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Bitte reiß dich zusammen, Alpha, bitte hier gibt es Kinder, flehte ich ihn an. Ich wusste, dass es jetzt keine andere Möglichkeit gab ihn begreifen zu lassen, denn wenn ich mir eins denken konnte, oder auch schon zu spüren bekommen hatte, dann die Tatsache, dass er es nicht mochte, wenn ihm jemand sagte was er zu tun hatte. Normalerweise hätte ich ihm gerne gesagt, er soll sich beherrschen, er sei ja schließlich der Alpha, doch unter gegebener Situation musste ich einfach einlenken. Immer und immer wieder wiederholte ich meine Bitte in meinem Kopf in der Hoffnung er würde wie immer meine Gedanken lesen. Klar und deutlich konnte ich das böse Knurren in meinem Kopf wahrnehmen. Er hasste es sich beherrschen zu müssen. Dennoch tat er es. Er stürmte nicht auf mich zu. Er warf mich nicht um. Er drückte mich nicht gegen den nächsten Baum. Nein. Er wandte sich an die Frau und begann eine Unterhaltung mit ihr:" Hallo Julia, das ist Gül. Sie ist unser neuer Creativ Director. Sie wollte sich gerne mal ein Bild von diesem Dorf machen. Ich hoffe du hast ein wenig Zeit uns herum zu führen?" Wie immer hätte ich die Augen verdrehen können, denn der Unterton in seiner Stimme ließ einfach kein "Nein" zu. Und natürlich folgte er mir auf Schritt und Tritt. Klar, ich konnte natürlich nichts ohne ihn machen. Na toll!

Nichts desto trotz ließ ich es mir nicht nehmen mich wirklich überall herum führen zu lassen. Ich ließ keinen Ort aus. Von einer Hütte für kleinere Kinder, bis hin zu Hütten für die 17-Jährigen, die Cafeteria, die in einer Höhle lag und deren Lampen wie Kerzenlichter aussahen, der See, in dem zu jeder Tages- und Nachtzeit gebadet werden konnte über die vielen Spiel- und Übungsgeräte, die die Wölfe spielerisch auf das Leben und Arbeiten im Clan, vorbereiten sollten. Ich musste zugeben, dass ich nicht genau verstand, warum sie solche Hürden nehmen mussten oder warum sie spielten, wie sie auf Puppen einprügelten. Einfach rätselhaft. Ich meine, klar, unsere Welt heut zu Tage ist nicht harmlos, aber auch nicht so schlimm, als das man sich auf einen Krieg vorbereiten müsste, schon gar nicht wenn man so jung war, wie es der Junge in meinen Armen zu sein schien. Vorsichtig legte ich ihn auf sein Bettchen, deckte ihn zu, küsste ihn auf die Stirn und strich ihm sachte darüber. Der Herzschlag, der nicht meiner war, wurde dabei von mir geflissentlich ignoriert. 

Still starrte ich auf die nunmehr glatte Wasseroberfläche. Es war dunkel geworden. Die kleinsten waren schon in ihren Betten verschwunden, die Älteren saßen noch am Lagerfeuer und erzählten sich Geschichten, spielten Gitarre oder sangen. Die Atmosphäre war entspannt und ich genoss es mitten unter ihnen zu sein. Obwohl ich wusste, dass ich anders war, hatte ich hier das Gefühl nur eine zu sein. Eine von vielen. Auch wenn ich es mir nicht eingestehen wollte, war es dieses Gefühl, dass ich in letzter Zeit vermisst hatte. Einfach mal wieder unsichtbar sein. Inkognito. Einfach mal Luft. Nichts sehnlicher wünschte ich mir. Müde ließ ich meinen Blick über den See und das Ufer streichen. Hier und da meinte ich sogar ein Glühwürmchen wahrnehmen zu können und ein Lächeln huschte über mein Gesicht. Wie schön es hier war. Wie ein Ort aus einem Buch. Einem Bilderbuch. Vielleicht Rotkäppchen?
"Wie kommst du denn bitte auf Rotkäppchen?", fragte mich der Grund für diese Annahme. Er war hinter mir, seine Stimme hatte es mir verraten. Noch ein gutes Stück entfernt, aber hinter mir. Wieder huschte ein Lächeln über mein Gesicht. Er würde schon noch früh genug drauf kommen, ich meine, er ist der Chef eines Billiarden-Unternehmens, da musste man ihm doch ein gewisses Maß an Intelligenz zugestehen. Seufzend erhob ich mich:" Lass uns fahren, ich bin müde. Außerdem gibt es bis zum Ball noch einiges zu tun."
"Du begleitest mich?", fragte er, fast tonlos. Wie süß er klingen konnte, wenn er mal nicht der Checker war.
"Ja, ich könnte es nicht über mich bringen, diese Kinder nicht zu unterstützen. Wenn ich dafür mit einem...Wolf dort erscheinen muss, dann nehme ich das in Kauf."
"Nicht irgendein Wolf," knurrte er leise und ich verdrehte die Augen. Ohne weiter darauf ein zu gehen, verabschiedete ich mich und ging zum Auto. Bevor ich einstieg atmete ich noch einmal tief durch. Die nächsten zwei Tage würden mich an den Rand des Wahnsinns bringen.

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