Kapitel 44

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"Guten Morgen, Süße.", raunte er sanft in das eine Ohr der jungen Frau, das ausnahmsweise mal nicht von strubbeligem, rotblonden Haar verdeckt war, durch das er sich sonst erst einen Weg hätte bahnen müssen.
Sina rührte sich keinen Zentimeter.
"Hey, aufstehen!", flüsterte Avi Kaplan weiter und verteilte allmählich zärtliche Küsse auf ihrer Haut.
Leise murrend drehte sie sich von der linken Seite, auf der sie gelegen hatte, auf den Rücken und streckte sich etwas, ohne jedoch ihre Augen auch nur einen Spalt breit zu öffnen.
Der Braunhaarige grinste bei dem Anblick der jungen Frau mit den mehr als zerzausten Haaren. Es war einfach typisch für sie. Sie war so ein Morgenmuffel... Er verteilte weitere Küsse auf ihrer Haut und zog dabei langsam die Bettdecke aus ihrer Reichweite.
"Lass mich noch ein bisschen schlafen!", maulte sie und hielt den letzten Zipfel der Decke, der ihr noch geblieben war, mit aller Kraft fest.
"Nichts da, Schatz. Du schläfst schon viel zu lange.", lachte Avi leise.
Nun öffnete sie endlich ihre Augen und betrachtete den Sänger blinzelnd.
"Du bist gemein.", seufzte sie. "Nur weil du ein Frühaufsteher bist, musst du mich doch nicht so früh wecken..."
"Was heißt hier früh?", lachte der schlanke Mann. "Es ist bereits halb zwölf. Eigentlich hatte ich für uns ja Frühstück gemacht, aber Mittag trifft es jetzt wohl eher."
"Schon so spät?!", wollte sich die junge Frau erstaunt vergewissern.
"Ich sag doch: Morgenmuffel.", grinste er.
"Ey!"
Spielend kniff sie ihm in die Seite, stand dann aber gleich auf.
Auch Avriel erhob sich nun wieder aus dem weichen Bett und lief an ihr vorbei in die Wohnküche.
"Kommst du dann essen?", fragte er noch und erhielt als Antwort ein bestätigendes Nicken.

Als sich Sina endlich dazu bequemt hatte, ihren kleinen Rucksack fertig zu packen und ihre Schuhe anzuziehen, verließen sie Hand in Hand das Appartement. Dass er die Straßen in aller Ruhe mit ihr entlangschlendern konnte, ohne dabei in irgendeiner Weise gestört zu werden, war nicht selbstverständlich, doch er war froh darüber. Noch immer rechnete Avi Kaplan es den zwei Mädchen hoch an, dass sie seinen Aufenthalt hier wirklich nicht weitergetragen hatten, so wie sie ihm das versprochen hatten. So hatte die Zeit in diesem ruhigen Ort zu einer der schönsten überhaupt in den letzten Jahren werden können und war es immer noch.
Wie jeden anderen Tag lag auch heute wieder ein ganzes Stück Arbeit vor ihnen, doch das störte den Braunhaarigen in keinster Weise. Solange er bei Sina sein konnte, war ihm jegliche Anstrengung egal. Er genoss ihre herzliche Art und die unbeschwerte, beinahe noch kindliche Einstellung, die sie gegenüber dem Leben hatte. Er bewunderte sie, ja beneidete sie sogar ein Stück weit dafür.
Avi würde selbst gern einfach nur in den Tag hineinleben können und nebenbei, wie die junge Rothaarige es tat, an dem arbeiten, was er liebte, doch als Mitglied von Pentatonix war das nicht möglich. Jeder seiner Tage war bis ins kleinste Detail durchgeplant und vollgestopft mit Terminen. Nur vor 10:00 Uhr vormittags hatte er ein klein wenig Spielraum, indem er machen konnte, wonach ihm der Sinn stand. Jedenfalls war das vor seiner Auszeit so gewesen.
Avi Kaplan liebte seine Arbeit, doch es war für ihn einfach zuviel gewesen. Ein paar Interviews und kleinere Auftritte weniger würden schon reichen, um ihm mehr Freiraum zu verschaffen, doch darüber würde er mit Kirstie, Scott, Kevin und Mitch reden, wenn er wieder zurück war. Jetzt wollte er sich erst einmal auf die nächsten Tage mit Sina konzentrieren, die letzten Tage... LA wartete auf ihn und doch tat Avi sich schwer damit, zurückzukehren. Langsam lernte er zwar, mit dem Gefühl der Ungewissheit über die gemeinsame Zukunft umzugehen, aber das schlechte Gewissen, noch nicht mit Sina darüber geredet zu haben, war geblieben.
"Du denkst wieder an Los Angeles, oder?", hörte er aus heiterem Himmel die helle, ihm nur zu bekannte Stimme fragen.
Stumm nickte der Basssänger.
Er hatte eigentlich damit gerechnet, dass die junge Frau noch weitere Fragen stellen würde, doch sie ließ es darauf beruhen. Stattdessen bat sie ihn nur, durch die dunkle Haustür zu treten, da er wohl schon seit einigen Minuten dagestanden haben musste.
Dies tat Avi Kaplan auch und durchquerte das fertige Café, um in die obere Etage zu gelangen.
Die junge Frau folgte ihm und kurz darauf machten sie sich an die Arbeit, die restlichen Räume ein Stück weit ihrer Fertigstellung näher zu bringen.

Als endlich auch die letzte Malerrolle ausgewaschen war und den Weg zurück auf den silbernen Klapptisch zu Tapetenrollen, Farbeimern, Pinseln und Tapetenkleister gefunden hatte, war noch immer genügend Zeit für die Beiden, um noch ein kleines Stück am Strand entlang zu laufen oder etwas Anderes zu unternehmen, nach dem ihnen gerade der Sinn stand.
Der schlanke Mann und die zierliche Rothaarige beschlossen, sich noch einige Zeit in ein kleines Café zwei Straßen entfernt von hier zu setzen. Heute hatten sie mal von einer Farbschlacht, wie sie sie zu Beginn immer gemacht hatten, abgesehen und so konnten sie gleich in ihrer jetzigen Kleidung dorthin.
"Kommst du?", erkundigte sich Avi Kaplan bei der jungen Frau.
"Ja, gleich!", rief sie von oben zu ihm hinunter. "Ich geh nochmal schnell auf Toilette und dann können wir los."
"Ist gut. Ich lass schon mal Smokey raus und warte vor der Tür auf dich!"
Ohne auf eine Antwort zu warten kehrte er den vielen Tischen und Stühlen den Rücken zu und verließ mit dem kleinen Kater auf seinem Arm das Haus.
"So, mein Kleiner. Ab mit dir ins Freie! Geh noch ein bisschen spielen. Mama und Papa kommen später wieder und lassen dich wieder ein.", sagte er zu dem kleinen Fellknäuel und drückte ihm noch einen Kuss auf das weiche Fell, bevor er ihn endgültig runter ließ.
"Ich hoffe bloß, dass er dann wieder da ist.", hörte Avriel Sina hinter sich sagen.
"Das tust du doch jedesmal, Schatz. Bis jetzt ist er immer wiedergekommen."
Er lächelte ihr sanft zu und streckte seine Hand in ihre Richtung aus.
Mit einem Schmunzeln auf den Lippen verschränkte sie ihre Finger mit seinen und schenkte ihm einen liebevollen Kuss, bevor sie sich auf den Weg durch die Straßen hin zu dem Café machten.
Es war bereits nach acht, aber trotzdem waren die Straßen noch voller Leben. In den Restaurants und Cafés schien helles Licht zu Sina und Avriel hinaus und die zahlreichen Geschäfte bedienten noch immer einige Kunden. Es war nicht mehr ganz so voll, wie tagsüber, aber es genügte, um Avi Kaplan in viele neue Gesichter blicken zu lassen. Sie schenkten ihm jedoch keine sonderliche Beachtung, zu sehr waren sie mit sich selbst und ihren Mitmenschen beschäftigt.
Der Abend mit der schönen Rothaarigen versprach wieder einmal entspannt zu werden und darauf freute er sich. Bei Sina konnte er sich so zeigen, wie er war, musste sich nicht verstellen, konnte sich einfach nur fallen lassen. Dafür liebte er sie. Selbst wenn er wieder einmal in den schrecklichen Gedanken versank, die ihm jeglichen Frohsinn raubten, wusste sie ihm immer ein Lächeln auf sein Gesicht zu zaubern.
Sina war einfach wundervoll. Man konnte sie nur lieben.

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