Kapitel 24

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"Sina, bitte lass mich alles erklären", schaffte er es endlich mit fester, aber trotzdem sanft klingender Stimme zu sagen.
Er hielt diese Stille einfach nicht mehr aus. Minute um Minute hatten sie sich angeschwiegen, kein Wort miteinander geredet. Das laute Lachen und Geplauder um sie herum hatte es beinahe geschafft, ihr Schweigen zu übertönen, aber nur beinahe. Es war so stark und laut für ihn, dass Avriel es einfach nicht ignorieren konnte. Sina war ihm zu wichtig dafür. Er musste es ihr einfach erklären, es gab keinen anderen Weg.
Langsam hob die junge Frau ihren Kopf und schaute ihn ausdruckslos an.
"Du brauchst das nicht zu erklären.", sagte sie ohne jegliches Gefühl in ihrer Stimme.
Warum war sie nicht einmal wütend auf ihn?
"Aber ich möchte es. Bitte, hör einfach nur zu."
"Also gut.", nickte sie.
Der Braunhaarige schenkte ihr für die Chance, die sie ihm gewährte, ein dankbares Lächeln. Dann begann er, ihr sein gesamtes Leben offenzulegen. Avi berichtete ihr von der Zeit, in der er nie gedacht hatte, einmal mit seiner Musik Erfolg haben zu können, von der Show, die das Leben von fünf jungen Menschen für immer verändert hatte und von ihren späteren Zeiten als Band...

Sie wusste überhaupt nicht, was sie von seinen Schilderungen halten sollte. Alles klang so echt und doch irgendwie bizarr. Avriel, der amerikanische Superstar... Wenn dem wirklich so war, warum hatte sie noch nie etwas von ihm gehört, so wie von Taylor Swift, Justin Timberlake oder Beyoncé? Und warum sollte er dann hier sein und mit einer ganz gewöhnlichen Frau essen? Nein, dass seine Geschichte wahr sein könnte, war einfach zu unwahrscheinlich. Wann hatte ein Superstar jemals Urlaub hier in Warnemünde gemacht oder den verschlafenen Kurort überhaupt je eines Blickes gewürdigt? Avriel konnte unmöglich eine Berühmtheit sein, nicht einmal auf YouTube, wie er es ihr gerade versuchte beizubringen.
"Du sagst also, du bist Mitglied einer berühmten Acapella-Gruppe aus Amerika mit dem Namen Pentatonix?", fragte Sina skeptisch nach.
"Ja.", nickte er. "Ich bin der Basssänger der Gruppe."
Das konnte einfach nicht wahr sein! Sicher versuchte Avriel nur, die unangenehme Stimmung zwischen ihnen zu brechen, indem er ihr diese Geschichte erzählte. Vielleicht wollte er sie auch damit beeindrucken.
Erwartungsvoll schaute er sie an. Er hoffte wohl auf eine weitere Reaktion von ihr.
"Eins muss ich dir lassen, Avriel. Du hast echt Humor und Mut.", äußerte sich die junge Rothaarige nach einer Weile, erntete dafür aber einen verwirrten Gesichtsausdruck seinerseits.
"Wie meinst du das?", fragte er schließlich.
"Es war echt mutig von dir, eine so glaubwürdig klingende Geschichte zu erfinden, nur um die Stimmung hier wieder ein bisschen aufzulockern. Und was soll ich sagen? Es hat geklappt. Wir reden.", lächelte sie. "Aber gib doch wenigstens zu, dass du, aus welchem Grund auch immer, einfach die Zeit vergessen hast und deswegen zu spät gekommen bist."
"Nein, Sina. Das war die Wahrheit. Ich bin Sänger.", beharrte er auf seiner Erzählung.
Die junge Frau lachte leise auf.
"Es ist doch nicht schlimm, dass du es vergessen hast. Ich bin dir nicht böse, Avriel."

Wie sollte er ihr bloß beibringen, dass alles, was er ihr beschrieben hatte, der Wahrheit entsprach? Konnte er ihr das überhaupt noch ohne eines der Musikvideos glaubhaft machen? Sie hatte sich so in den Gedanken versteift, es wäre alles nur zu ihrer Aufmunterung erfunden, dass Avi Kaplan nicht wusste, was er noch tun sollte.
Angestrengt atmete er aus. Na gut, sollte sie erst einmal in dem Glauben bleiben, dass alles seiner Fantasie entsprungen war, zumindest für heute. Schon bald würde er alles klarstellen, aber hier im Restaurant ging das nicht so einfach.
"Avriel? Können wir bezahlen?", riss ihn die schöne Frau aus seinen Gedanken. "Ich möchte noch ein Stück am Strand entlang gehen."
Er nickte und winkte daraufhin eine Bedienung zu sich an den Tisch, zahlte und half seiner hübschen Begleitung in ihre helle Strickjacke.
Kaum schnappten sie statt der warmen, etwas stickigen Restaurantluft die kühle, frische Abendluft, hakte sich die Rothaarige auch schon bei ihm ein.
"Weißt du", meinte sie auf dem Weg zum Strand und über die Dünen, "der Abend mit dir war schön, auch wenn wir nicht viel geredet haben. Und jetzt hier am Meer entlangzulaufen, die Füße im Sand und die Sterne am klaren Nachthimmel zu sehen, ist einfach ein wunderschöner Ausklang für unseren Abend."

Der Basssänger schmunzelte. Es was mehr als wunderschön, mit ihr an seiner Seite durch die Nacht zu gehen und das beruhigende Rauschen der See zu hören. Auch wenn nicht alles ganz so verlaufen war, wie er es sich vorgestellt hatte, genoss Avi Kaplan die Anwesenheit der schönen Frau, während sie gemeinsam am Meer entlangliefen.
"Du hast Recht."
Kaum hatte er das ausgesprochen, löste sich die Rothaarige von seinem Arm, stellte ihre Schuhe neben sich ab und setzte sich in den kühlen, aber trockenen Sand.
"Solche Nächte zeigen mir immer wieder, dass es die beste Entscheidung meines Lebens war, hier zu bleiben.", seufzte sie glücklich.
Ohne ein Wort zu erwidern ließ sich Avriel neben ihr nieder. Still beobachtete er sie, wie sie strahlend hinaus auf das tiefschwarze Meer schaute. Hier zu sein, an ihrer Seite zu sitzen machte den Sänger überglücklich. Das Glänzen ihrer Augen brachte wieder dieses unbeschreiblich schöne Gefühl in ihm hervor. Avi wünschte sich, dass dieser Moment ewig dauern würde und ließ sich glücklich seufzend in den Sand sinken.
Der Himmel war wolkenlos und so sah er nun die unzähligen Sterne, die auf sie beide hinabschienen.
"Sie sind überwältigend schön, nicht wahr?", raunte die junge Frau, während auch sie sich in den Sand legte.
Kaum hatte sie dies getan, stützte sich der Braunhaarige so auf, dass er seine liebreizende Begleitung wieder betrachten konnte.

Sina spürte seinen Blick auf sich ruhen, doch das störte sie nicht. Im Gegenteil: Sie genoss es regelrecht. Ihn bei sich zu haben, ließ das aufgeregte Bauchkribbeln, das sie schon einmal zuvor in seiner Anwesenheit verspürt hatte, wieder aufkommen.
Viele Monate und Jahre waren vergangen, seit sie an der Verwirklichung ihres Kindheitstraumes arbeitete und nie war sie so glücklich gewesen, wie in den letzten Tagen. Der Mann, der nun neben ihr lag und sie betrachtete, schaffte es immer wieder, all ihre Gedanken mit nur einer seiner Bewegungen ausschließlich um sich drehen zu lassen. Seine Stimme, die grünen Augen mit den hellbraunen Akzenten darin, sein Lachen... Einfach alles an ihm war perfekt.
Sina konnte es immer noch nicht glauben, dass dieser Mann nun hier war, hier mit ihr...

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