Kapitel 21

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Das schrille Klingeln ihres Handys ließ Sina aus ihrem Schlaf hochschrecken. Verschlafen blinzelte sie. Die junge Frau fühlte sich irgendwie gerädert, obwohl sie anscheinend lange geschlafen haben musste, denn es war bereits hell.
Noch etwas ungelenk stand sie von dem harten Fliesenboden auf und streckte sich. Wie sie feststellen musste, hatte sie noch immer an der Holztür gelehnt, an der sie sich gestern Abend hatte hinab auf den Boden sinken lassen. Die junge Frau musste wohl durch das Schnurren ihres kleinen Gastes eingeschlafen sein...
Erst bei diesem Gedanken fiel ihr auf, dass sie diesen heute noch garnicht gesehen hatte.
Ich hoffe, der Kleine hat keinen Unsinn angestellt, während ich geschlafen habe. Ich sollte ihn auch langsam mal wieder rauslassen. Seine Besitzer vermissen ihn sicher schon., dachte Sina bei sich, doch um nach ihm zu suchen war keine Zeit. Noch immer dröhnte das Smartphone mit seinem lauten, hohen Tönen in ihren Ohren, sodass sie sich statt auf die Suche nach ihrem pelzigen Besucher zu ihrer Jacke an der Türklinke der Küchentür aufmachte.
Eilig kramte sie in den Taschen nach dem nervtötenden technischen Gerät. Lange würde sie das Klingeln nicht mehr ertragen können...
Ich sollte unbedingt diesen blöden Klingelton ändern!, vermerkte sich die junge Frau noch grummelig und drückte dann den grünen Hörer auf dem Touchdisplay.
"Ja?", fragte sie schlicht.
"Oh da ist aber jemand gut gelaunt!", hörte Sina den Mann am anderen Ende der Leitung mit einem stark sarkastischen Unterton sagen.
"Josua? Tschuldigung.", nuschelte sie während sie erneut gähnte. "Was gibt's denn?"
"Ach, eigentlich wollte ich nur wissen, wer dieser Typ war, der gestern Vormittag bei mir im Touristenzentrum aufgetaucht ist und nach deiner Adresse gefragt hat, aber wie mir scheint, hätte ich vielleicht doch später anrufen sollen, so wach wie du gerade bist.", lachte er.
"Ach von dir weiß er, dass ich hier bin! Ich hab mich schon gewundert..."
"Also, wer ist das nun?"
Sina konnte deutlich die Neugier in der Stimme ihres besten Freundes hören.
"Also...", setzte sie zu einer Erklärung an. Sollte sie ihm wirklich von Avriel erzählen?
"Ja?"
Komm schon, Sina! Er ist dein bester Freund. Wenn du es ihm nicht erzählst, wem dann? Er weiß doch eh schon, dass er bei dir war, da kannst du auch noch den Rest erzählen!
Die Frau mit den rotblonden Haaren seufzte.
"Sina, was ist los?", fragte Josua nun besorgt nach.
"Ach, das ist alles nicht so einfach..."
"Ich hab Zeit. Erzähl ruhig."
"Okay... Also erstmal zu deiner Frage: Der Mann, der gestern bei dir war, heißt Avriel. Er ist Amerikaner und macht hier Urlaub.", begann die junge Frau ihre Bekanntschaft zu beschreiben. Dabei drehte sie ständig die, aus ihrem Zopf herausgerutschten, Strähnen um ihren Zeigefinger, um ihre unerklärliche Aufregung wenigstens etwas zu beruhigen. Sie wusste, dass es schwer werden würde, Josua alles ausreichend zu umschreiben.
"Und warum hatte er dein Buch? Ich weiß doch, dass du das nicht einmal mir ausleihen würdest, so liebst du es.", hakte ihr bester Freund nach.
"Wir kennen uns schon ein bisschen länger und dass er es hatte, war eher ein Zufall... Ich hab es am Dienstag am Strand liegen lassen."
"Ach und dieser amerikanische Urlauber wusste natürlich sofort, dass das Buch dort am Strand dir gehört?"
"Nein.", seufzte Sina. "Wir saßen den ganzen Tag am Strand und haben uns lange unterhalten. Dabei habe ich ihm auch davon erzählt..."

