Black Streets
05- SchwesterherzDer Stiefpenner grinst schelmisch. »Siehst du das?«
Er deutet auf Buke. »Siehst du, was sie sich selbst angetan hat?«
Dann zieht er mit einem Mal so kräftig an ihrem Haar, dass sie losschreit.Und ich Schlaue gehe dazwischen. »Lass sie los!«, kreische ich und er fängt an zu lachen. Meine Tat ist unüberlegt. Mit bloßen Händen, ziehe ich ihn von ihr und versuche ihn mit aller Kraft gegen die Haustür zu werfen. Er taumelt nur.
Ich hätte eine Glasflasche gegen seinen Kopf werfen sollen oder einen Stuhl gegen ihn schleudern. Das hätte mehr gebracht.
Mein schlechter Plan geht aber auf.Er lässt sie in Ruhe, knurrt dafür und sieht mich aggressiv an. »Dass du das wagen kannst!«
Seine Haltung hat sich schlagartig geändert. Die Muskeln spannen sich und er kommt auf mich zu, sodass ich reflexartig Schritte nach hinten mache. Mit einem Grinsen will er mir eine scheuern und ich weiche synchron aus. Die Gelegenheit nutze ich sofort aus und schlage auf ihn ein. Das nützt aber nicht viel. Meine Kraft ist nichts gegen seine.Er packt mich am Arm und trifft gleichzeitig mein Gesicht mit seiner Faust. Meine Lippe platzt auf und ich würde runterfallen, würde er mich nicht festhalten.
Sein Lachen dröhnt in meinen Ohren und ich weiß, er wird mir furchtbar wehtun.
Ich kann mich nicht wehren, als er auf mich losgeht und seine Faust immer und immer wieder mein Gesicht trifft. Mit aller Kraft versuche ich, gegen ihn anzukommen. Als ich auf dem Boden liege und seine Schläge nicht aufhören, sehe ich noch kurz vom Augenwinkel, sie Buke ihn aufzuhalten versucht. Dann gebe ich irgendwann auf. Meine Lider sind so schwer, sie fallen einfach zu. Ich lasse es über mich ergehen, denn eine andere Alternative gibt es nicht.
Der Schmerz ist so intensiv, dass ich es mit jeder Faser spüre. Das Wimmern meiner Schwester, das Fluchen meines Stiefvaters, die immer schwarzer werdende Decke. Das ist also sein schwarzes Wunder. Das ist die Schläge, die ich kassiere für die Schwester, die mich verlassen hat.
Als der Morgen anbricht, befinde ich mich in meinem Bett und schlafe lange aus. In die Schule gehe ich nicht, aber selbst wenn ich das vermeiden kann, muss ich arbeiten gehen. Als ich aufwache, kommt erst der Schmerz wieder auf, dann die Erinnerung. Zu meiner rechten befindet sich Buke, die in ihrem Bett beinahe kaputten Bett schläft.
Meine Lippe ist geschwollen und aufgeplatzt, an meiner Braue ist eine kleine Narbe, die nicht wirklich tief ist sicherlich noch verheilt. Sonst sind nur einige blauer Flecke zu sehen. Mein Gesicht fühlt sich unangenehm betäubt an. Mein Kopf dröhnt und als ich mein Gesicht wasche, beschließe ich, mich wieder hinzulegen.
Ich kann aber nicht schlafen, also starre ich Buke an. Sie sieht fertig aus. Das Haar ist zerzaust und sie hat tiefe Schatten im Gesicht. Willkommen zurück, Schwesterherz. Dein Plan ist wohl nicht aufgegangen.
Wütend stehe ich auf. Ich will nicht im selben Raum wie sie sein, also verlasse ich mein Zimmer und gehe dafür duschen. Ich lasse mir heute Zeit. Das kalte Wasser strömt auf meine Haut und lässt mich für einen Moment lebendig fühlen. Ich weine. Die Tränen vermischen sich mit dem Wasser, welches aus dem Duschkopf herausströmt, werden eins.
Ich bin mit der jetzigen Situation überfordert. Die letzte Hoffnung hat meine Schwester genommen und irgendwo dort liegen lassen, wo sie auf ihrer Reise gewesen ist.Jemand hämmert gegen die Badezimmertür. »Na wird's bald!«, ruft der Penner. Der ist ja auch noch da.
»Bin gleich fertig!«, antworte ich und drehe das Wasser zu.
Er grummelt etwas und geht.Als die Zeit kommt, dieses Haus zu verlassen, stehe ich wieder lange vor dem Spiegel. Wie verdammt noch einmal kriege ich das alles im Gesicht abgedeckt? Ich gebe mein Bestes, aber es ist nicht gut genug. Dann muss ich mir wohl eine Ausrede einfallen lassen. Wieso gehe ich nicht zur Polizei? Wovor sollte ich noch Angst haben?
Vor seinen Verwandten? Vor Elias? Vor irgendwem anderes? Davor, dass er Buke und mich trennt?»Ich bin die Treppe runtergefallen«, erkläre ich den anderen Angestellten und mache mich an die Arbeit. Es hatte nicht lange gedauert, bis jemand nachgefragt hat und obwohl ich diese Antwort parat hatte, fühle ich mich für den Moment enttarnt. Nach Schichtende ist es schon dunkel. Es war ein anstrengender Tag, zumal noch die Wunden frisch sind.
Den Teil des Tages mag ich eigentlich am meisten. Die Straßen sind dunkel gefärbt. Kaum noch jemand ist auf der Straße. Ich bin allein. Niemand kann mir wehtun.
Die Hände tief in den Taschen biege ich in die nächste Seitengasse und stoppe abrupt.
Dort stehen zwei Typen. Der eine packt den anderen am Kragen und drückt ihn mit einem Mal so fest gegen die Wand, dass es ein lautes Geräusch von sich gibt. Mein Stichwort zu gehen.»Wenn ich noch einmal hier sehe, bringe ich dich um.«
Das war einer der Typen. Ich bewege mich schnell in die entgegengesetzte Richtung.
»Ist da wer?«
Ich halte an und drücke mich gegen die Wand, damit er meine Silhouette nicht sieht. Das war die Stimme von eben und sie kommt mir aus irgendeinem Grund bekannt vor.
Der andere Typ nuschelt etwas und wird deshalb noch einmal gegen die Wand geschlagen. »Halt den Mund!«Mein Herz schlägt so laut, dass ich das weitere Gerede von denen nicht verstehe. Ich frage mich, ob er mich erkennen würde, wenn ich mich von der Stelle bewege. Mein Körper ist beinahe vor Angst erstarrt. Ich rutschte die Mauer runter, ziehe die Beine an meine Brust und umschlingen diese mit meinen Armen.
Das Gebrülle und Geschlage geht eine Weile weiter. Ich schalte es unbewusst ab. Den Kopf gegen die Knie gepresst, das Gesicht von den Haaren versteckt, bleibe ich dort sitzen, bis keine Menschenseele mehr vor Ort ist. Ich bleibe sogar noch länger und frage mich, wieso ich mich so verletzt fühle.
Ich erwarte irgendeinen Kommentar vom stolzen Stiefvater, als ich zu Hause erscheine, aber er ist nicht da. Dafür kauert Buke in unserem Zimmer. Ihre Augen sind größer, wie riesige schwarze Knöpfe. »Ich sollte sterben.«
Ich bin eigentlich sauer auf sie. Ich will ihr Gesicht nicht sehen, aber als sie das sagt, verdreht sich etwas in meiner Brust. Vielleicht sind das meine Lungen, denn ich kann auf Anhieb kaum noch atmen. »Was sagst du da?«
»Ich verdiene es nicht, zu leben.«
»Verdammt, halt den Mund!«, rufe ich so laut ich kann. »Hör auf zu spinnen und ruh dich aus. Ich mach dir eine Suppe.«»Nein, bleib hier«, flüstert sie leise. Obwohl ihre spröden Lippen sich bewegen, dauert es eine Weile, bis ihre Stimme aus ihrer Kehle hervortretet. »Ich muss dich etwas fragen.«
Ich weiß nicht, was mit ihr los ist. Diese Buke kenne ich nicht. Sie ist mir völlig fremd.Tränen quellen aus ihren großen Knopfaugen. »Bitte, Izem.«
»Worum geht es?«
»Du musst kündigen.«Ich blinzele zweimal, dann erreichen mich die Bedeutung ihrer Worte. »Du willst mich umbringen.«
Sie schüttelt den Kopf.
»Buke, du willst, dass er mich umbringt!«
»Nein, das tut er nicht.«
»Dafür aber schlägt er mich so, dass ich sterben will!«Ich atme tief ein und aus.
»Vor ihm habe ich keine Angst mehr«, meint sie. »Nicht um mich.«
»Ich aber!«
Die ist doch völlig gestört.Ich beiße die Zähne fest zusammen. »Ich will nicht.«
Ich will, dass meine Stimme fest und entschlossen klingt. Aber sie ist nicht mehr als ein Flüstern. »Ich will nicht.«»Bitte Izem, kündige. Sag ihm, du wurdest rausgeschmissen und hast einen neuen Job.«
Als sie das sagt, funkelt ein letztes Stück Hoffnung in ihren Augen. Meine hat sie mitgenommen und ihre behalten.
Ich schüttele den Kopf. »Wieso soll ich das tun?«
»Frag nicht. Es gibt eine Familie, die jemanden braucht, der ein Baby großziehen soll. Du bist perfekt.«
»Ich mach das nicht. Wieso sollte ich das machen? Ich kann mich gleich von einer Klippe stürzen!«Sie schließt den Mund und ihre Augen wandern zur Decke. »Du hast recht.«
»Und wie ich das habe.«
»Du hast Angst.«
»Und wie ich die habe.«
»Und du wirst es trotzdem tun«, behauptet sie. »Für mich wirst du es tun. Weil ich dich darum bitte.«Buke sieht mich wieder an. Es ist so dunkel, dass ich denken könnte, ihre Augen hätten ihre Augenhöhle verlassen. Wie glitschige Kugeln, die man entfernen kann. »Ich werde dich beschützen.«
Ich lache bitter auf. »Du kannst dich selbst nicht beschützen.«»Ich hab nichts mehr zu verlieren.«
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Black Streets
Teen FictionIzems Welt liegt in Trümmern auf einer dieser schwarzen Straßen, auf denen kalter Wind weht. Ihre Hoffnung verlässt sie, eingepackt in dem Koffer, den ihre Schwester hektisch dem Fahrer reicht. Aber wieso verlässt sie sie? Wieso geht sie allein, ob...