Nachtwache (2)

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◇Marti◇
"Warum bist du gegangen?" Marti überlegte. Er musste den Tag meinen, an dem er seine Eltern verlassen hatte. Oder meinte er den Tag, an dem er von eben diesen gefangen und mit einem Doppelgänger ersetzt worden war? "Was meinst du?", fragte er vorsichtig nach. "Such' es dir aus." Marti entschied sich für die zweite Situation. "Weil du so über die Fewjars geredet hast. Ich wusste, dass ihr Tod meine Schuld ist, aber habe es dir nicht gesagt, weil ich sonst alles hätte verraten müssen. Ich hatte Schuldgefühle, weil du dir die Schuld gegeben hast. Es war so egoistisch." "Ich hätte genauso gehandelt", versicherte Steve. "Das glaube ich nicht. Du kannst dir nicht ansatzweise vorstellen, wie zwiegespalten ich mich fühle. Ich weiß, dass meine Eltern falsch handeln, aber sie sind nunmal meine Eltern und ich wollte mich nie gegen sie wenden müssen."

Steve schwieg. Wahrscheinlich wusste er nicht, was er antworten sollte. "Es war wegen meinem Bruder", sagte Marti sehr leise, um auch auf die andere Situation zu kommen. "Du hast einen Bruder?", sagte Steve überrascht. Traurig schüttelte Marti den Kopf. "Nicht mehr." "Was ist passiert?" "Er... er sollte meine Eltern unterstützen. Er wusste, was da vor sich geht und wollte gegen den ersten Rebellen kämpfen. Unsere Eltern haben es ihm schließlich erlaubt. Einen Tag, bevor er ging, erzählte er mir alles. Er sagte, er wolle die Rebellen unterstützen und den Größenwahn unserer Eltern unterbinden. Und er hat mich gedrängt, abzuhauen. Egal, wohin, hauptsache weg. Ich war schockiert und wollte ihm nicht glauben. Meine Eltern hatten mir nie gesagt, warum er ging. Wieso sollten mich anlügen? Also blieb ich und versuchte, seine Worte zu vergessen."
Marti schluckte, um seine Stimme in den Griff zu bekommen. Tränen stiegen ihm in die Augen. Steve hörte ihm schweigend zu. "Mein Bruder ist nie wiedergekehrt. Meine Mutter sagte, er sei durch ein Attentat getötet worden. Ein Attentat von Gegnern ihrer Politik. Da wurde mir klar, dass er recht hatte. Später erfuhr ich dann, dass er sich tatsächlich auf Seiten der Rebellen gestellt hatte und von den Soldaten meiner Eltern erschossen worden war, als die seinen Verrat erkannten." Steve legte ihm mitfühlend eine Hand auf den Rücken. "Ich weiß nicht, was ich sagen soll", murmelte er. "Das Opfer deines Bruders war nicht umsonst", ertönte plötzlich Flos Stimme. Marti sah auf; er stand vor ihnen. "Dass sich ihr eigener Sohn auf die Seite der Rebellen gestellt hat, hat überall Aufstände losgetreten. Jeder Rebell kannte die Geschichte. Dass es dein Bruder war, ist mir allerdings erst jetzt klargeworden", fügte er hinzu.

Endut! Hoch Hech!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt