Kapitel 38

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„Alles in Ordnung Süße?“ Liam sieht mich besorgt an. Ich bekomme nicht mehr als ein Nicken zustande, ein Kloß breitet sich immer weiter in meinem Hals aus und es fühlt sich so an als würde meine Kehle zugeschnürt werden. „Du siehst aus als kippst du gleich um.“

„Geht schon.“ Meine Stimme zittert bis sie ganz abbricht und nur noch neue Tränen über meine Wangen laufen. Ich beobachte Jake, seine Brust hebt sich ganz langsam und gleichmäßig, sonst rührt er keinen Muskel. Ich stehe wie angewurzelt neben seinem Bett und bemerke erst gar nicht wie Christian und Steffi in das Zimmer kommen und sich zu uns stellen. Meine Knie fangen wieder an zu zittern genauso wie meine Hände und eigentlich mein ganzer Körper. Mit einem Tränenschleier, vor den Augen sehe ich an den vielen Schläuchen, die in Jakes Hand führen, entlang.

„Setz dich hin Tess.“ Liam stellt einen Stuhl neben mich, langsam lasse ich mich darauf fallen und breche erneut in Tränen aus. Ich lege mein Gesicht in meine Hände, mein Körper vibriert unter dem Schluchzen und meine Kehle wird wieder zugeschnürt. Er sieht so hilflos aus. Und das ist alles meine Schuld!

„Ihr seid auch da.“ Traurig lächelt uns Jasmin an. Eine ganze Weile stehen und sitzen wir mucksmäuschenstill da und weinen leise vor uns hin. Jeder ist mit seinen Gedanken beschäftig. Irgendwann halte ich es nicht mehr aus, es ist als würde mich der kleine graue Raum erdrücken. Panisch und nach Luft ringen renne ich auf den Flur und sacke an der Wand entlang auf den Boden zusammen. Mein schlechtes Gewissen breitet sich immer weiter aus, als würde es mich von innen nach außen zerfressen.

„Alles okay?“ Plötzlich steht Liam neben mir und setzt sich ebenfalls hin.

„Nein gar nichts ist okay! Jake liegt im Koma und wacht wahrscheinlich nicht wieder auf und das ist…“ Weiter komme ich nicht, da meine Stimme mich verlässt und ich wieder einmal in Tränen ausbreche.

„Tess es ist nicht deine Schuld.“ Er legt tröstend einen Arm um mich, mit der anderen streicht er mir die Haare aus dem Gesicht und drückt meinen Kopf gegen seine Brust. „Glaub mir Süße das wird schon alles wieder.“

„Und wenn nicht?“ Darauf weiß er keine Antwort. Darauf weiß niemand eine Antwort. Was ist wenn er nie wieder aufwacht? Was passiert dann? Können wir weiterleben als wäre nie etwas passiert? Gefühlte Stunden sitzen wir so auf dem kalten Flur, bis eine Krankenschwester zu uns kommt.

„Ist alles in Ordnung?“ Warum fragt jeder ob alles in Ordnung ist? Nichts ist in Ordnung wann versteht ihr das endlich alle?

„Ja alles gut.“

„Es gibt hier einen Aufenthaltsraum, wenn ihr…“ Ich halte es nicht mehr aus, können mich nicht alle mal in Ruhe lassen? Plötzlich überkommt mich pure Wut, ich springe auf und renne den Flur entlang auf dem Balkon zu. Ruhe, dass ist das Einzige was ich jetzt will. Niemand der mit mir redet und niemand der mir sagt, dass es nicht meine Schuld ist und alles wieder gut wird! Langsam beruhige ich mich wieder und setz mich auf einen der Stühle. Schweigend setzen sich die anderen neben mich, wieder sind wir in unsere eigenen Gedanken vertieft und reden kein Wort.

Die nächsten Tage und Wochen vergehen genauso. Wir fahren Jake fast jeden Tag besuchen, doch es gibt kein Anzeichen, dass sein Zustand sich ändert. Wenn ich nicht grade in der Schule bin oder im Krankenhaus, verbringe ich oft mit Jessy meine Zeit oder mit Alice im Kinderheim. Lucy und Justus sehe ich auch oft, mal fahre ich zu ihnen und manchmal kommen sie zu uns. Von Laurence haben wir nichts mehr gehört, Jasmin war beim Anwalt und hat die Scheidung eingereicht. Lisa und ihre Freundinnen gehen mir immer noch jeden Tag auf die Nerven, doch mittlerweile ignorier ich sie einfach. Mittlerweile wohne ich schon fast drei Monate bei Liam das heißt Jake liegt schon seit fast drei Monaten im Koma. Bis heute verstehe ich nicht wie mein Vater es geschafft hat Jake so zusammenzuschlagen. Ich meine Jake ist größer, besser trainiert und ganz sicher nicht schwächer, selbst wenn mein Vater getrunken hat.

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