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Der Geruch von Desinfektionsmittel lag in der Luft. Nichts in meiner Wohnung erinnerte im Moment daran, dass es eigentlich eine Wohnung sein sollte. Die Wände waren übersät von Flecken, von denen Blut noch das angenehmste zu sein Schien. Die Möbel waren verschwunden, oder eher das, was von ihnen noch Übrig gewesen war. Stattdessen stand jetzt ein einziges weises Krankenhausbett in der riesigen Wohnung. In ihm lag, eingehüllt in weise Decken und Kissen, eingewickelt in Verbände, die kaum einen Millimeter der geschundenen Haut unbedeckt liessen, Ilayne.

Die Haut nur eine Nuance dunkler als ihr Bettlaken. Die dunkel umrundeten Augen geschlossen.
Die geplatzten Lippen unter der Sauerstoffmaske versteckt. Sie bot einen fürchterlichen Anblick. Was hatte sie bloß getan, dass sie so zugerichtet worden war? Oder sollte ich mich doch lieber fragen, wer ihr das angetan hatte? Bei diesem Gedanken lief mir ein eiskalter Schauer über den Rücken. Wieder und wieder kreisten meine Gedanken um diesen Morgen... Dieser Morgen, an dem meine Augen zu geschwollen gewesen waren. Irgendwie war ich froh gewesen, dass ich nichts hatte sehen können. Die Geräusche alleine, suchten mich nach wie vor Nacht für Nacht heim. Dann wachte ich schweißgebadet auf. Schwer atmend, teilweise sogar nach Luft schnappend. Doch immer völlig orientierungslos. In diesen Momenten spürte ich dann immer eine zweite Präsenz neben mir. Immer drehte ich mich erschrocken um und immer stellte ich fest, dass es Taylor war, der sich mal wieder in mein Bett geschlichen hatte. Zugegebener Maßen, es war sein Bett, in seinem Apartment, aber er hatte es mir zur Verfügung gestellt. Immer schaute er mich dann besorgt an. Und immer las ich die unausgesprochene Frage in seinen wunderschönen Augen. Immer schossen mir dann die Bilder meiner Entführung in den Kopf. Immer sah ich dann vor meinem Inneren Auge, wie er sich vor mir in einen Werwolf verwandelte und immer jagte mir dieser Gedanke noch viel mehr Angst ein. Immer, immer, immer... es war furchtbar. Ich wusste einfach nicht, was ich tun sollte, um diesem Chaos zu entgehen. Hinzu kam, dass ich ja seine Mate war. Widerstand zu leisten war in diesem Sinne wahrscheinlich zwecklos. In keinem meiner Bücher war es gut ausgegangen, wenn die Mate sich geweigert hatte ihr Schicksal anzunehmen.

Schicksal... was für ein unscheinbares Wort. Wie grauenvoll konnte es sein, wenn man es herausforderte oder es gar unterschätzte? Frustriert lachte ich. So wie ich. Ich hatte nie geglaubt, dass es einen Grund dafür gab, warum ich nie lange in einer Beziehung bleiben konnte. Warum es einfach nicht funktionierte. Warum ich am Ende doch jedes Mal wieder alleine dastand. Jetzt stand ich hier, hatte aus einer Laune heraus eine Bewerbung in die USA geschickt und fand mich im Chaos meines Lebens wieder. Ich weiß es gibt ein Buch, es heißt "Das Schicksal ist ein mieser Verräter". Ich habe es nicht gelesen, denn schon alleine der Titel hatte mir verraten, dass ich wahrscheinlich Rotz und Wasser heulen würde. Jetzt gerade in diesem Moment glaubte ich, dass dieser Titel nicht nur der absoluten Wahrheit entsprach, sondern meine Zukunft beschrieb.

Sacht strich ich ihr über die mittlerweile knochige Hand und die Tränen stiegen mir in die Augen. Ich war Schuld an ihrem Zustand. Hätte ich doch bloß gesehen an diesem Tag. Hätte ich gesehen, dass mein ganzer Körper mit blauen Flecken übersät worden war. Hätte ich bemerkt, dass der Traum gar kein Traum gewesen war, dann wäre Ilayne nicht ausgerastet. Sie hätte sich nicht verwandelt und hätte nicht mit ihrem eigenen Mann gekämpft. Hätte sie sich nicht für mich eingesetzt...

"Hier bist du, hätte ich mir eigentlich denken können.", riss mich Taylors Stimme aus meinen trüben Gedanken. Schnell wischte ich mir die Tränen aus den Augen und Atmete ein paar Mal tief durch. Da war er wieder, der Moment in dem er mir die alles entscheidende Frage stellen würde. Ich spürte, dass er hinter mich getreten war.

"Sie ist meine Freundin...der einzige Mensch, der mir hier nahe steht.", sagte ich, drückte noch ein Mal zum Abschied ihre Hand und wandte mich dann zum Gehen, doch wie immer stellte sich Taylor mir in den Weg.

"Erinnerst du dich denn immer noch nicht?", fragte er und ich konnte die Trauer in seinen Augen lesen.

Mein Blick fiel kurz auf Ilayne, ihre weise Haut, die Verbände, dann wieder zu ihm. Wie gerne hätte ich ihn angeschrien und ihn zur Sau gemacht. Ihm erzählt, dass ich mich erinnerte, dass er mein Mate war und dass ich nicht fassen konnte, wie er mich Nacht für Nacht förmlich misshandelt hatte, um mir eine so negative Erinnerung zurück zu geben, dass ich am liebsten sofort abgehauen wäre. Aber dann würde ich wahrscheinlich nur so enden wie Ilayne und das durfte nicht passieren. Ich war nur ein Mensch, ich würde es nicht überleben. Ich würde sterben. Und Ilayne gleich mit. Denn ich war mir sicher, sie wäre die Einzige, die mich verteidigen würde.

Ich war mir bewusst, dass meine Augen grün funkelten, angestachelt von der Flamme der Wut, die in mir loderte, als ich ihm antwortete. Ich hasste ihn und ich würde es ihn spüren lassen, mit jeder Faser meines menschlichen Körpers würde ich es ihn büssen lassen, dass er es gewagt hatte in mein geordnetes Leben zu treten und es zu zerstören. Er sah es. Das sah ich in seinen Augen, als ich ihm mit einem simplen "Nein" antwortete und ging.

Die andere MateWo Geschichten leben. Entdecke jetzt