35- Enttäuschungen

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Black Streets
35- Enttäuschungen

Die dürre Frau starrt uns erschrocken an. Ihre zitternden Hände liegen noch an der Tür, bereit, sie jeden Moment zu schließen. Ihr Mund ist leicht offen. Sie legt den Kopf schief und zieht die Winkel ihrer Augenbrauen hoch, sodass ihre Mimik Verzweiflung aufweist. »Geht.«
Sie hat eine sehr kalte und trockene Stimme, die bestimmt klingt. Gleich darauf will sie die Tür schließen, doch Elias stellt seinen Fuß hinter die Tür und öffnet sie wieder.

Sie wirkt noch verzweifelter, weil sie keine Chance hat. Dennoch versucht sie weiterhin die Tür vergebens zuzubekommen. »Geh! Geh! Ich will dich nicht sehen.«
  Elias Augen sind um das doppelte gewachsen. Ich habe noch nie so viel Leid in seinen Augen gesehen. »Mama«, sagt er in einem so mir fremden Ton, dass ich eine Gänsehaut bekomme.

Die Frau gibt auf und atmet flach ein und aus. »Ich habe keinen Sohn. Verschwinde von hier.«
  »Wieso?«, bringt er nur hervor. »Ich dachte, du bist tot.«
Sie hat eine abgeneigte Haltung. »Bin ich nicht. Bist du zufrieden? Jetzt geh dorthin, woher du gekommen bist.«
»Mein Vater ist tot«, sagt er außer Atem. Es verschlägt ihm die Luft. »Es gibt niemanden, der uns trennen wird.«

Sie schaut verwirrt aus. »Wer sagt, dass ich dich will?«
Ich weiß nicht genau, was ich tun soll, außer zuzusehen. Buke schaut mich skeptisch an, als Ümit zu weinen beginnt. Elias Mutter schaut uns angewidert an. »Kommst her mit diesem Pack.«

Buke ignoriert ihre Worte, wiegt Ümit hin und her, damit er aufhört zu schreien.
Elias ist sprachlos. Er schluckt schwer. »Was soll das heißen?«
»Ich will nichts mit euch zutun haben. Versteht es doch endlich.«
»Du verstehst nicht«, widerspricht Elias. »Er ist tot, tot. Niemand wird dir jemals wieder wehtun. Du bist nicht in Gefahr. Ich werde dich beschützen.«

Am liebsten würde ich meine Hand auf seine Schulter legen und ihm deuten zu gehen. Er merkt nicht, worum es geht. Das in den Augen dieser Frau ist keine Angst, keine Sehnsucht oder Kummer. Sie will nur keine Last mehr haben und kein Gewissen. »Ich habe gesagt, geh. Du glaubst, dieser Bastard hätte dich gefunden, hätte ich dich nicht ausgehändigt?«
»Ausgehändigt?«, wiederholt Elias überrumpelt.

Sie lacht. Wie kann sie lachen. »Ich wusste, ich hätte dich abtreiben sollen. Aber es ist nunmal geschehen und noch ein Maul zu füttern. Das hätte ich mir sparen können, das habe ich mir gespart.«
»Du musst mich nicht mehr versorgen. Ich werde auf dich achten.«
Immer noch versucht er die Mutter, die in seinem Kopf existiert, bestehen zu lassen. Er will nicht eingestehen, dass sie es nicht ist.

Sie sieht ihn skeptisch an, als zweifle sie an seiner Intelligenz. »Junge. Geh einfach. Sonst rufe ich deinen Onkel an und du weißt, wie das endet.«
»Mein Onkel kann mir nichts haben«, meint er.
»Wieso willst du bleiben, wo man dich nicht will?«

Was ich gerne getan hätte, das tur Buke. Mit der einen Hand hält sie den immer noch weinenden Ümit, die andere legt sie auf seine Schulter. »Elias.«
Sie sagt nichts weiter, nur seinen Namen. Er versteht, zieht sich zurück.

Die Frau schließt polternd die Tür und Elias Welt wird zerstört. »Ich wünschte, du wärst gestorben in meinem Kopf. Ich wünschte, ich hätte dich nicht gefunden.«

Ich muss zugeben, er tut mir leid. Aber ich denke nicht allzu sehr an ihn, weil die Enttäuschung in Bukes Gesicht mir viel mehr zu schaffen macht. Ja, ich hatte auch Hoffnung. Um ehrlich zu sein hatte mich der Gedanke, dass ich mich in die Arme meiner Mutter hätte werfen können, furchtbar beruhigt. Aber Bukes Schmerz ist so viel intensiver. Sie braucht jemanden, der sie halten kann und ich bin zu schwach. Ich kann noch nicht einmal mich selbst halten.

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