CAP 41

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Die Könige



Menschenmassen, Menschenschlangen, lang, dicht gedrängt und ungeduldig. Großes Gemurmel, Stimmengewirr und Unverständnis.

Alles wartete, stand sich die Beine in den Bauch, doch der Kaffee kam nicht, ließ sich Zeit und der Unmut stieg. Man hatte wenig Lust, sich noch länger zu drängeln, hatte wenig Lust, die Stunden zu verbummeln, hatte aber große Lust, Kaffee zu trinken. Und niemand wusste so recht, was das ganze sollte. Ungeduldige Rufe tönten durch den Raum, stachelten die Menge an, projizierten sich fahl schimmernd an die Wände und ließen sich zurückwerfen in die leeren Köpfe der Wartenden, wo sie das Bild und den Duft eines dampfenden Kaffees erscheinen ließen. Einige wurden schwach, traten wütend auf oder schlugen gegen den Automaten, undiszipliniert. Andere, von dem täglich wiederkehrenden Prozess ermattet, fügten sich in ihr Schicksal oder berechneten die Menge der Schreienden in der endlosen Schlange der wartenden Menschenmassen. Viele ärgerten sich über den Lärm. Einige Meter weiter, in einem Nebenraum, erfreuten sich die Menschen einer angenehmen Ruhe, betrachteten durch die großen Fenster das Treiben außerhalb der Mauern oder gingen ihren Beschäftigungen nach. In dieser entspannenden Stimmung dachte niemand daran, seinen Kaffee zu vermissen oder gar unglücklich zu sein, sich nicht dem allgemeinen Stress unterwerfen zu können. Niemand dachte daran, er hätte wohl wenig Zeit, denn wenn die Zeit kommen würde, würden sie gehen, um später zurückzukehren, an diesen Ort, in diese Stimmung, später vielleicht, morgen oder wann auch immer, pünktlich jedenfalls, denn im Grunde war es ein Raum ohne Zeitgefühl, beziehungsweise es herrschte immer jene Zeit, zu der man gerade in der Stimmung war. Es war ein Raum der Entspannung, zur Selbstfindung, ein Raum, um genüsslich seinen Kaffee zu trinken und seinen Stress langsam zu vergessen.

Dominic kam oft in diesen Raum, auch wenn er sonst nicht viel innerhalb der Mauern zu tun hatte. Es machte ihm halt Spaß, dem Stress zu entfliehen und auch sonst war es recht interessant, die Leute zu beobachten, wie sie manchmal recht genervt aus dem anderen Raum kamen, um unter dem Einfluss der Ruhe richtig aufzublühen. Es war schon faszinierend, all die verschiedenen Persönlichkeiten zu sehen, auf die es die gleiche Wirkung zu haben schien. Es war fast wie eine Massenpsychose, nur nicht krankhaft und gefährlich, sondern gut und erstrebenswert. Dominic liebte solche Orte und solche Stunden wie heute, dann kamen ihm immer die besten Ideen und er fühlte sich wie König. Er schrieb ein paar Zeilen, freundete sich mit dem Mädchen an, das ihn schon die ganze Zeit über ansah, nahm sie mit nach Hause, trank einen Tee und berichtete ihr von zwei Königen, denen er kurz zuvor in einer stillen Nacht begegnet war:

'Und er war groß und er war schön und alle mochten ihn. Und er war jung und er lag in einem Gerstefeld und über ihm spannte sich der blaue Himmel. Ein leiser Wind strich über sein Gesicht und ein breites, offenes Lachen zog sich durch sein Leben. Breit, offen und voller Lebensfreude. Doch dieses Lachen war zu einem verzerrten Grinsen erstarrt. Alles war ihm zu einfach gewesen, nie hatte er Mühen gekannt. Was bedeutete 'Arbeit'? Er merkte, daß ihm etwas fehlte und er fluchte. Wie ertappt schaute er sich um, doch meilenweit erstreckten sich nur Felder, und die Einsamkeit war erfüllt von Ruhe und Frieden. Die Vögel zwitscherten, er lauschte dem Lied der Menschheit und fing sein Lachen wieder ein. Auch die Arbeit würde ihm einmal zufallen, so wie ihm alles bisher zugefallen war. Er war zufrieden. In vollem Vertrauen in die Zukunft und sein Glück lehnte er sich zurück, denn er war ja der König, ein Sonnenkönig.'

und

'Scheint die Sonne, ist er betrübt. Wütet der Sturm ist er unterwegs. Draußen, wo der Wind und das Wetter gemeinsam an der Landschaft zerren und die Wolken die Sonne vertreiben, wo man noch ganz allein sein kann und ohne die Angst der Entdeckung Dinge treibt, die die Seele entlasten, da ist er der König, unbedrängt und souverän. Er reckt seine Glieder und seine Finger huschen über die Hügel, suchend, tastend, findend. Sein Körper bäumt sich auf und windet sich wie unter Schmerzen, doch es sind keine, die ihn dazu treiben, sondern die aufgestaute Energie und Spannung des Sommers entlädt sich in einer gespenstischen Heftigkeit, und wenn die Blitze über den verhangenen Himmel huschen und der Donner alles niederrollt, dann schreibt er seine Abendgedanken. Er ist der König, ein Regenkönig.'

Sie war wirklich beeindruckt. Sie würden sich prächtig verstehen, glaubte er.



Einer ist schon tot. Ein Leben auf Raten.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt