40. Jeder Moment hat seine Musik

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„Okay, ich bin gespannt, wie es bei dir zu Hause aussieht." Das war ich wirklich. Er wohnte alleine in einer Studentenwohnung, hatte er mal gesagt. Mal schauen, wie er das eingerichtet hatte.

Also folgte ich ihm die Strasse entlang in die andere Richtung und wir unterhielten und über belangloses Zeug, während ich mir einzuprägen versuchte, welchen Weg wir hinter uns legten. Seine Wohnung war etwa eine Viertelstunde vom Tanzstudio entfernt und befand sich in einem unscheinbaren Mehrfamilienhaus, auch wenn Kyle mir erklärte, dass da grösstenteils Studenten wohnten, weil die Uni ganz in der Nähe war. Er wohnte im zweiten Stock und seine Wohnung war etwas kleiner als die neue meines Vaters.

„Und, wie sieht's bei mir zu Hause aus?", griff Kyle meinen Kommentar von vorhin auf, als wir die Wohnung betraten und er die Haustüre hinter mir schloss.

Ich sah mich neugierig um, er hatte die Wohnung nur mit dem Nötigsten ausgestattet, aber es war alles schön aufgeräumt und gekonnt hergerichtet. „Schön", sagte ich und merkte, wie allgemein das tönte. „Hast du gut eingerichtet, finde ich", fügte ich also wahrheitsgetreu hinzu.

Kyle lachte ein wenig. „Gut, danke." Er führte mich etwas weiter in die offene Küche und fragte dann, ganz der vorbildliche Gastgeber: „Möchtest du was trinken? Kaffee? Wasser?"

„Äh", machte ich etwas überfordert. „Kaffee, wenn du hast?"

„Klar." Ich war aber auch blöd, dachte ich, als er die Kaffeemaschine anschaltete. Wenn er mir Kaffee anbot, war es ja wohl klar, dass er Kaffee hatte. Ich trat neben ihn, weil ich nicht wusste, was ich machen sollte und schaute ihm geduldig zu, wie er Tassen unter die Maschine stellte. Die Maschine hatte länger als unsere, um zu starten, aber es störte mich nicht gross. Neben der Kaffeemaschine stand eine halb leere Wasserflasche und ganz nach meiner Gewohnheit nahm ich sie in die Hand und zupfte am Etikett herum. Dabei sah ich mich ein wenig in der Wohnung um. Neben einem gebrauchten Sofa stand ein CD-Player mit vielen Anschlüssen und einem Stapel CDs daneben. Ich erkannte von weitem einige Tango-CDs, aber manche CDs kannte ich auch nicht. Gedankenverloren legte ich ein grosses Stück der Etikette auf die Tischplatte vor mir, ohne zu realisieren, dass es Kyles Flasche war. Auf dem Boden neben dem Sofa entdeckte ich einen MacBook und war überrascht, dass der einfach am Boden lag. „Dein Mac liegt auf dem Boden", bemerkte ich und Kyle schaute zu mir.

„Oh, ich weiss. Hab ich vergessen aufzuräumen." Kyle wirkte zerknirscht.

„Macht doch nichts." Ich lachte leicht und fragte mich, was er mit ‚aufräumen' meinte – er hatte doch nicht wissen können, ob ich nun wirklich heute zu ihm kam? „Solange du weisst, wo er ist."

„Sag mal, was machst du da?", fragte Kyle unvermittelt und ein Schauer fuhr durch meinen Körper, als er meine Hand berührte. Erschrocken sah ich auf die Flasche, deren Etikett nun nur noch zu einem Drittel vorhanden war. Schlagartig wurde ich knallrot. „Oh nein, tut mir leid!", entschuldigte ich mich schnell. „Ich mach das immer, sorry." Ich musste echt aufpassen, was ich automatisch alles anstellte.

Kyle lachte herzlich und begutachtete die Flasche genauer. „Schon okay, es ist nur Wasser." Amüsiert warf er die Etikettestücke in den Müll, die auf der Tischplatte lagen. Aber er schien eher belustigt als verärgert zu sein und reichte mir eine Kaffeetasse. „Hier, da ist kein Etikett dran", witzelte er. Dabei erinnerte ich mich daran, dass ich dank einer Etikette auf die Idee mit dem Brief gekommen war. Ob ich ihn Kyle geben wollte?

Als wir kurz darauf auf dem Sofa sassen, fiel mein Blick erneut auf seine CD-Sammlung. Musik war so wichtig für mich, dass ich wahrscheinlich in der grössten Unordnung CDs gefunden hätte. Wobei ich nicht mehr so viel CDs hörte, sondern Musik auf dem Handy herunterlud. „Was hast du so für CDs hier?", fragte ich ihn neugierig.

„Alles Mögliche", erwiderte Kyle sehr informativ und stellte seine Tasse ab. „Tango, Klassisch und so Zeug. Die Charts hab ich nie auf CD, das bringt es nicht so."

„Geht mir auch so." Meistens gefielen mir nicht alle Stücke auf einem Album eines modernen Interpreten, weshalb ich diese, die mir gefielen, einzeln auf dem Handy hörte und nicht kaufte. „Ich habe vor kurzem ein Stück entdeckt, es ist eine Mischung aus Tango und Bachata."

„Tango und Bachata?", fragte Kyle verwundert nach und sah etwa so aus, wie ich reagiert hatte, als ich das realisiert hatte. Allzu viel hatten die beiden Tänze nicht gemeinsam. „Und was tanzt du dazu?"

Ich zuckte die Schultern und studierte seine blauen Augen. „Eine Mischung, teilweise passt das eine besser, teilweise das andere." Tatsächlich hatte ich das ausprobiert, weil es mich wundergenommen hatte, wie man das Lied umsetzen könnte.

„Kannst du es mir zeigen?", bat Kyle. Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare und brachte somit seine Frisur durcheinander, aber die eine obligatorische Strähne fiel ihm wieder ins Gesicht. Erst jetzt merkte ich, dass wir einander so nah waren, dass ich unsere Beine beinahe berührten und ich konnte, wenn ich mich darauf konzentrierte, sein Shampoo riechen.

„Äh, ja, sicher", erwiderte ich leicht aus der Rolle gebracht und holte mein Handy hervor. Auf YouTube tippte ich „Propuesta Indecenente Romeo Santos" ein und klickte das erste Video an.

Dann hielt ich es so, dass wir es beide sehen und hören konnten. Kyle beugte sich ein bisschen zu mir, um besser auf mein Handy zu sehen und eine seiner Haarsträhnen kitzelte mich an der Wange. Ich gab mir Mühe, nicht auf die Wärme seiner Nähe zu reagieren und stierte auf das Video. Es war auf Spanisch und ich verstand nicht allzu viel, aber ich erkannte in Kyles Blick, dass er den Text im Kopf übersetzte. Ich konzentrierte mich ebenfalls auf die Worte.

Si te invito a una copa

Y me acerco a tu boca.

Si te robo un besito,

A ver, ¿te enojas conmigo?

...

Si te falto el respeto

y luego culpo al alcohol.

* * *

Wer übersetzt? :D
queestinaa  oder LoraLightwood ;D ?

Küsse im 2/4-TaktWo Geschichten leben. Entdecke jetzt