Kapitel 4

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Ihm war ein wenig flau im Magen, als er mit seinen zwei Koffern und der Gitarre auf dem Rücken am Bahnsteig stand und auf die S-Bahn wartete, die ihn nach Warnemünde bringen sollte. Er hatte keine Sonnenbrille oder etwas dergleichen aufgesetzt, nur seine Mütze und das ließ ihn befürchten, dass ihn doch der ein oder andere erkennen könnte, denn schließlich kannten seine Fans auch einen Avi Kaplan mit Mütze.
So stand er geraume Zeit dort, immer mal vorsichtig über seine Schultern lugend, um möglichst viele Menschen zu vermeiden.
Als endlich die Bahn einfuhr, stieg er etwas leichter ums Herz ein. Natürlich war er auch hier nicht vor möglichen Fans sicher, aber die S-Bahn war zum Glück beinahe leer. Nur hier und da saß eine Person und die meisten von ihnen waren über dreißig, sodass Avi nicht davon ausging, dass sie ihn kannten. Trotzdem konnte sich der Sänger erst gänzlich entspannen, wenn er den Schlüssel zu seiner Wohnung in den Händen hielt, seine Koffer bereits im Flur abgestellt hatte und sich in aller Ruhe in einen Sessel oder auf das Sofa sinken lassen konnte.
Kurz zögerte er, doch dann setzte sich Avriel erneut seine Kopfhörer auf, diesmal verbunden mit dem schwarzen Handy, das er nun in den Händen hielt. Da fiel ihm ein, dass er seit dem Verlassen des Flugzeugs noch garnicht nachgesehen hatte, ob es irgendwelche Nachrichten für ihn zu lesen gab. Und tatsächlich: vier Nachrichten. Drei davon waren von seinen Freunden und eine von seiner Mutter.
Der Basssänger öffnete zuerst diese.
Hallo mein Schatz,
Ich hoffe, du bist gut angekommen. Erzähl mir doch, wenn du Zeit hast, ein bisschen von deinem Flug und der Stadt.
Hab dich lieb.
Er musste lächeln. Natürlich würde Avi bald mit ihr telefonieren, doch nicht hier. Englisch zu reden war viel zu auffällig.
Als nächstes las er die Nachricht von Kirstin.
Und, hast du den Flug gut überstanden? Mitchi lässt fragen, wie es in Deutschland so ist. Wir wünschen dir einen wunderschönen und erholsamen Urlaub!
Kuss, Kirstie.
Wieder zog sich ein Grinsen über sein Gesicht. Er wollte ihr antworten, doch wie es hier war, wusste er noch nicht so recht. Der Braunhaarige hatte darüber noch garnicht richtig nachgedacht. So ironisch es auch klang, er war zu sehr mit seinen Gedanken beschäftigt gewesen, um sich einen ersten Eindruck zu verschaffen. Trotzdem schrieb er ihr:
Hey Kirstie :)
Mir geht's soweit gut. Der Flug verlief ohne Komplikationen und jetzt bin ich schon auf dem Weg nach Warnemünde. Pünktlich um 14:30 Uhr werde ich vor meinem neuen Heim stehen. Ich kenne es zwar von Fotos und du ja auch, aber ich bin trotzdem gespannt, wie es aussieht. Ich schreibe dir später noch einmal.
Grüß Scott und Mitchell von mir!
Avi.
Es tat ihm gut, mit den wichtigsten Personen in seinem Leben zu schreiben, hier in dieser vollkommen neuen Stadt. Noch war dem Basssänger hier alles befremdlich, da war er froh über etwas gewohnte Atmosphäre.
Nun war sich Avi Kaplan sicher: Er würde sie alle vermissen. Ihre offene, lockere Art, ihre Unterstützung und das Verständnis für ihn, das sie immer wieder aufbrachten, sowie ihre guten und schlechten Witze und die Musik. Zumindest letzteres konnte er die nächsten zwei Monate ein wenig beibehalten, denn seine Gitarre hatte Avriel auf seine Reise mitgenommen.

