57. Die Wahrheit siegt

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Das Zimmer war klein, stickig und dunkel. Jake sass auf einer Kiste, ich auf einem Lautsprecher und Jonas und Lona auf einem kaputten Barhocker. Naja und die Stimmung war auch nicht gerade besser in dem Hinterraum der Disco. Jake blickte uns und Jonas' Handy misstrauisch an und das zu Recht.

„Ihr habt meine Disco gefilmt?", wiederholte der Barkeeper die Information, die er bis jetzt hatte.

Wir nickten etwas beschämt. War das nicht sogar strafbar?

„Okay, und was habt ihr auf dem Film gesehen?", wollte Jake wissen, jetzt war sein Tonfall noch locker. Wahrscheinlich wollte er sich nicht verraten, bevor er nicht genau wusste, bei was genau wir ihn ertappt hatten.

Wir wechselten einen Blick. „Du hast den Gästen etwas ins Getränk gemischt", sagte ich er-staunlich direkt und wartete auf seine Reaktion.

Er erstarrte auf seiner Kiste und hob dann langsam die Augenbrauen. „Ach, das schon wieder", seufzte er, in Anspielung auf uns, da wir ihn ja schon ein anderes Mal darauf angesprochen hatten. Aber als er merkte, dass es uns todernst war, veränderte sich seine Miene und er wurde auf einmal verschlossen. „Okay, ja, ihr habt Recht", gab er leise zu.

„Das ist uns bewusst", erklärte Lona und entlockte mir ein Lächeln. „Aber wir wollen wissen, was es ist und wieso du das tust."

Jake schlug sich wütend und in die Enge getrieben auf die Beine. „Ihr seid Teenager!", rief er. „Nicht Ermittler!"

„Ja", sagte Jonas ruhig. „Aber wenn du uns keine Erklärung lieferst, werden die Polizisten die nächste Frage stellen."

„Und das werden sie sowieso bald, falls der Junge dich anzeigt, der eine Alkoholvergiftung hatte", fügte Lona hinzu.

Der Barkeeper erbleichte. „O-okay, ganz r-ruhig", versuchte er uns zu beschwichtigen, als seien wir bissige Hunde.

„Einen Teil wissen wir schon", erklärte ich ihm, damit er uns die ganze Geschichte ersparte. „Wir wissen, dass du Schulden hast bei einem Tätowierer und deshalb Geld brauchst. Und wir vermuten, dass ein gewisser Till", ich spuckte seinen Namen regelrecht aus. „Dir wahrscheinlich Geld gibt, mit denen du die Schulden zurückzahlst und als Gegenleistung bescherst du ihm etwas ‚Spass' in der Disco."

Jake sah nun so weiss aus wie die Wand hinter ihm, sogar mit denselben Flecken auf der Haut. „Ihr seid gute Teenagerermittler", bemerkte er und gab somit alles zu, was ich ihm an den Kopf geworfen habe. „Ich kann halt nicht gut mit Geld umgehen..."

Ich runzelte die Stirn. Das war ja einfach. Ich konnte verstehen, dass er als Barkeeper nicht einen besonders lukrativen Job hatte, wenn er nicht täglich Full House hatte und selbst er gab zu, dass das Geldmanagement nicht seine Stärke war. „Aber wieso um alles in der Welt mischst du K.O.-Tropfen in die Getränke? Das erkennen die Gäste meist und das ist nicht gut fürs Geschäft, du verlierst Kunden!", rief ich ungläubig. Langsam reichte mir diese ganze Unlogik. „Und eine Alkoholvergiftung ist ja nicht allzu tolle Werbung!" Das war doch nur bei Filmen so, dass sie zuerst wegen Gewaltverherrlichung in die Zeitungen kommen und deshalb umso mehr Teenager den Film schauen wollten. Aber nicht bei der Gastronomie!

„Das war nicht geplant!", erklärte Jake, seine Stimme war ebenfalls erhoben. „Till zahlt mir viel, mehr, als mir ein schlechter Tag in der Disco zahlen würde", begann er und nuschelte dabei undeutlich. Vielleicht gab ihm das das Gefühl, dass es weniger schwerwiegend war, wenn man nur die Hälfte der Wörter verstand. „Und Till sagte, ich solle den Alkohol höher dosieren und gab mir ein Mittel, das schneller betrunken macht und man ausserdem nicht riecht." Er warf mir einen verlegenen Blick zu. „Das war das von dir."

Ich schnaubte. Das war also geplant gewesen. Schön, dass er den Rest, mit dem er sich das Geschäft versaute, nicht gewollt hatte – aber er hatte mich trotzdem mit Absicht abgefüllt und wusste sogar noch, dass ich es war. Ob er auch Lona noch wusste?

