CAP 52

1 0 0
                                    

Claus


Er redete und redete, und die Worte ergossen sich aus seinem kleinen Mund wie ein rauschender Wasserfall, quollen über seine rissigen Lippen und einige blieben wie ein zäher Kinderbrei an seinem spitzen Kinn hängen. Von Zeit zu Zeit wischte er sie mit einem penetranten Lachen hinweg in die Leere seiner Aussagen. Andere Worte blieben in dem weißlichen Schaum, der sich jetzt an seinen Mundwinkeln verdichtete, hängen und entzogen sich geschickt dem Sinn seiner Sätze, was es Nele nicht gerade erleichterte, ihn zu verstehen. Wieder andere Worte fielen einfach zu Boden, noch bevor sie sein Ohr erreichten und Nele konnte ganz gut beobachten, wie sie wie leere Hülsen aufplatzten und den Boden mit Buchstaben verdreckten. Nur wenige Worte erreichten ihr Ohr und noch weniger schafften es, überhaupt in ihrem Bewusstsein Unterschlupf zu finden. Nele erkannte, dass es ein Fehler gewesen war, sich an diesem Abend im Lokal einzufinden, um einen Kaffee zu genießen. Doch sie ärgerte sich nicht, denn sie wusste, dass dies ein Fehler war, den sie nicht hatte vermeiden können, denn er gehörte zu jener Sorte, die man erst viel später bemerkt. Sie versuchte also, das Beste aus der Situation zu machen und hörte ihm gar nicht zu, was er auch nicht bemerkte, denn er war schon damit zufrieden, sich selbst reden zu hören, wie ihr schien. Nur manchmal, wenn er eine Frage stellte, was selten geschah und auch keine eigentliche Antwort erforderte, gönnte sie ihm ein lapidares "ja, ja", zog es sie wieder nach hause, denn sie wusste, dass Dominic jetzt jeden Tag zurückkommen könnte. Sie beendete abrupt, aber nicht verletzend seinen Monolog und ging hinaus. Er schaute ihr noch lange nach, obwohl sie schon bald nicht mehr zu erkennen war, in der Dunkelheit.. Und da er dabei für einen Moment schwieg, füllte sich sein leerer Kopf erneut mit hohlen Phrasen und langweiligem Gewäsch, und man konnte nur hoffen, dass sein nächstes Opfer genauso gutmütig und gnädig war wie Nele. Sie war dem jungen Mann nicht böse, im Gegenteil, sie bedauerte ihn ein wenig. Wie schlimm musste es um einen Menschen stehen, wenn er wildfremden Leuten in einer halben Stunde sein gesamtes Leben schilderte und sich damit ihrem Hohn und Spott preisgab. Denn man konnte nie wissen, manche Menschen waren sehr rücksichtslos und gefühlskalt in ihren Äußerungen. Auch wenn sie durch seinen Redeschwall in ihren üblichen Überlegungen gestört worden war, ohne dass sie ihn verstanden hätte, barg dieser Abend eine neue Erfahrung für sie. Sie erkannte, dass nicht alle Menschen, vielleicht nur wenige, es verstanden, die Bilder, die sie sahen, zu erfassen und auch auszudrücken. Es gab Menschen, die wurden von der Heftigkeit des Alltags einfach erschlagen, weil sie sich weder Gedanken machten, noch ihre Visionen reflektierten. Auch hatten sie meist keinen blassen Schimmer von der Sprache, derer sie mächtig waren. So klang vieles, was sie sagten, platt und trivial, als wäre es schon millionenfach vorher gesagt worden, und war dem nicht so, so hatten sie sich entweder vertan, oder der Zufall spielte ihnen einen Streich. Irgendwie taten ihr diese Menschen unsäglich leid, denn sie wussten nicht, was ihnen entging. In diesem Sinne war Dominic schon ganz anders und wahrscheinlich mochte sie ihn auch deswegen so sehr.


Einer ist schon tot. Ein Leben auf Raten.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt