21. Was verschweigt man lieber?

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DANKE für 2k *~*! Freue mich riesig!❤️

„Oh, was ist das?", wollte er wissen, den Brief musternd, als wäre er giftig. Ich hörte ihm an, dass auch er sich unwohl fühlte.

Ich wollte schon antworten, aber bevor ich den Mund öffnen konnte, hörte ich Schritte und Leo zuckte zusammen. Eine Frau näherte sich und kurz darauf entdeckte ich an Leos Seite eine junge Frau mit hellbraunen langen Haaren, die mich misstrauisch betrachtete und dann zu Leo sah. Mist, das war ja klar gewesen! Jonas hatte Recht gehabt, Leo hatte eine Freundin. Als ich sie sah, fühlte ich mich gleich schuldig, dass ich ihnen womöglich Streit bescherte und mein Herz sackte mir in die Hose. Vielleicht war ja sie am Telefon gewesen, als Leo alleine aus einer Disco getreten war. Und deshalb war Leo auch so schockiert gewesen, weil er genau wusste, dass er mich – oder ich ihn – nicht küssen durfte, weil er eine Freundin hatte. Wieder einmal wurde mir bewusst, was für ein Chaos ich angestellt hatte, nur weil ich den Fehler gemacht hatte, mich zu betrinken. Ich wollte irgendetwas sagen, eine gute Ausrede, eines von meinen Alibis, die ich mit Lona täglich erfinde, aber mir fiel nichts ein. „Wer ist sie?", flüsterte die Freundin, als keiner etwas sagte. Obwohl sie leise sprach, konnte ich sie hören.

Leo räusperte sich und schaute seine Freundin nicht an – ich nahm jedenfalls an, dass das seine Freundin war von der Art her zu beurteilen, wie sie an seinem Arm hing und mich anschaute, als sei ich ein haariges Ungeziefer. „Sie geht mit mir in die Schule", meinte er in normaler Lautstärke und fuhr sich durch die Haare. Anscheinend hatte er ihr den Kuss verschwiegen, was ich gut verstehen konnte. Er deutete auf das Mädchen. „Das ist meine Freundin", sagte er zu mir, als könnte ich mir das nicht denken. Ich nickte steif und wieder sagte niemand was, wir starrten uns nur wie hypnotisiert an.

Langsam wünschte ich mich nur noch weg, denn ich begriff, dass Leo seiner Freundin mein Auftauchen ja nicht wirklich begründen konnte. Ich stand da nur noch herum und weder Leo noch seine Freundin konnten mich brauchen. Der Brief lag in Leos Hand, die er hinter seinem Bein versteckte und beide Blicke auf mir waren unmissverständlich: Ich war nicht erwünscht.

Hastig versuchte ich ein Lächeln, damit sie nicht merkten, wie unwohl ich mich in der Situation fühlte und meinte: „Ich, äh, sollte dann mal gehen." Ich schaute zu Leos Freundin. „Schönen Tag noch."

Leo und seine Freundin verzogen die Lippen zu einem Lächeln und ich sah ein letztes Mal in Leos Augen, bevor ich mich umdrehte und die Treppe runterging. Dabei sah ich, dass er den Brief nicht vergessen hatte, dass er ihn lesen würde. Gut, immerhin etwas. Immerhin einer der Drei würde den Brief sicher lesen. Und hoffentlich würde ich in der Schule etwas davon merken.

Als ich nach Hause kam, trat ich in ein Schauplatz des Streits ein.

Meine Mutter und mein Vater schrien sich an und Theo sass in einer Ecke und wusste anscheinend nicht recht, was er denken und sagten sollte. Schockiert schloss ich die Tür, damit keiner etwas hörte und das Erste, an das ich dachte, war: Hat meine Mutter die Wohnungen gesehen? Bestürzt rannte ich zu Theo und er sprang auf, als er mich sah. Unsere Eltern sassen am Esstisch, obwohl keine Essenszeit war und diskutierten laut über etwas, aber ich hatte keine Lust zu hören, um was es ging. Stattdessen wollte ich es von Theo wissen: „Was ist denn los?" Er wirkte eher gelassen, nahm mich aber am Arm und zog mich beiseite. „Es ist nichts Schlimmes", sagte er beruhigend und ich atmete erleichtert aus, die Wohnung-Variante beiseiteschiebend. „Das Übliche. Sie streiten über Lebensansichten."