Freitag. Noch heute, dann hatte sie erst einmal einen Tag frei. Am Sonntag würde sie wieder arbeiten gehen, doch daran würde sie sich eh gewöhnen müssen, wenn sie erst einmal ihr Café eröffnet hatte. Heute stand glücklicherweise nicht soviel an, nur eine Stadführung um 14:00 Uhr, dann konnte Sina auch schon wieder nach Hause gehen. Es war zwar erst gegen Mittag, aber schon jetzt dachte die junge Frau an den bevorstehenden Abend mit ihrem besten Freund. Josua hatte sie auf einen Drink eingeladen, da er der Meinung war, dass sie auch einmal wieder etwas anderes machen sollte, als schlafen, arbeiten und renovieren. Es versprach ein angenehmer Abend zu werden.
Mit einem Lächeln auf den Lippen nahm Sina ihr Tablett und setzte sich an einen Tisch in der recht kleinen Kantine. Langsam ließ sie ihren Blick über die Gesichter an den Tischen schweifen, nahm ihr Lachen, ihre Freude auf und beobachtete ihre Gestiken, bevor sie erneut auf das Essen vor sich starrte. Ihr Lächeln war verschwunden. Die Frau mit den rotblonden Haaren musste sich eingestehen, dass sie alles hatte, was man sich in ihrem Alter wünschen konnte: ein eigenes Haus, einen allerbesten Freund, die großartigste Familie der Welt und bald auch ihren Traumberuf, und sich doch auf eine seltsame Weise unvollständig fühlte. Irgendwie einsam... Ab und zu überkam sie dieses eigenartige Gefühl und sie wusste nicht warum.
"Hey Sina!", nahm sie auf einmal eine ihr nur allzu bekannte Stimme wahr.
Die junge Frau hob ihren Blick und schaute direkt in die blauen Augen ihres besten Freundes.
"Freust du dich auch schon auf heute Abend? Ich jedenfalls schon. Es ist immer so lustig, dir beim Tanzen zuzusehen.", grinste er.
"Ey, du bist gemein!", lachte Sina. Sofort waren alle Gedanken an diese sonderbare Einsamkeit verschwunden.
"Ich kann nun mal nicht so gut tanzen.", versuchte sie sich zu verteidigen.
Daraufhin lachte Josua nur leise auf.
"Was?!"
"Ach, nichts.", schmunzelte der Mann mit den blonden, kurzen Haaren in sich hinein.
Missmutig wandte sich Sina wieder ihrem Essen zu.
Den Rest ihrer Mittagspause verbrachten beide damit, über Gott und die Welt zu reden, wobei Sina's Gedanken immer mal wieder diesen Raum verließen und sich weit fort bewegten. Wohin wusste sie selbst nicht.

"Und das ist ihre Wohnung, Herr Kaplan.", meinte der Mann mittleren Alters während er die Wohnungstür aufschloss.
"Bitte treten sie ein."
Avriel nickte nur und machte sich mit seinem Gepäck auf den Weg in sein neues Heim. Kurz bevor er die Türschwelle jedoch übertrat, zögerte er und atmete noch einmal tief durch. Der andere Mann schien dies zum Glück nicht zu bemerken, zu sehr war er mit dem Umherschauen im Flur der Wohnung beschäftigt.
Als der Basssänger schließlich eingetreten war, schloss der Mitarbeiter des Kurparks die Tür und führte seinen neuen Gast durch die Zimmer.
Nach einer halben Stunde war alles Wichtige geklärt und der Mann machte sich daran, die Wohnung wieder zu verlassen.
"Ich hoffe, sie werden den Aufenthalt hier bei uns genießen.", verabschiedete er sich letztendlich, "Wenn sie noch irgendwelche Fragen haben, können sie sich an die Rezeption im Haupthaus wenden."
Lächelnd erwiderte der Amerikaner: "Vielen Dank.", und schloss die Tür.
Da war er also, stand in seinen neuen vier Wänden, den Blick noch immer auf die verschlossene Tür gerichtet. Allein... Das allererste Mal seit Jahren wohnte er nun allein.
Seufzend drehte er sich von der Tür weg, ergriff seine Koffer und den Gitarrenkoffer und machte sich auf den Weg in sein neues Schlafzimmer, um erst einmal alles auszuräumen.

BasstoneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt