CAP 37

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Zweite Heimkehr


Eloise verweilte den ganzen Vormittag auf der Veranda ihres Hauses. Die Sonne schien angenehm herunter, und sie saß mit ihrem Schaukelstuhl in der Ecke, lauschte dem Gesang der Vögel. Sie fühlte sich wohl und fand, sie hatte es weit gebracht in ihrem Leben, bisher jedenfalls. Die Bilder, die sie hin und wieder malte, fanden in bestimmten Kreisen regen Anklang, und die Käufer störte es nicht, dass Eloise soviel Zeit im Krankenhaus und danach in der Klinik verbracht hatte. Vielleicht machte das auch den besonderen Reiz ihrer Bilder aus, denn manche hielten sie immer noch für verrückt. Doch Eloise fühlte sich gesund, und das war sie auch schon immer gewesen, selbst in der Klinik damals. Die Ärzte waren krank, die Ärzte und Psychologen, die neurotisch wurden über den Problemen der anderen, die verzweifelten, weil sie die Probleme auf sich selbst projizierten. Doch die Zeit der Klinik lag weit zurück, und Eloise wollte nicht mehr daran denken.

Hier saß sie nun, alt zwar, aber innerlich noch jung und attraktiv, wie sie fand, und Victor kam ihr in den Sinn. Ihr lieber, lieber Victor. So lange war das schon her. Gute und schöne Erinnerungen, so viel war geschehen. Seit seinem Tod hatte sie nie wieder einem Mann länger als nötig in die Augen geschaut, nie hatte sie einen Liebhaber gehabt. Selbstverständlich hatte es einige Verehrer in ihrem Leben gegeben, sowohl vor und während, als auch nach der Zeit mit Victor. Doch keiner hatte sich mit ihm messen können. Dominic wäre der einzige gewesen, der sein Format besessen hätte, doch er hatte ja nicht gewollt, schade eigentlich. Aber Eloise vermisste nichts. Böse Zungen behaupten allerdings, wer nichts kennt, weiß auch nicht, was ihm entgeht...

Die Sonne kroch hoch, immer höher, als es auf Mittag zuging, und es wurde so heiß, daß Eloise fand, sie hätte ein wenig Abkühlung verdient. Sie trank eine kalte Limonade und schwang sich auf ihr Fahrrad, um zum kleinen See im Wald zu fahren. Nach etwa einer halben Stunde hatte sie ihn erreicht, das letzte Stück schob sie ihren Drahtesel, denn der Weg war äußerst unzugänglich. Schon oft war sie hier eingekehrt, weil fast nie Menschen herkamen. Meistens kam sie im Sommer, um ihre Füße zu kühlen und die Natur zu genießen, oder im Winter, um die Stille eines zugefrorenen und verschneiten Sees zu erleben und ihren Gedanken die Freiheit zu geben, die sie für ihre Bilder brauchte. So war es auch kein Wunder, daß viele der Gemälde Winterlandschaften zeigten. Doch heute war es warm und das Wasser war dunkel vom Torf, den die Fische aufgewirbelt hatten. Auf der Oberfläche des Wassers spiegelte sich die Sonne zwischen den dort schwimmenden Blättern und Mückenlarven. Und Eloise blinzelte ein wenig.

Plötzlich empfand sie eine unbändige Lust, ein Bad zu nehmen. Schnell streifte sie ihre Kleider ab und schritt zum Ufer. Leicht und angenehm kühlend, spielte das Wasser um ihren Körper, als sie langsam in den See glitt. Ein gutes Stück konnte sie noch gehen und sank bis zu den Knöcheln im weichen Boden ein, dann begann sie zu schwimmen und manchmal, ganz selten nur, spürte sie den Körper eines Fisches, der ihre Beine Brüste oder Arme streifte. Dann lief immer ein erfrischender, kalter Schauer über ihren Rücken, und sie freute sich so unbesorgt und unbeobachtet in der Mittagssonne ihren Lüsten frönen zu können. Sie schwamm gut eine Viertelstunde am Ufer entlang und genoss es, dann wagte sie sich weiter hinaus ins freie Wasser, wo sie schon lange nicht mehr stehen konnte. Auch hier schwamm sie eine Weile umher, bis sie merkte, dass das Wasser kühler und sie etwas müde wurde; sie war halt doch nicht mehr die Jüngste. Sie drehte um und wollte zurückkehren, da kam ein leichter Wind auf, der ihren erhitzten Kopf kühlend umspielte, und das Wasser begann sich zu kräuseln und leichte Wellen zu schlagen. Zuerst fiel das Eloise gar nicht auf, doch als die Sonne hinter einigen plötzlich aufgezogenen Wolken verschwand und die Wellen größer wurden, bekam sie ein wenig Angst und begann, schneller zu schwimmen. Doch je mehr sie sich anstrengte, umso stärker schien der Wind zu blasen und umso höher schlugen die Wellen, und sie hatte das Gefühl, sich eher vom Ufer zu entfernen, als darauf zu zu schwimmen. Die Strömung trieb sie hinaus, die Wellenkronen trafen sich mittlerweile immer öfter über ihrem Kopf und an Rückkehr war nicht mehr zu denken. In dieser Nacht gab es ein heftiges Gewitter, und dennoch schien der Mond hell und klar. Und einige Wochen später fand ein Forstbeamter Eloises Kleidung verdreckt am Ufer des Sees. Eloise wurde nie wieder gefunden, und ihr Haus verfiel mit der Zeit und die Limonade wurde schlecht. Sie war zurückgekehrt.



Einer ist schon tot. Ein Leben auf Raten.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt