7. Ein Auge und ein Mädchen

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Der Junge sass konzentriert in seinem Arbeitszimmer und das einzige Geräusch, das man weit und breit hörte, war das Kritzeln seines Bleistifts auf dem Papier. Sorgfältig fuhr er seiner bisherigen Skizze entlang. Er wusste noch genau, wie das Mädchen ausgesehen hatte. In Gedanken ging er ihre Bewegungen nach und verglich die Konturen ihres Gesichtes mit der Zeichnung. Mit dem Stift korrigierte er ihre Wangenknochen, die doch etwas höher gewesen waren und machte dann mehr Bewegung in ihre Haare. Je mehr er in seiner Erinnerung nach dem Mädchen suchte, desto mehr realisierte er, wie schön sie war. Auf seiner Zeichnung hatte sie eine Haltung, die er Live noch nie gesehen hatte, aber er konnte sich vorstellen, wie sie sitzen würde. Das Mädchen auf dem Bild sass auf einem Stuhl im Freien und lächelte in die Sonne. Sie trug, wie auch in seiner Erinnerung, Jeans und ein T-Shirt, völlig normal. Aber ihre Ausstrahlung war auffällig, selbst auf der Bleistiftskizze. Es war beinahe unmöglich, die Wirkung des Mädchens auf Papier festzuhalten, aber er gab sich viel Mühe, sie auch nur ansatzweise zu treffen. Ihr Lächeln war süss und keck zugleich und ihre Pose war lässig, aber bewusst. Das Mädchen strahlte so viele Gegensätze aus, merkte der Junge beim Betrachten des eigenen Bildes. Aber das war auch der Grund, warum er sie unbedingt zeichnen musste. Sie war faszinierend. Er beugte sich wieder nach vorne und wie automatisch zeichnete seine Hand weiter. Das Mädchen bekam Arme und Beine, sie hatte Schuhe an und hinter ihr wuchs hohes Gras. Er skizzierte weiter, malte ihre Lippen nach und verbesserte ihre Augen, die selbst mit dem grau seines Stiftes strahlten. Eine Weile lang schaute er das Bild wieder an und lächelte leicht. Das Mädchen war perfekt für sein Projekt. Ihre Augen sahen ihn vieldeutig an, entsprachen nicht dem, was sie tat. Nach kurzem Zögern nahm er seine Farbstiftschachtel aus der Schublade seines Schreibtisches und begann, das Bild farbig zu machen. Wie immer hatte er bei der Skizze nicht fest gedrückt, sodass er den Bleistift kaum ausradieren musste. Als erstes färbte er ihre Kleider ein, darauf bedacht, die Message des Bildes zu behalten. Es sollte gegensätzlich sein, deswegen war ihr Oberteil auch rot, im Vergleich zum saftigen Grün der Vegetation im Hintergrund. Dann malte er ihre Jeans, gab den Schuhen und den Haaren Farbe und kümmerte sich um das Glänzen der Augen. Während er ihre Hautfarbe und das Gesicht malte, versuchte er, sich an alle Details des Treffens zu erinnern. Er rief sich ihre Bewegungen ins Gedächtnis, ihren Gang, ihr Auftreten. Er war sich ihrer Position noch genau bewusst, wusste den Blickwinkel noch, wie sie ihn angesehen hatte. Er konnte sich an ihren Geruch erinnern und an das Wippen ihrer Haare im Gegenwind ihres Ganges. Der Junge setzte all diese Eindrücke des Mädchens in der Zeichnung um und eine halbe Stunde später war die Zeichnung fertig. Doch sein Projekt hatte gerade erst begonnen. Zufrieden betrachtete er sein Kunstwerk und beschloss, es zum Schluss noch voll-ständig auszubessern, wie er es immer tat. Aber dann wandte er sich der nächsten Arbeit zu. Er riss ein weiteres Blatt in seinem üblichen Format vom Zeichenblock, griff nach dem Bleistift und legte sein erstes Bild des Mädchens links neben sich auf die Arbeitsplatte. Dann stand er auf und ging rasch in die Küche, um sich einen Kaffee zu machen. Er war seit Stun-den am Zeichnen und auch zuvor hatte er sich nicht ausgeruht. Er hatte die ganze Zeit über an das Mädchen gedacht und sich alles gemerkt, was er noch von ihr wusste. Er hatte ihre Kleidung und ihre Haarfarbe notiert und sich ausgemalt, was sie als Projekt darstellen konnte, was aus ihr werden konnte. Im Kopf hatte er bereits alle Zeichnungen gemacht, aber sie auch umzusetzen war dennoch nicht so einfach. Jetzt stand er grübelnd neben der