Kapitel 20

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Sina lächelte ihm sanft entgegen, während sie in der Tür standen. Keiner der Beiden sagte auch nur ein Wort, aber selbst wenn um die junge Frau herum ein tobender Sturm aus Stimmen und Geräuschen getobt hätte, hätte sie ihr Herz noch immer laut in ihrer Brust schlagen hören. Laut und schnell. Es war dunkel in den Straßen Warnemündes und doch erkannte sie jede Feinheit seines Gesichts.
"Ich sollte jetzt gehen.", hörte sie die samtige, tiefe Stimme Avriels sagen.
Innerlich betete Sina, dass er doch noch ein bisschen bei ihr blieb, doch sie sagte nur mit einem aufgesetzten Lächeln: "Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder."
Avriel schmunzelte.
"Gute Nacht.", brummte er leise.
"Dir auch."
Der jungen Frau erschien es in diesem Moment, als würde alles um sie herum in Zeitlupe abzulaufen. Sie sah nur ihn, den schlanken Mann mit den dunkelbraunen Haaren. Sah zu, wie er ihr den Rücken zukehrte und sich von der Haustür, in der sie noch immer stand, Schritt für Schritt entfernte.
Gerade hatte sie ihren Blick von seinem, von einer schwarzen Lederjacke bedeckten, Rücken abgewandt, als sie wieder seine tiefe Stimme vernahm.
"Sina?", fragte er beinahe flüsternd.
Ohne zu zögern richtete sie ihre Augen dorthin, wo Avriel zuvor gestanden hatte. Er war nicht, wie es die Rothaarige erwartet hatte, weiter die Straße entlang gegangen, sondern war bereits wenige Schritte vor den kleinen Treppenstufen zu ihrem Haus stehengeblieben und schaute sie nun an.

Nervös knetete er seine Hände, während er nach den richtigen Worten suchte. Er spürte die neugierig fragenden Blicke der jungen Frau auf sich, die nun sicher erwartete, dass er ihr den Grund dafür nannte, dass er sie noch einmal angesprochen hatte. Sicher hatte Sina vermutet, dass er einfach so gehen würde, doch das konnte er nicht. Avi Kaplan konnte das, was vorhin auf dem Balkon geschehen war, nicht ignorieren. All die Gefühle, die sie in ihm geweckt hatte, wie sie ihn mit ihren zauberhaften Augen angesehen hatte, ihr Duft... Die Ungewissheit, ob er Sina noch einmal sehen würde oder nicht, war für den Braunhaarigen unerträglich. So setzte er, noch immer seine Hände knetend, zum Reden an, bemüht ihr dabei in die Augen zu schauen.
"Willst du...", begann Avi seine Frage, stockte jedoch und setzte noch einmal neu an. "Hast du Lust, mit mir... mit mir essen zu gehen?"
Jetzt war es raus. Der Basssänger fühlte sich, als wäre die größte Last seines Lebens von seinen Schultern abgefallen und so atmete er tief und erleichtert durch.
Vorsichtig musterte Avriel das Gesicht der wunderschönen Frau auf der Suche nach einer Reaktion auf seine Frage. Zuerst erkannte er nichts, doch schon kurz darauf umspielte ein zartes, verlegenes Lächeln ihre Lippen.
"Sehr gern.", antwortete sie leise, doch er hörte es klarer, als jemals etwas zuvor.
Nun lächelte auch er mehr und mehr.
"Freitag, 19:00 Uhr im Restaurant am Strom?"
Sina nickte.
"Bis Freitag, Avriel.", schmunzelte sie und schloss die Tür.

