Küsse im 2/4-Takt

39. Eine unschuldige Frage

Mein Vater schloss mit einer Hand die Haustür auf und erleichtert trugen wir das Möbelstück die letzten paar Meter in die Wohnung. Bevor wir den Rest holten, wollte ich mich mal in seiner neuen Wohnung umsehen. Wenn man reinkam, sah man von jetzt an links im Gang die Kommode, die wir soeben rauf geschleppt hatten. Bald aber ging der Gang links in ein geräumiges Wohnzimmer über, bodenlange Fenster liessen es grösser aussehen, als es war. Links vom Gang waren drei Türen und geradeaus sah man das Badezimmer. Super, wenn man also die Badezimmertür offen liess und jemand die Wohnung betrat, hat man sofort einen Zuschauer. Das durfte ich auf keinen Fall vergessen. Die Wohnung war für eine Vierzimmerwohnung erstaunlich gross, wobei sie natürlich auch noch nicht möbliert war – von der Kommode mal abgesehen. Nachdem ich alle drei Zimmer angeschaut hatte und versucht hatte, sie mir mit Möbel vorzustellen, folgte ich meinem Bruder und meinem Vater, die sich ebenfalls kurz umgesehen haben, zumal mein Vater die Wohnung ja schon von Fotos kannte, aus der Wohnung und wieder runter, um den Rest aus dem Truck zu holen. Ich war heilfroh, dass Leo und seine Freundin sich wieder in Leos Wohnung verzogen hatten oder vielleicht war Leos Freundin auch gegangen, ich wusste es nicht. Aber sie standen nicht mehr auf dem Gang und das erleichterte mir den Abstieg sehr, wo auch immer die beiden waren. Doch der Blick, den Theo mir zuwarf, als wir seine Wohnung passierte, sagte ganz klar aus, dass er gerochen hatte, dass da was in der Luft war. Manchmal war es echt eine Strafe, wenn man einen so aufmerksamen Bruder hatte, da toppte ihn wohl bloss Jonas, der noch viel mehr analysierte als Theo. Auf einmal fiel mir ein, dass Theo Leo eigentlich ja kennen sollte. Es war doch Theo gewesen, der Leos Namen herausgefunden hatte! Warum also hatte er ihn nicht erkannt? Vielleicht hatte er nur seinen Namen aufgespürt, nicht aber sein Aussehen – oder er hatte es tatsächlich vergessen? Aber als dritte Möglichkeit gäbe es, dass er ihn erkannt hatte, aber gut mitgespielt hatte und somit ein oscarverdächtigter Schauspieler war. Was auch immer sich Theo dabei gedacht hatte, ich musste es wissen. Kurz schaute ich zu meinem Vater, aber der hatte es eilig und war schon eine halbe Treppe weiter. Unauffällig zupfte ich meinen grossen Bruder am Ärmel und dieser verlangsamte den Schritt.

„Theo, dieser Leo... also ich kenne ihn ja", sagte ich leise.

„Moment mal", sagte Theo alarmiert. „Hast du grad Leo gesagt?"

„Ja?" Hatte sich Leo gar nicht vorgestellt?

Theo senkte die Stimme, sein Gesicht war überrascht und schockiert zugleich. „Also du meinst der Leo, den du geküsst hast?"

Er schaute mich reglos an, als ich bekümmert nickte, dann schlug er sich mit der Hand gegen die Stirn. „Mann, bin ich dumm!", rief er aus und ich befürchtete, dass mein Vater uns hörte, aber ich sah ihn nicht mehr auf der Treppe. „Ich wusste ja sein Aussehen und seinen Namen. Aber er hat sich uns gar nicht vorgestellt und er sieht irgendwie durchschnittlich aus, sorry, Malia..." Plötzlich wirkte er zerknirscht, weil er ihn nicht erkannt hatte.