Warum hatte er bloß seinen verdammten Anzug in LA gelassen?! Nie, wirklich nie hatte er ihn außerhalb der Dreharbeiten für irgendeinen Anlass gebraucht, doch nun wo er ihn gern einmal anziehen würde, war er natürlich nicht da.
Avi Kaplan seufzte genervt. Was sollte er stattdessen heute Abend anziehen? Ein schlichtes Hemd und eine Röhrenjeans? Nein, das war zu alltäglich, doch wirklich viel Auswahl hatte er nicht. Vorwiegend bequeme Sachen waren in dem Kleiderschrank zu finden. Woher hatte Avriel auch ahnen sollen, dass er hier in seiner Auszeit einen verdammten Anzug brauchen würde?!
Der Braunhaarige kramte weiter in dem hölzernen Schrank herum. Einfache Jacken, T-Shirts, Hemden, Jeans und einfarbige Hosen sowie vereinzelt die ein oder andere Jogginghose, doch nichts, was dem Anlass so wirklich angemessen schien.
Hätte ich doch schon gestern nachgesehen, dann hätte ich noch einen Anzug kaufen gehen können. Jetzt ist dafür keine Zeit mehr., ärgerte sich Avi Kaplan innerlich, aber es war eh nicht mehr zu ändern. Er musste wohl oder übel eines seiner Hemden und die schwarze, noch recht edel wirkende Röhrenjeans anziehen.
Das, was seiner Meinung nach noch am besten aussah, er es aber trotzdem nur selten trug, war das schlichte, bordeauxrote Hemd. Der Basssänger nahm es mit dem dazugehörigen Kleiderbügel aus dem Schrank und legte es zusammen mit der Jeans auf sein Bett. Lange war es nicht mehr hin, dann würde er die wunderschöne Frau mit den fuchsroten Haaren wiedersehen und einen gemeinsamen Abend mit ihr genießen dürfen. Jetzt sollte er sich langsam aber sicher unter die Dusche stellen. Das Letzte, was er wollte, war sich zu diesem Treffen zu verspäten. Es war ihm so wichtig, wie zuvor kein einziger Termin mehr.
Zügigen Schrittes bewegte sich Avi zum Badezimmerschrank, nahm sich Duschgel, Shampoo und ein Handtuch heraus und entledigte sich letztendlich seiner Kleidung, damit er in die Duschkabine treten konnte.

Unruhig vor Aufregung bürstete sie ihre langen Haare.
Ein Essen, Sina. Es ist nur ein Essen..., versuchte sich die junge Frau zu beruhigen.
Auch wenn sie wusste, dass ihre Aussage nicht ganz stimmte, dass ihr dieser Abend mehr bedeutete, half ihr der Gedanke doch auf irgendeine Weise, ihre Hände vom Zittern abzubringen. Nun waren sie endlich wieder ruhig genug, um den feinen Reißverschluss ihres Kleides zu schließen. Mit den Händen fuhr sie noch einmal an den Seiten ihres Kleides entlang, nur um sicherzugehen, dass kein Staubkorn daran hing. Dann widmete sie sich ihren Haaren, zupfte an ihnen herum, bis die gemachten Locken nach ihren Wünschen auf ihren Schultern aufkamen und begab sich schließlich in den Flur.
Ihre hellbraune, beinahe beige Handtasche hing bereits am Treppengeländer und auch ihre schneeweißen Absatzschuhe standen nur für diesen Abend bereit. Vorsichtig stülpte sie diese über ihre, in einer Strumpfhose steckenden, Füße, nahm sich ihre Tasche und stieg die Treppen hinunter. Weit hatte es Sina nicht bis zu dem Restaurant, wo sie sich mit Avriel treffen wollte.

Sich innerlich Mut zusprechend band er die letzte Schleife seiner Lederschuhe. Sina war nur noch einige Straßen weit von ihm entfernt, wenige Minuten Fußweg durch die dämmrige Stadt trennten die Beiden. Avriel konnte es kaum fassen. Sina, das schönste Wesen, das er je gesehen hatte, ging mit ihm essen. Heute.
Bei dem Gedanken an sie huschte ihm ein Lächeln über die Lippen. Heute war es ihm egal, ob er in diesem Restaurant erkannt wurde, denn heute zählte nur ihre Anwesenheit.
Freudigen Schrittes verließ er das Appartement und ging die Straßen entlang, hin zum Strom, hin zu der bezaubernden Frau...

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