Überglücklich schlenderte Avi Kaplan durch die, von Laternen erleuchteten, Straßen des Kurortes hin zu seiner Wohnung. Den ganzen Weg über konnte er sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Er würde Sina wiedersehen, sehr bald sogar.
Der junge Mann zog sein Handy aus der Lederjacke und entdeckte, dass es bereits nach Mitternacht war. Er schien ziemlich lange bei ihr gewesen zu sein, war es doch erst 21:35 Uhr gewesen, als er sich zu ihrem Haus aufgemacht hatte. Donnerstag, es war bereits Donnerstag... Einen Tag und ein paar Stunden noch, dann würde sie vor ihm sitzen und ihm wieder mit ihrem bezaubernden Anblick den Atem rauben.
Der amerikanische Sänger lächelte weiter in sich hinein. War es nicht verrückt, wie schnell sich Sina in seine Gedanken gedrängt hatte, die er selbst kaum noch verhindern konnte?
Bitte sei vorsichtig, Avi.
Da war sie wieder, Kirsties Stimme. Sie hallte in seinem Kopf wider, doch diesmal war sie ihm egal. Ihr Rat, ihre Worte hatten ihm immer viel bedeutet, doch hier und jetzt... Vielleicht hatte sie Recht, was Sina anbelangt, vielleicht aber auch nicht. Er wollte es herausfinden, sich nicht von den Warnungen seiner besten Freundin abhalten lassen, Sina zu treffen. Avi hatte innerlich schon längst beschlossen, ihr näherzukommen, das war ihm nun klar geworden und er konnte nichts dagegen tun. Er wollte es auch garnicht. Noch nie hatte ihn eine Frau so verzaubert, wie es die mit den fuchsroten Haaren gerade tat. Noch nie zuvor hatte ihm jemand seine ermattende, tief in ihm wachsende Müdigkeit nehmen können. Niemand, nicht einmal seine Schwester, die er über alles liebte, hatte das geschafft.
Nun war er hier, lief die Wege des Kurparks entlang und spürte nichts als Leben in sich. Keine Müdigkeit, kein Ermatten mehr. Dass er Sina erst ein paar Wochen kannte, war nicht zu verleugnen und doch tat sie ihm über alle Maßen gut. Eigentlich war Avriel niemand, erst recht nicht seit dem großen Erfolg seiner Acapella-Gruppe, der in so kurzer Zeit Freundschaften schloss oder Gefühle entwickelte, wie er sie nun für die junge Rothaarige empfand. Dass es ausgerechnet bei ihr anders war, hier in dieser fremden Umgebung, wunderte ihn. Irgendwie hatte er von Anfang an eine gewisse Nähe und Verbundenheit zu ihr verspürt, hatte bemerkt wie seine innere Aufgewühltheit einer angenehmen Ruhe gewichen war, wenn er sie sah und doch konnte er sich seine Gefühle nicht ganz erklären...
Ein weiteres Lächeln schlich sich auf seine Lippen. Morgen würde er sie wiedersehen.

Mit geschlossenen Augen, den Rücken an die Tür angelehnt, saß sie da und lauschte der Stille um sich herum. Ihr Besuch war schon seit geraumer Zeit gegangen und trotzdem schlug ihr Herz noch immer bis zum Hals. Was war nur mit ihr los? Was stellte dieser Mann nur mit ihr an?
Ein leises Mauzen brachte sie dazu, ihre Augen wieder zu öffnen.
"Hey, mein Kleiner. Dich hab ich ja ganz vergessen...", sprach sie den, mit erhobenem Schwanz und neugierig funkelnden Augen auf sie zukommenden, Kater an.
Dieser mauzte erneut und schmiegte sich an ihre Seite.
Sina begann das Tier mit dem hellbraunen Fell zu streicheln, woraufhin dieses ein lautes, wohliges Schnurren von sich gab.
"Das gefällt dir, was?", lächelte die Rothaarige und kraulte weiter sein weiches Fell.
Es dauerte nicht lang, bis der Kater auf ihren Schoß sprang und mit seinen dunkelbraunen Pfoten genüsslich auf ihr herumstapfte, bis er eine angenehme Liegeposition gefunden hatte.
Sina betrachtete den gleichmäßig atmenden Kater. Sein dunkelbrauner Kopf lag ruhig auf seinen Vorderpfoten und die klaren, eisblauen Augen waren nun geschlossen.
Die junge Frau musste schmunzeln. Er erinnerte sie an das, was heute geschehen war...

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