Ich lachte ein wenig. „Schon okay. Aber bitte sag Papa nichts. Und zu Leo auch nicht." Alle Bemerkungen wären fehl am Platz.

Theo nickte schnell. „Klar, ich weiss von nichts. Leo würde sowieso nicht davon sprechen, nehme ich stark an."

Ich grinste ein wenig. Wenn sie GTA5 spielen, würden sie wohl da Sprechen ganz sein lassen. „Danke." Was hab ich für ein Glück, so einen tollen Bruder zu haben? Die kleine Schwester von Jonas hätte es sofort brühwarm den Eltern weitererzählt, deshalb ging dieser etwas sorgfältig mit der Selektion der Dinge um, die er ihr mitteilte. In dieser Hinsicht tat er mir echt leid, aber ich war mir sicher, dass er einen wunderbaren Bruder abgab.

Theo und ich gingen gerade weiter, als uns Schritte entgegen kamen und unser Vater tauchte auf der Treppe auf.

„Hey, ist was los?", erkundigte er sich.

Ich schüttelte den Kopf, setzte ein Lächeln auf und kam ihm entgegen, gefolgt von meinem Bruder. „Nein, alles okay."

„Wir haben uns über die Zimmer unterhalten", log Theo, während wir aus dem Haus traten. Einen Moment lang war ich erstaunt, wie gut er lügen konnte. „Welches Zimmer beziehst du als Schlafzimmer?"

Ich hätte den Brief beinahe schon wieder vergessen. Typ 1 und Typ 2 hatten ihren Entschuldigungsbrief beide schon bekommen, aber Typ 3 war immer noch ausstehend. Zwar konnte ich mich immer noch nicht richtig entscheiden, ob ich ihm das Schreiben nun geben wollte oder nicht, aber ich wollte den Brief auf alle Fälle mal mitnehmen. Also packte ich ihn in meine Tasche, als ich mich auf den Weg ins Tango machte.

Kyle und ich tanzten wieder miteinander und ich war überrascht, als er sich nach meinen Eltern erkundigte. Ganz ohne Brief hatten wir es ja geschafft, eine gute Beziehung aufzubauen. Ich sagte ihm, dass die Entscheidung meiner Eltern blieb, ich mich aber einigermassen damit abfinden konnte oder es wenigstens verstehen konnte. Vorhin, beim Betreten des Tanzstudios, hatte ich mit Stolz Kyles Zeichnungen an der Wand hängen sehen und lobte ihn nun für seine Kunst. Sogar Liana hatte es bemerkt und wollte wissen, von wem die Bilder stammten. Wie aber schon beim letzten Mal reagierte Kyle sehr bescheiden, aber ich wusste, dass er sich über das Kompliment freute.

Nach der Stunde, in der wir die Figuren perfektioniert hatten, sprach mich Kyle wieder an.

„Malia, hast du Zeit gerade oder musst du nach Hause?" Wie süss, dass er das so fragte.

„Nein, ich hab Zeit." Ich hatte meiner Mutter gesagt, dass ich nicht unbedingt sofort wieder nach Hause kam, weil ich ein wenig Freiheit wollte.

Kyle lächelte erfreut. „Gut, wollen wir zusammen, ich weiss nicht, zu mir nach Hause gehen? Irgendwas machen?"

Ich grinste. „Brauchst du Inspiration?" Aber die Art, wie ich das fragte und wie ich gleichzeitig auf ihn zuging, vermittelte klar, dass ich zusagte.

Kyle schüttelte lachend den Kopf. „Nein, aber du bist mehr als nur Inspiration, Malia." Er hatte die Angewohnheit, meinen Namen zu nennen und jedes Mal fiel es mir wieder auf, wie er ihn aussprach. Irgendwie zärtlich.

* * *

Irgendwelche Kommentare? Ich bin übrigens nicht "kommigeil" oder so, aber ich kann mich und die Story halt nur verbessern, wenn ich weiss, was ihr gut findet und was nicht ;).