„Und das ist zwar auch verboten, aber nicht schlimm." Er kratzte sich am Kinn. „Jedenfalls meistens nicht. Bei der Alkoholvergiftung..." Er brach ab und setzte an einer andern Stelle wieder ein. „Also für dass ich da Mittel reinmischte und Till sagte, welche Mädchen bald betrunken sein werden, hatte ich für mehr Spass in der Disco gesorgt und Till bezahlte mich dafür. Das war noch gut für die Geldkasse."

Ich lachte kurz auf, ich konnte einfach nicht anders. Der Barkeeper wurde mir immer unsympathischer.

„Aber nach einer Weile hab ich gemerkt, dass nicht alle Mittel dieselben sind. Erst gerade vor zwei Tagen hat Till mir gebeichtet, dass er manchmal auch Beruhigungsmittel genommen hatte statt dem stärkeren Alkoholkonzentrat. Und anscheinend... auch K.O Tropfen?" Er hob beide Hände und riss die Augen auf. „Das wusste ich wirklich nicht! Das hätte ich nie gemacht."

„Das macht natürlich alles besser", kommentierte Jonas sarkastisch. „Hast du seither weiter gemischt? Seit diesen zwei Tagen?"

Der Barkeeper schüttelte betrübt den Kopf. „Nein, ehrlich. Ich habe es daneben geschüttet." Er betrachtete den Boden und war entweder ein super Schauspieler, oder aber wirklich bedrückt. Seine Schultern hingen, die Stimme tönte ermüdet und sei Blick war bedauernd.

„Aber wieso hast du die Beruhigungsmittel immer in die Cocktails geschüttet und nicht auch ins Bier, wenn du doch gar nicht wusstest, dass es etwas anderes war?", kombinierte Lona eine berechtigte Frage. Fragend schaute sie den Barkeeper an.

„Till sagte mir, es sei etwas stärker und somit zu auffällig für in ein Bier, das würde man dann riechen", erwiderte Jake mit dem Blick auf seinen Schuhen.

„Hm, achso", machte Lona. Es war eine gute Ausrede von ihm. „Man hat aber trotzdem einen Unterschied geschmeckt, sag ich dir", bemerkte sie dann trocken.

Der Barkeeper hob die Schultern. „Es tut mir leid, wirklich", beteuerte er. „Ob ihr es glaubt oder nicht, ich habe ein schlechtes Gewissen deswegen."

Ja, das glaubte ich ihm sogar. Aber seinen Opfern brachte das schlechte Gewissen nichts.

„Okay...", ich zögerte und wollte das Fazit in Worte fassen. „Es ist so: Wir sollen dir ausrichten, du sollst den Tätowierer persönlich auf die Schulden ansprechen, ob du sie, keine Ahnung abarbeiten kannst bei ihm oder so. Aber diesen Deal mit Till sollst du augenblicklich beenden."

„Weil", meldete sich Lona zu Wort und beugte sich geheimnistuerisch nach vorne. „Wenn wir noch ein einziges Mal erfahren, dass du diesen Mist erneut durchziehst, gehen wir mit dem Video zur Polizei. Wir haben Kopien", fügte sie hinzu.

Jake war immer noch bleich, aber er nickte langsam. „Einverstanden. Aber wenn ich nichts mehr mache und ich Till – natürlich ohne euch zu erwähnen - abweise, werdet ihr das keiner Menschenseele erzählen?" Seine Stimme zitterte. „Ich hab eine Familie."

Kurz blitzte die Trennung meiner Eltern in meinem inneren Auge auf. Die Szene, als sie es mir bekanntgegeben hatten. Der Schmerz, der mich durchfahren hatte und die grosse Veränderung, die das ins Leben rief. Ich wollte das nicht einem weiteren Kind antun, ich wollte nicht, dass noch eine Familie darunter leiden musste, und auch wenn Jake zu Recht würde bestraft werden. Niemand will wissen, dass sein Vater ein ‚Verbrecher' war. Der Vater sollte das Vorbild sein, ein Mann, der dir den Weg zeigt und dir Unterstützung gab. Und wenn man dann abrupt erfuhr, dass er nicht so perfekt und unfehlbar war, wie man vielleicht dachte, war das bestimmt noch schmerzhafter als eine simple Trennung. Auf einmal würde sein Bild in Stücke gerissen werden und sogar in das Negative gezogen. „Nein, wir werden stillschweigen", sagte ich mit erstickter Stimme. „Wenn du uns die Wahl lässt." Ich schaute weg und versuchte, meine Eltern aus meinen Gedanken zu verbannen.

„Vielen Dank", sagte der Barkeeper erleichtert und er deutete ein aufrichtiges Lächeln an. „Für alles."

* * *

Huh, es kommt nur noch ein Kapitel, dann IST ES FERTIG :o

Hättet ihr Jake an Malias Stelle auch "vergeben"?
Oder wie wärt ihr mit dem Geständnis umgegangen?

Ich hoffe, das Kapitel hat euch gefallen!

Küsse im 2/4-TaktWo Geschichten leben. Entdecke jetzt