Ich stöhnte, das war typisch für unsere Eltern. Sie stritten zwar nicht allzu viel, aber wenn, dann darüber, wie man leben sollte. Und das konnten sie echt gut, darüber streiten. Man sollte meinen, sie seien sich einer Meinung in ihren alten Ansichten, aber nicht einmal das war der Fall. Denn wenn es nur die kleinste Uneinigkeit gab, konnten sie darüber so lange reden, bis sie einander befahlen, was sie zu denken hatten. Und jetzt ging es offenbar wieder um irgendwelche Ansichten über das Leben, die sie nicht teilten – so viel schnappte ich von ihrem Gezanke auf. „Und was machst du hier unten?", fragte ich. „Protokoll schreiben?"

Theo grinste und schüttelte den Kopf. „Nein, ich wartete auf dich."

Augenblicklich wurde mein Blick weicher und wieder einmal war ich so froh, einen so tollen Bruder zu haben. „Das ist aber nett", sagte ich leise und umarmte ihn kurz. „In letzter Zeit streiten sie häufiger", bemerkte ich dann mit einem besorgten Blick auf unsere Eltern.

Sie waren nie romantisch oder besonders harmonisch gewesen, aber sie hatten sich auf ihre korrekte Art und Weise geliebt. Sie konnten sich gut unterhalten, sie hatten dieselben Musikvorlieben, sie hatten die Arbeiten gerecht aufgeteilt. Aber seit einem Jahr etwa schienen sie sich immer mehr gegeneinander aufzulehnen. Wo sie früher beiden geschwiegen hätten, machten sie jetzt den Mund auf. Wo mein Vater sonst immer nachgab, widersprach er plötzlich und auf einmal merkte auch meine Mutter, dass ihr Mann nicht immer an ihrer Seite war. Denn so sah der Streit eigentlich aus: Mein Vater bildete sich eine unabhängige Meinung, was man tun und lassen soll und das kann meine Mutter nicht ausstehen. Es wirkte wie ein Feuer auf mich, das zu glühen beginnt, immer heisser wird, aber irgendwann, das steht fest, wird es Flammen schlagen. Es wird zu brennen beginnen und alles vernichten, irgendwann wird sich mein Vater wehren. Theo und ich werden uns wehren. Und ich hatte Angst vor diesem Tag.

„Malia?", fragte Theo leise, er hatte meinen traurigen Blick gesehen. „Alles okay?"

Ich schaute meinen Bruder an, sah die versteckte Niedergeschlagenheit wegen Amanda in seinen Augen und ich sah, wie er sich um mich kümmern will, weil er der Ältere ist. Er hatte so viele Aufgaben und meisterte sie alle, denn er passte so gut auf mich auf wie kein zweiter Bruder. Kurz fragte ich mich, ob ich ihm von den Wohnungen erzählen soll, aber als ich all das in seinem Gesicht lesen konnte, entschied ich mich dagegen. Ich wollte ihn nicht unnötig mit etwas belästigen, das vielleicht nicht einmal der Wahrheit entspricht. Mein Vater hatte einen guten Grund gehabt und ich sollte ihm glauben. Nur weil sie jetzt stritten, hiess das nicht, dass er zuvor gelogen hatte.

Also nickte ich entschlossen auf seine Frage – es war alles okay. Nein, ich würde ihm nichts sagen, bevor ich nicht bessere Gründe hatte. Ich würde ihm nicht eine Sorge auflasten, die nur in meinen Gedanken existierte, denn objektiv gesehen war da nichts.

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Hey, Feedback und Votes sind immer erwünscht :).
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