Kapitel 3

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Sein Magen zog sich vor lauter Aufregung zusammen. Er war schon viel in der Welt herumgekommen und doch spürte er jetzt dieses flaue Gefühl. Er konnte sich nicht erklären, woher es kam, aber es war da. Kam es vielleicht davon, dass er gerade dabei war, alles, sein ganzes Leben hinter sich zu lassen, auch wenn es nur für einige Monate war? Vielleicht.
Sein Leben als Pentatonix-Mitglied war außerhalb des Flugzeuges geblieben. Kirstie hatte ihn mit hierher begleitet, doch nun hatten sich die beiden auch schon seit einer geschlagenen halben Stunde voneinander verabschiedet. Erst in acht Wochen würde er sie wiedersehen... Avi Kaplan freute sich schon auf seinen Urlaub und doch vermisste er seine vier Freunde schon jetzt.
Melancholisch schaute er aus dem Fenster des Flugzeugs, bis er kurz darauf auch schon die Durchsage zum Flugstart vernahm. Sein Handy war bereits ausgeschaltet und er hatte den Gurt angelegt. Auf Musik hatte er gerade keine Lust und so blieb dem Braunhaarigen nichts anderes, als weiter aus dem Fenster zu starren. Avriel spürte, wie seine Gedanken immer weiter abdrifteten. Weg von Los Angeles, fort von Pentatonix hin zu seinen Erwartungen und Hoffnungen an die bevorstehende Pause. Endlich konnte er sich mal ganz seinen Gedanken hingeben, ohne immer von allen Seiten abgelenkt zu werden. Sicher, eine gewisse Ablenkung war gut um Sorgen zu vergessen, doch manche ließen sich einfach nicht dadurch lösen.
Einige weitere Stunden beobachtete der Basssänger, wie die Lichter der Städte unter ihm vorbeizogen, bis er sich schließlich dazu entschied, doch etwas Musik zu hören. Zum Glück wurde man hier in der ersten Klasse weitestgehend in Frieden gelassen. Nur ab und an kam eine Stewardess vorbei und erkundigte sich nach dem Wohlergehen der Fluggäste, was aber nicht weiter störte.
Avriel nahm seine Headphones und setzte sie auf. Wie er sie doch für ihren exzellenten Klang liebte...
Er stellte die Musik auf seinem MP3-Player auf mittlere Lautstärke und vertiefte sich vollkommen in die Klänge des Liedes.

Zwanzig Stunden des Fluges hatte er schon hinter sich gebracht. Nach einem kurzen, aber erholsamen Schlaf räkelte er sich und schaute aus dem Fenster. Schon wieder war es dunkel außerhalb des Flugzeugs. Er erinnerte sich, wie er des Nachts oft am Fenster gesessen und über die Lichter der Stadt geblickt hatte. Es war immer die einzige Zeit am ganzen Tag gewesen, die er für sich selbst gehabt hatte. Es war seine Nachdenkzeit gewesen, die Zeit, in der er in sich hineingehört hatte.
Wie von selbst begann Avriel sofort wieder nachzudenken. Diesmal aber nicht darüber, wie er sich am besten eine Auszeit von all dem Stress verschaffen konnte. Nein, jetzt dachte er an die letzten Wochen und Monate zurück. Die Zusammenarbeit mit Mitchell, Kevin, Scott und Kirstie, all das Lachen und die Meinungsverschiedenheiten dabei und die vergangene Tournee 2013, als sie für einige Tage in Deutschland verweilten. Deutschland... Wie es wohl dort werden würde? Kirstie hatte ihn immer mal wieder gefragt, warum er sich ausgerechnet Warnemünde ausgesucht hatte, wenn er doch genauso gut nach Spanien oder England hätte fahren können. Daraufhin hatte Avriel ihr immer wieder dieselbe Antwort gegeben: Länder wie Spanien, Italien und England waren für ihn Orte, wo man hinfuhr, um etwas zu erleben. Sicher gab es dort auch ruhige, abgelegene Orte, aber insbesondere in England befürchtete er, auf viele Fans zu treffen, die ihn erkennen würden. Warnemünde hingegen war ein alltäglicher Ort mit Zugang zum Strand. Außerdem war Pentatonix in Deutschland noch nicht so sehr bekannt, wie in anderen Teilen Europas und sein Deutsch war auch nicht allzu schlecht. Mit dieser Antwort hatte sich die blonde Sängerin immer zufriedengegeben, aber Avi vermutete, dass sie mehrmals fragte, da sie sich noch eine andere Antwort erhoffte. Was genau sie damit hoffte zu hören, konnte er sich nicht zusammenreimen.
Während er nachdachte, plätscherte aus seinen Kopfhörern leise Musik in sein Ohr. Gerade spielte 'Say something' von seiner eigenen Band. Es war eines der Lieder, dass der junge Basssänger von all den Songs, die sie schon aufgenommen hatten, mit am liebsten mochte. Jedesmal wenn er es hörte, genoss er die warmen Klänge des Cellos aufs Neue. Es war eine gute Idee von Kevin gewesen, dieses Instrument einzubringen... Was seine Kollegen wohl gerade machten? Schliefen sie schon oder genossen sie noch das Nachtleben? Bei Kevin war das schwer vorstellbar, denn sicherlich würden seine Eltern nicht mit ihm in eine Disco gehen und er war eh nie ein wirklicher Partymensch gewesen. Aber bei den anderen drei Sängern konnte sich Avi geradezu ausmalen, wie sie lachend über die Tanzfläche hüpften. Mitchi war ein richtiger Partymensch und Kirstie und Scott ließen sich gerne davon mitreißen.
Avriel grinste. Ja, es war unterhaltsam mit seinen vier Freunden zu leben und zu arbeiten, das konnte er nicht leugnen und ganz bestimmt würde er sie auch das ein oder andere Mal vermissen, aber das Rauschen des Meeres in seinen Ohren würde ihm sicher gut tun.

Nun war es hell. Nach einem weiteren Schläfchen schaute Avi Kaplan nun auf die weiß leuchtenden Wolken hinab. Der Himmel war strahlend blau und unter sich konnte er schon die ersten Landmassen sehen. Nur noch eineinhalb Stunden Flugzeit, dann wäre er endlich in Rostock.
Er beobachtete, wie die Wolken sanft wie weiche Watte an dem Fenster vorbeizogen und immer mal wieder die Sicht auf Deutschland freigaben. Grüngrau sah es da unten aus. Noch blühten kaum Bäume und Büsche, alles schien noch kahl zu sein, doch das würde sich in den nächsten Wochen sicher noch ändern. Avriel war immerhin lange genug hier, um den Übergang von Frühling zu Sommer mitzuerleben.
Er lächelte in sich hinein. Sein Urlaub fiel geradewegs in seine Lieblingsjahreszeit. Nur seinen Geburtstag musste er dieses Jahr wohl allein feiern, aber das sollte ihm nichts ausmachen. Seine Bandkollegen würden ihm trotzdem gratulieren.
Gemütlich packte er schon einmal alles ein, das er während des langen Fluges aus seinem Handgepäck gekramt hatte. Lediglich seine Kopfhörer, seinen MP3-Player und seine Mütze ließ er draußen. Sie würde er vor dem Verlassen des Flugzeugs aufsetzen. Man konnte ja nie wissen, wie kalt es am Ankunftsort war. Außerdem diente sie in gewisser Weise auch als Tarnung, nicht dass er gleich am Airport von seinen Fans überrumpelt wurde.
Er schaute auf das Display. Es zeigte 13:30 Uhr an, also hatte Avriel noch eine halbe Stunde, dann würde er in aller Ruhe seine Koffer abholen gehen. Zeit hatte er ja jetzt genug.

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