Ich sass nun endlich an meinen Briefen. Die Küsse waren schon vier Tage vorbei, aber ich hatte die Jungs in der Dunkelheit noch so gut in Erinnerung, als wäre es erst gestern gewesen. Die Schule war nicht gross anders gewesen als am Tag zuvor, aber die Gerüchte blieben beständig und wurden leider noch nicht von andern Neuigkeiten vertrieben. Immerhin war es nicht schlimmer geworden, was schon einmal ein gutes Zeichen war. Jetzt war ich auf mein Bett gekuschelt und schrieb die Briefe, das Blatt lag auf meinen Beinen und meine Schrift war etwas wackelig, aber ich konnte mich nicht dazu bewegen, an den Schreibtisch zu sitzen. Ich war mit Brief 1 beschäftigt, der auch für Typ Nummer 1 gedacht war, also Leo. Ich schrieb aber bei allein ungefähr dasselbe, hatte ich beschlossen. Ich kannte sie gar nicht so gut, als dass ich etwas Persönliches schreiben könnte. Also schrieb ich, warum ich sie geküsst habe – nämlich, dass ich betrunken gewesen war und eine blöde Wette mit meiner Freundin gemacht hatte. Und, dass es mir Leid tut und sie nichts damit zu tun haben. Dass ich sie willkürlich gewählt hatte. Ich bat um Verzeihung und sagte, dass ich bereit wäre, alles zu vergessen und dass ich niemandes Beziehung sabotieren gewollt hatte. Dies für den Fall, dass Leo eine Freundin hatte. Nachdem ich das alles geschrieben habe, fühlte ich mich schon viel besser. Ich schrieb die Nachricht für Till und Kyle ab und mit jedem Wort spürte ich, dass das die richtige Entscheidung gewesen war. Ich musste das loswerden. Ich war mitten am Schreiben des zweiten Briefes, als auf einmal mein Handy klingelte. Es war eine unbekannte Nummer und mit einem unguten Gefühl in der Magengegend nahm ich ab.
„Hallo?", fragte ich, ohne meinen Namen zu nennen.
„Hallo, hier ist Till." Mein Herz blieb stehen, beinahe wäre mit das Handy aus der Hand gefallen. Hatte ich das richtig verstanden? Till rief mir an, genau, als ich seinen Brief schrieb? Das war fast schon gespenstisch.
„Till", sagte ich mit dünner Stimme, atmete tief ein und legte den Stift beiseite. „Wie kommst du an meine Nummer?" Schliesslich habe ich diese nach dem Küssen nicht auf seine Hand geschrieben.
Till lachte ein wenig. „Ich kenne jemanden, der jemanden kennt, der deine Nummer hat", erklärte er und ich hörte, dass er grinste.
„Aha, du hast nach mir gefragt?", erwiderte ich, auf einmal stellte ich auf den Flirtmodus um. Das war einfach, ich dachte mir einfach eine Antwort aus, die Lona gegeben hätte.
„Ich habe nach deiner Nummer gefragt", antwortete Till zweideutig und ich wusste für einen Moment nicht, was ich sagen sollte. Okay, er rief mir an und hatte meine Nummer irgend-wie herausgefunden, aber was wollte er von mir?
„Naja, ich wollte dich fragen, was du heute Abend vor hast", rückte er heraus, als ich stumm blieb. Er klang völlig locker, aber wieder einmal war ich überrascht. Er wollte tatsächlich mit mir ausgehen? Offenbar hatte er das ernst gemeint, dass wir uns wiedersehen, aber ich hatte nie so weit gedacht. „Ich hab nichts vor", sagte ich wahrheitsgetreu und wartete mit schwitzenden Händen auf seine Reaktion. Auf einmal war ich aufgeregt, ob er mich wirklich einlud, oder sich nun schnell verabschiedete. Andererseits gäbe es beim zweiten Fall irgendwie keinen Sinn, warum er meine Nummer gesucht hatte, wenn er mich nicht nochmals sehen wollte.
„Gut", sagte Till und machte eine Pause. „Dann können wir uns ja treffen."
Ich krallte mein Handy fester und mein Puls ging noch weiter in die Höhe. Mach dir nichts vor, Malia, er will dich nur nochmals sehen, redete ich mir ein. Das heisst gar nichts.
„Okay, ja, warum nicht", sagte ich zu und überlegte mir schon eine Ausrede für meine Eltern. Ganz bestimmt würden sie mich nicht mit einem Jungen ausgehen lassen und im Moment erst recht nicht. Auch untereinander hatten die beiden heute Morgen gestritten, aber ich hatte keine Lust gehabt, mich auch noch in ihre Unterhaltung einzumischen. Meine Mutter war schon seit einer Weile permanent schlecht drauf, hatte ich bemerkt. „Wann und wo?", fragte ich weiter, damit ich auch mal was zur Unterhaltung beitrug und gab mir Mühe, dass man mir die Aufregung nicht anhörte.
„Um 8 Uhr bei der Mexico Bar?" Die Mexico Bar war eine Mischung aus einer Disco und einem Restaurant und hatte den Vorteil, dass sie schon früh aufmachte. Da ich mexikanisches Essen liebte, sagte ich rasch zu: „Okay, klingt gut." Langsam drängte sich ein Lächeln auf mein Gesicht.
„Super, dann bis bald", meinte Till und erinnerte mich somit daran, dass es schon Abend war.
„Bis bald", antwortete ich und legte auf. Dann erst kam die ganze Nachricht zu mir durch. Till hatte mich soeben um ein Date gefragt. Okay, er hatte es nicht so genannt, aber trotz-dem war es in gewisser Weise ein Date. Mittlerweile grinste ich wie ein Honigkuchenpferd und Freude kam in mir auf wie die Sonne, die morgens am Horizont erscheint. Mein erstes Date, Mann, das war aufregend! Mit zitternden Fingern schrieb ich sowohl Lona als auch Jonas, dass ich heute mit Till ein Date hatte und fügte bei Lona hinzu, dass sie mein Alibi war. Ohne auf eine Antwort zu warten, kritzelte ich hastig die Briefe zu Ende, diesmal zitter-te meine Hand und die Schrift wurde noch hässlicher als sowieso schon. Wenn ich Till heute traf, konnte ich es ihm ja gleich geben – das hiess eigentlich, die ganze Aktion mit dem Nachnamen suchen war umsonst gewesen... Andererseits konnte es durchaus sein, dass ich Tills Nachnamen ein anderes Mal trotzdem brauchte. Während ich die Briefe zusammenfaltete und in Couverts steckte, kamen mir aber langsam Zweifel, ob ich für Till wirklich einen benötigte. Schliesslich hatte er ja gut reagiert und ich hatte überhaupt nichts gegen ein Date mit einem gut aussehenden Jungen in meinem Alter. Sollte ich ihm wirklich diesen Brief geben? Oder war das ein Abturner? Mit gemischten Gefühlen steckte ich den Brief für Typ 2 in meine Tasche und beschloss, spontan zu entscheiden, ob ich den Brief abgeben sollte. Sonst könnte ich jetzt noch ewig grübeln, wo ich doch gar nicht mehr viel Zeit hatte bis zum Date.
Dann sah ich an mir herunter, ich trug eine alte Jeans und eine gemütliche Jacke – nichts für ein Date. Also stieg ich in Windeseile unter die Dusche und stand dann, in ein Badetuch gekleidet, vor meinem Kleiderschrank.
In dem Moment ging die Tür auf und jemand trat ein. Erschrocken drehte ich mich um, denn mein Bruder war nicht da. Was hiess, dass es einer meiner Eltern sein musste und in der Tat stand da meiner Mutter mit skeptischem Blick.
„Malia, Schatz", sagte sie, aber es tönte so heuchlerisch wie noch nie. Mein Herz hämmerte in meiner Brust während ich mir ausmalte, was jetzt kam. Hatte sie irgendwas aufgeschnappt? Mein Leben wäre vorbei und vom Date gar nicht erst zu reden!
„Du hast vorhin telefoniert und duschst plötzlich abends – was ist los?"
Das war ja wohl die Höhe! Sofort stieg mir Blut ins Gesicht, nicht vor Scham, sondern vor Wut. „Hast du mich belauscht?!", erzürnte ich mich und war drauf und dran, sie anzuschreien. Dabei verrutschte mein Tuch ein wenig und ich hielt es mit der Hand fest.
„Nein, ich habe es bloss zufällig gehört, ehrlich! Ich war nebenan, um den Flur zu putzen", erklärte sie und ich schaute sie misstrauisch an. Jetzt, wo sie realisiert hatte, dass ich bloss ein Badetuch trug, schaute sie auf einmal beschämt auf den Boden, damit sie ja nicht meine entblössten Schlüsselbeine sah. Ganz ehrlich, ich war ihre Tochter, da wäre es doch auch nicht schlimm, wenn sie mich ganz nackt sehen würde. Ich überlegte mir schon, sie zu ärgern, indem ich das Tuch fallen liess, aber entschied mich dann dagegen, weil ich sie um einen Gefallen bitten muss – nämlich, ob ich mit Lona essen gehen darf.
„Lona war am Telefon", erklärte ich und zog ein bekümmertes Gesicht. Früher hätte ich Mühe gehabt, meine Mutter anzulügen, aber nach all dieser Zeit unter einem Dach mit solch einer alttraditionellen Person hatte ich langsam die Nase voll und auch mein schlechtes Ge-wissen schwand. „Es ist niemand zu Hause bei ihr und sie fragte mich, ob ich mit ihr essen gehen kann." Flehentlich sah ich meine Mutter an. „Bitte! Ich zahle auch mit meinem eigenen Geld und wir müssen sowieso noch Hausaufgaben machen!" Ich behielt meinen Hunde-blick drauf, den ich mir in den letzten paar Jahren perfekt antrainiert hatte.
Meine Mutter schaute mich argwöhnisch an und wiegte den Kopf. Aber sei es wegen meinen guten Argumenten oder wegen dem Hundeblick, nach langem Zögern meinte sie seufzend: „Na gut, wenn es Lona ist. Einen Abend weniger, den du mit Jungs verbringen könntest." Ich spannte alle Gesichtsmuskeln an, damit sie mir bei ihrem Kommentar nicht entgleisten. Perfekt, sie kaufte mir die Geschichte ab.
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Küsse im 2/4-Takt
Romance••• Der Titel wurde von "Mein erster Fehler - Nur eine Nacht" zu "Küsse im 2/4-Takt" geändert! ••• Eigentlich tanzt Malia in ihrer Freizeit leidenschaftlich Tango, und ruiniert sich nicht mit Erfolg ihr Leben. Aber eines nachts macht sie unter dem E...