Kaffeemaschine und hörte im Nebenzimmer, wie sich drei Jungs unterhielten. Dann ging er, mit dem Kaffee in der Hand, wieder zurück in sein Zeichenatelier. Nach einigen Schlucken Kaffee konnte er sich auch wieder besser konzentrieren und machte sich mit dem Bleistift bewaffnet an die Arbeit. Diesmal würde er nicht einfach das Mädchen zeichnen, was ja ein simples Werk war. Er würde einen Ausschnitt zeichnen. Nur einen Part des Originals. Mit raschen, gezielten Strichen begann er die neue Skizze. Ihr Auge war diesmal grösser drauf, da die Zeichnung praktisch nur aus dem Auge bestehen würde. Daneben fielen einige Haarsträhnen ins Gesicht und man noch knapp sah die Nasenwurzel, aber das war es auch schon. Auf diesem Bild würde zwar weniger drauf zu sehen sein, aber das, was man sah, musste genauer dargestellt sein. Hastig stelle er die Kaffeetasse etwas weiter weg von seinem Ellbogen, da-mit sie nicht auf die Zeichnung kippte, auch wenn er somit in Kauf nahm, dass er sie vergass und der Kaffee kalt würde. Hochkonzentriert beugte er sich zu seinem Blatt hinab und malte die Konturen ihrer Iris, die feinen Striche in ihrem Auge, die er beobachtet hatte und zeichnete dann die Nase. Für die Haarsträhnen brauchte er mehrere Anläufe. Das erste Mal wurde das Haar zu gerade und er radierte es wieder aus, das nächste Mal wurde die Strähne zu lockig. Mehrmals verbesserte er seine Striche wieder, sobald sie gemalt waren und verärgert blies er die Backen auf. Die Haare waren wichtig! Aber er hatte nicht viel Zeit gehabt, sich das Mädchen einzuprägen und langsam merkte er, dass sie ihm entglitt. Zum Glück hatte er bereits eine vollständige Zeichnung von ihr. Mit neuem Elan skizzierte er die Haare erneut und liess sie dann, wie sie waren. Er würde auch dieses Bild später perfektionieren müssen, aber erst einmal ging es um das Bild selbst, darum, dass er ein Abbild von ihr hatte. Schrittweise malte er das Bild an und bemühte sich, die Farbe ihrer Augen genau zu treffen. Ihre Augen, die da riesig zu sehen waren und einen glänzend anschauten. Was diese Augen wohl dachten? Der Junge legte seine Stifte zurück in die Schachtel und trank seinen Kaffee aus, der inzwischen tatsächlich kalt war, dann stand er auf und sah sich seine Bilder von weitem an. Die Uhr auf seinem Schreibtisch sagte, dass er schon sehr lange an der Arbeit war und nicht mehr viel Zeit hatte, also beschloss er, dass er die nächsten Bilder ein anderes Mal zeichnete. Kurzerhand nahm er die Bilder in die Hand und hängte sie mit Klebestreifen über seinem Schreibtisch auf. Das Mädchen und das Auge schauten ihn an, für einen Aussenstehenden musste das ganz schön gespenstisch wirken. Der Junge versorgte sorgfältig seine Utensilien und ging dann aus dem Atelier. In diesem Moment klingelte es an der Tür und er zuckte heftig zusammen. Er erwartete keine Gäste und auf keinen Fall durfte jemand in sein Atelier. Aber andererseits hatte er häufig Besuch und bisher ist niemand in sein Arbeitszimmer gegangen. Verwundert eilte er zur Türe und öffnete, da stand der Nachbar draussen und lächelte freundlich, als er ihn sah.

„Hey, kommst du heute Abend mit in den Ausgang?", wollte er direkt wissen, ohne sich um Höflichkeiten zu kümmern, was er sowieso nie tat. Der Junge überlegte kurz. Er wollte die Zeichnungen noch fertig machen, aber er konnte auch nicht den ganzen Tag daran sitzen. Ein wenig Abwechslung würde ihm guttun.

„Okay. Wohin geht ihr?"

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Also ich selbst kann leider überhaupt nicht zeichnen. Aber eine gute Freundin von mir richtig gut😍. Und bei euch?😊 Und natürlich freue ich mich über Sterne und Feedback😘.

P. S.: Ich habe meine Geschichte "The unseen souls" überarbeitet, ergänzt und als e-Book veröffentlicht. Ab heute kann man es bei allen Händlern kaufen! Und bis am Sonntag (24.1.) ist es gratis😉. Freue mich über Leser!❤️

Küsse im 2/4-TaktWo Geschichten leben. Entdecke jetzt