CAP 10

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Als Eloise mit der heißen Schokolade zurückkam, fühlte Philipp, dass seine Zeit gekommen war. Er war schon immer der große Redner von den Vieren gewesen, auch wenn sie jetzt nur noch zu dritt waren. Schnell nahm er sich ein Kissen und setzte sich darauf, um seine Position zu erhöhen. Eloise und Dominic ließen sich zu seinen Füßen nieder und schauten erwartungsvoll zu ihm auf. In ihren Augen erschien jenes Leuchten, wie es so oft bei Enkelkindern zu bemerken ist, wenn der Großvater Geschichten aus der Vergangenheit erzählt. Sie erwarteten, dass Philipp ihnen seine Überlegungen offenbarte, doch bevor er seine gewaltige Stimme erheben konnte, um die Freiheit der menschlichen Seele in einem Lobgesang zu preisen, warf Dominic ein, man solle doch Meeryl teilhaben lassen oder zumindest informieren, schließlich war sie für Victor wie eine Tochter gewesen. Man beschloss aber nach einer kurzen Beratung, keine Zeit zu verlieren und ihr erst später die Ergebnisse der Diskussion, falls überhaupt noch eine stattfinden sollte, zu überbringen.

Nachdem man sich so geeinigt hatte, legte Philipp noch eine kleine Pause ein, um seine Gedanken zu sammeln und begann dann mit einem wunderschönen Plädoyer für die Einfachheit des Lebens und die Freuden der Askese. Philipp war ein exzellenter Rhetoriker und verstand es die Zuhörer in seinen Bann zu ziehen. Dass ihm das auch noch Spaß machte, erleichterte ihm die Sache ungemein. Er beleuchtete die Dinge erst von der Gegenseite, und dies von einer solchen Echtheit, dass Eloise und Dominic am liebsten sofort aufgesprungen wären, um all ihr Hab und Gut auf der Stelle zu verprassen. Dann aber schilderte Philipp die Nachteile der Zügellosigkeit und warnte vor der Verderbtheit der Laster. Nacheinander entkräftete er alle vorher angeführten Argumente so vortrefflich, daß Eloise und Dominic jetzt wiederum die Schwelgerei auf das Schärfste verurteilten.

So ging es noch ein Weilchen hin und her, die heiße Schokolade wurde kalt, und Philipp genoss es, die beiden manipulieren zu können. Er genoss die Macht, die er über die beiden erlangt hatte, denn sie folgten ihm blindlings, wie die Jünger ihrem Guru. Ihr Widerstand war gebrochen. Er erkannte aber auch die Gefahren dieser geistigen Entblößung und so schloss er, nach einigen lehrreichen Anekdoten, seine philosophischen Ausführungen. Eloise und Dominic waren ganz erschöpft ob der Anstrengungen, und Philipp schwor sich, dass er soviel Folgsamkeit und Kritiklosigkeit nie ausnutzen würde. Dominic hätte ihn sonst gehasst, ein höchst schlimmer Gedanke.

Allerdings waren die drei doch ein wenig enttäuscht, als sie merkten, dass sie die ganze Sache nicht einen Deut näher an die Findung ihres Problems gebracht hatte und sie kamen überein, dass man sich alles hätte sparen können, wenn es auch sehr angenehm gewesen war, wie Dominic versicherte. Philipp war sehr geschmeichelt, und in der nächsten Nacht würde er von einer Karriere als Politiker träumen, und das entgegen allen Vorsätzen, denen er sich noch kurz zuvor verschworen hatte.




Einer ist schon tot. Ein Leben auf Raten.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt