwarz wird, wird es so bunt und kräftig. Ich habe mal gehört, dass Menschen kurz vor ihrem Tod farbige Lichter sahen. Es hat sich warm und sicher angefühlt. Vielleicht bin ich kurz davor zu sterben gewesen.

»Ist jetzt alles fertig? Können wir gehen?«, fragt Elias genervt und gibt Vollgas. »Ihr wisst, dass unser Onkel Polizist ist?«
  »Stiefonkel«, korrigiere ich, als hätte das noch einen Wert.

»Was auch immer«, meint er. Buke ist zu sehr beschäftigt mit Ümit. Ich beiße die Zähne zusammen und schaue aus dem Fenster. Das ganze ist zu grotesk. Am Steuer sollte Deniz sitzen, nicht Elias. Wie konnten sich die Dinge so wenden?

»Was ist los? Sind deine Gedanken noch bei diesem Typen?«, fragt Elias barsch, wobei er eigentlich die letzte Person ist, die mich überhaupt etwas fragen sollte.
  »Nicht diesen«, antworte ich dennoch. Ich will keinen Streit anzetteln. Ich traue ihm sowieso nicht. Man kann sich gut vorstellen, dass er gleich loslacht und uns zurückfährt, damit wir sterben können.

Ich will weinen. Ich kann nicht fassen, wie sich so viele Tränen in mir stauen können, wenn mein Körper doch so sehr brennt. Es ist ein ungewohnter Schmerz und zu wissen, dass ich ihn nie wiedersehen werde, ist erleichternd und zerstörend zugleich. Ich spiele mit dem Anhänger, den er mir geschenkt hat. Ihn wegzuwerfen könnte ich nicht übers Herz bringen. Nicht jetzt.

Ümit schläft seelenruhig. Ihn zu betrachten macht das Ganze erträglicher. Er ist es, der alles wert ist. Für ihn lohnt sich alles.

»Er ist ein Wunder«, flüstert Buke. Ihre Augen funkeln wie Diamanten. Ich frage mich, ob sie weiß, dass Elias behauptet hat, er sei der Vater. Widerlich sowas.
  »Was ist mit dem Vater, Buke?«, fragt er dann und er klingt fast schon behutsam. Wieso? Das macht keinen Sinn. Es macht mich so wütend.

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