Kapitel 17

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Geraume Zeit geleitete sie ihn nun schon von Raum zu Raum und erklärte Avriel währenddessen, welche Pläne sie mit den jeweiligen Räumlichkeiten hatte. Der Mann hörte ihr interessiert zu, sagte meist aber nichts, sodass Sina nicht einschätzen konnte, was er von ihren Ideen hielt.
Gerade waren sie in dem Raum angelangt, den die Rothaarige plante, zu ihrem Wohnzimmer zu machen. Wie so oft zuvor auch ließ er seine Blicke durch den noch kahlen Raum schweifen und wieder beobachtete Sina ihn dabei. Sie versuchte aus seinem Gesicht zu lesen, was er gerade dachte, doch das stellte sich als schwieriger heraus, als sie vermutet hatte. Avriels Blick war wie versteinert und sein ganzer Körper war irgendwie angespannt... Das Einzige, was sich an ihm unbeschwert bewegte, war die ein oder andere Strähne seines langen, dunkelbraunen Haares. Bei jedem Schritt, den der junge Mann tat, wippte es über den Kragen seines dunkelblauen Hemdes, strich über seine Schultern und rahmte sein markantes Gesicht dabei perfekt ein. Sein gepflegter Bart und seine grünen Augen taten den Rest, um ihm ein einzigartiges Aussehen zu verleihen.
Wie in einem Traum gefangen beobachtete die junge Frau ihre Bekanntschaft. Innerlich wehrte sie sich dagegen. Sie wollte ihn nicht so lange anstarren, doch ihr Blick war wie festgeklebt. Ihre Augen konnten sich nicht von ihm lösen, waren gefangen in seinen Bewegungen.
Sina, hör auf! Du kennst ihn doch kaum. Und was ist, wenn er bemerkt, dass du ihn die ganze Zeit beobachtest? Das kommt sicher nicht so gut an., versuchte sich die Rothaarige mit eigenen Gedanken von ihrem Gefangensein zu lösen.
Geh auf den Balkon und schnapp ein wenig frische Luft. Dann wird es dir sicher wieder besser gehen.
Tief aber lautlos atmete sie durch, schloss kurz ihre Augen und lief dann, ohne Avriel ein Wort zu sagen, an ihm vorbei, immer weiter auf die bodentiefen Fenster zu, die ihr den Schritt auf den Balkon gewährleisten sollten. Sina fühlte sich innerlich aufgewühlt. Wie konnten sich ihre Gefühle so schnell so stark verändern? Vor ungefähr einer Stunde war sie noch die Ruhe in Person gewesen, hatte ihre Gedanken zwar auch ab und zu in seine Richtung schweifen lassen, konnte sich aber auch genauso schnell wieder von ihm distanzieren. Sie war eine starke, selbstbewusste Frau gewesen, die in jeder Situation stets die passenden Worte fand und immer mit scharfen Sinnen an alle Aufgaben ging. Als Avriel dann vor ihrer Tür gestanden hatte, war sie voll Skepsis, aber auch Neugier gewesen. Es brauchte nur einige weitere Minuten in seiner Gegenwart und ihre Wortgewandtheit war verflogen. Sie war ihr einfach nicht mehr richtig mächtig gewesen und ihre, sonst so akkurat geordneten, Gefühle waren in ein Chaos gestürzt worden.
Nun stand sie hier, öffnete das Fenster, trat hinaus auf den Balkon und versuchte mit all ihrer Kraft ihre Gefühle und Gedanken wieder in den Griff zu bekommen. Diese starke Euphorie, die sie in seiner Gegenwart verspürte, die Unsicherheit, die Aufregung und das eigenartige Bauchkribbeln... All diese Emotionen löste ein einziger Blick, ein einzelnes Wort, eine einzige Bewegung seinerseits in ihr aus. Was war nur mit ihr los? Sina konnte sich nichts von alledem erklären. Warum fühlte sie sich in seiner Gegenwart so hilflos und abhängig? Wieso war Avriel ständig in ihrem Kopf und warum zitterten ihre Hände gerade bei diesen Gedanken?
Die junge Frau versuchte sich mit dem Blick in die sternenklare Nacht und den hell scheinenden Mond zu beruhigen, um wieder klare Gedanken fassen zu können, doch das wollte ihr nicht gelingen. Wieder und wieder war es der Mann mit den braunen Haaren, der an ihrem inneren Auge vorbeizog. Wie er durch die einzelnen Räume ihrer Wohnung streifte, sich alles genauestens anschaute und ihr gelegentlich ein Lächeln zuwarf...

Nach und nach hatte Avi Kaplan einen Eindruck davon bekommen, wieviel Arbeit noch in dieses Haus gesteckt werden musste, bis es endlich zu dem wurde, was Sina sich wünschte. Er bewunderte es, wie die junge Frau voller Eifer von ihren Plänen erzählt hatte und dabei so sehr gestrahlt hatte, wie es der Basssänger noch nie zuvor bei einem Menschen gesehen hatte. Das Café, dieses Leben war ihr Traum, das spürte man. Es machte ihn glücklich, die schöne Frau so zu sehen, doch er versuchte sich das nicht allzu sehr anmerken zu lassen.
Wie in den letzten Räumen auch betrachtete der amerikanische Sänger alles eingehend. Es war ein großer, heller Raum, doch selbst für sich und seine vier Bandkollegen wäre er als Wohnzimmer sehr weiträumig gewesen. Dieses Haus bot soviel Platz, dass sich eine einzelne Person darin verloren vorkommen musste. Allein in diese Etage hätte genauso gut eine fünfköpfige Familie einziehen können und es wäre noch immer genügend Platz für ein Gästezimmer gewesen. Es war ein gewaltiges Projekt, welches sich Sina auf ihre Schultern gelegt hatte, doch sie schien Freude daran zu haben.
Nach diesen Gedanken bemerkte Avriel einen kühlen Wind, der sanft über seine Arme fuhr und ihn kurz frösteln ließ. In der Annahme, dass es während der Besichtigung der einzelnen Räumlichkeiten nicht allzu kalt werden konnte, hatte er seine Jacke im unteren Teil des Hauses zurückgelassen. Nun wurde er jedoch eines Besseren belehrt. Aus irgendeiner Ecke des Raumes wehte der Nachtwind zu ihm herüber. Suchend schaute er sich um und bemerkte dabei, dass sich Sina garnicht mehr in diesem Raum aufhielt.
Avis Blick schweifte durch das Wohnzimmer. Da die Tür, die auf den Flur hinausführte, noch immer verschlossen war, blieb sein Blick schließlich an den zahlreichen Fenstern links neben ihm hängen. Eines davon, das erkannte der Braunhaarige auch im schummrigen Licht der Deckenlampe, war offen und dahinter lehnte Sina an einem Geländer. So wie sie da stand, wirkte sie müde und verträumt. Die junge Frau schien ausschließlich ihren Gedanken nachzugehen. Sie hatte wohl alles um sich herum ausgeblendet, denn sein Näherkommen bemerkte sie nicht, obwohl seine Schritte deutlich auf dem hölzernen Fußboden zu hören waren.
Während Avriel dem offenen Fenster immer näher kam, beobachtete er sie schöne, junge Frau eingehend. Trotz des kaum vorhandenen Lichts nahm er die einzelnen Haarsträhnen wahr, die sich aus ihrer straffen Frisur gelöst hatten und nun wie Federn im Wind tanzten. Er sah zu, wie sie über ihre Schultern und ihren zarten Nacken strichen, mit jedem Windhauch erneut aufstiegen, nur um Sina schließlich wieder auf die Schultern zu fallen.
Mittlerweile stand der Braunhaarige direkt hinter ihr und sie hatte ihn noch immer nicht bemerkt. Die sanften Brisen trugen ihren blumig süßen Duft zu ihm hinüber, sodass er für einen Moment seine Augen schloss.
Kurz darauf stieß etwas von vorn gegen ihn. Überrascht öffnete er seine Augen wieder und blickte direkt in die der jungen Frau...

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